ManagementDie Beschaulichkeit im Chefzimmer ist gestört

Tele-Management: Moderne Leinen sind nicht länger, sondern moderner

31.10.1997

Die Bilanz der Mahner läßt nichts Gutes hoffen: Zwar werde es in Zukunft immer mehr elterngerechte Telearbeit geben, Geld für Kindergartenplätze blieben jedoch ein Wunschtraum. Die neuen Technologien ermöglichten Erreichbarkeit zu jeder Zeit, damit aber verhinderten sie eine Trennung zwischen beruflicher und privater Sphäre.

Info-Häppchen statt Denken in Zusammenhängen, neue Perspektiven für noch leichteren Datenmißbrauch, hochmoderne, aber schlecht bezahlte Heimarbeit und virtuelle Firmen an der Grenze zum Scheinunternehmen sind durchaus realistische Gefahren. Wer unter solchen Bedingungen kritiklos den Vormarsch der Telekommunikation propagiert, sollte sich seine Argumente gut überlegen.

Doch gibt es auch die andere Seite der Medaille. Zweifellos sind Informationstechnik und Telekommunikation inzwischen zur unverzichtbaren Grundlage einer globalen Wirtschaft avanciert. Die organisatorische Anpassung der Unternehmen an den zum Teil erdrutschartig über sie hereinbrechenden Wettbewerbsdruck einer weltumspannenden Ökonomie läßt ihnen keine großen Alternativen.

Zweifellos tragen Fax, E-Mail etc. wesentlich zur Unterstützung einer nicht mehr ortsgebundenen Unternehmensführung bei. Tele-Management sei die Voraussetzung für das interaktive Netz aus modularen Teams, ermögliche neuartige Partnerschaften und virtuelle Strukturen. Doch wie bringt man solche Unternehmungen auf Kurs?

Der Frage, wie sich Telekommunikation in Entscheidungsprozessen gezielt einsetzen läßt, ist Ralf Reichwald, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München, nachgegangen. Er untersuchte, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um Telekommunikation im Management erfolgreich einzusetzen. In seiner Studie beobachtete er 14 Führungskräfte der IT-Industrie im Umgang mit den neuen Technologien.

Reichwald kam zu einem überraschenden Ergebnis: Je intensiver Manager die neuen Medien nutzen, um so höher ist auch der Grad ihrer Mobilität. Die landläufige Annahme, Fax, E-Mail, Voice-Mail und Video-Conferencing könnten die Reisetätigkeit der Führungskräfte erheblich reduzieren, sieht Reichwald eindeutig widerlegt.

Was verbirgt sich hinter diesem Paradoxon der Telekommunikation? Zunächst einmal fällt der überragende Anteil von kommunikativen Aktivitäten im Rahmen der Zeit- und Tätigkeitsstruktur des Managements auf. Für Gespräche, Meetings und technisch vermittelte Abstimmungen mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern an anderen Orten sind bereits 90 Prozent der Arbeitszeit der Chefetage verplant. Wer glaubt, sein oberster Boß ver- berge sich in Gründerzeit-beschaulichem Ambiente, um Aktenberge abzuarbeiten, liegt - wie Reichwald ermittelte - völlig daneben.

Daß sich in der obersten Führungsriege neue Anforderungen eingeschlichen haben, ist vielen nicht bewußt: Längst haben sich Planung, Anweisung und Kontrolle - die tragenden Säulen der traditionellen Management-Philosophie - aus der Praxis verabschiedet.

Je mehr Unternehmen aus überkommenen Strukturen heraustreten müssen, um sich den neuen Herausforderungen in Netzwerken mit Partnern, Kunden und Lieferanten flexibler zu stellen, um so nachhaltiger müssen sich auch die Führungsmaximen verändern. Auch bei Topmanagern, die sich nicht anpassen können, ist die Uhr ebenso abgelaufen wie bei ihren unmittelbar betroffenen Zuarbeitern aus den aufgeblähten Stabsapparaten.

Reichwald und seine Kollegen Robert Goecke und Peter Pribilla beobachten einen neuen Manager-Typ, der sich - je nach individueller Situation - auf unterschiedliche Weise seinen kommunikativen Aufgaben widmet und dabei die neuen Technologien gezielt einsetzt. Für Spitzenmanager, die sich in Netzwerken großer Unternehmen bewegen, hat die Pflege der Beziehungen zu externen Partnern oberste Priorität. Und intern konzentrieren sie sich auf das Coaching von Teams. Telekommunikation ist für alle eine unverzichtbare Basis ihres Handelns.

Drei Modelle des Tele-Managements lassen sich aus den Beobachtungen der Forscher ableiten: das traditionelle, das kooperative und das autarke Modell.

Manager der traditionellen Variante können auf die Verständigung per Brief und Telefon nicht verzichten. Auch wenn sich ihr Arbeitsalltag in scheinbar geordneten Bahnen bewegt, sind sie doch Opfer zahlreicher Störungen. Die von den Experten auch als "Manager auf Zuruf" charakterisierten Unternehmenslenker verstehen es nicht, die Vorteile asynchroner Telekooperation per Fax, E-Mail oder Voice-Mail zu nutzen. Für sie erweist sich die ihnen gewohnte Technik als Fessel.

Der zweite Anwenderkreis, Manager des Kooperationsmodells, bedient sich bewußt der Telekommunikation, vor allem um sich störungsfrei in Meetings aufzuhalten. Während Vertreter traditioneller Führungsprägung noch ein Sekretariat haben, das dem klassischen Vorzimmercharakter entspricht, greifen Manager der Kategorie Kooperation auf Assistenten zu, die mit den neuen Techniken vertraut sind und ihrem Chef gezielt zuarbeiten. Vor allem E-Mails spielen eine besondere Rolle; in Besprechungspausen liest sie der Chef durch und gibt sie mit kurzen Anmerkungen und Anweisungen über die weitere Bearbeitung zurück.

Der dritte Manager-Typ schließlich ist Entscheider und intensiver Anwender der Telekommunikation. Asynchrone Medien wie E-Mail und Voice-Mail entsprechen dem hohen Kommunikationsbedarf in globalen Strukturen und verschiedenen Zeitzonen. In Meetings hingegen sucht man diese Manager vergeblich. "Management durch Messaging", so Reichwalds Fazit, zeige Eigenarten des Modells vom papierlosen Büro und sei zugleich von einer enormen Reisetätigkeit gekennzeichnet.

Der autarke Manager beherrscht die Telekommunikation. Eine extreme Nutzung ist die eine Seite, ein überproportionaler Reiseaufwand die andere Seite der Medaille. Aufgaben- und zielorientierte Führung steht an erster Stelle und erklärt somit auch die Mobilität dieses Manager-Typs. Branchen mit hoher Innovationsgeschwindigkeit und kurzen Produktzyklen brauchen Führungskräfte, die Telekommunikation für die Ziele ihrer Unternehmen einsetzen.

Doch nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Verwaltung liegen die Vorteile der Telekommunikation auf der Hand. Insbesondere der Regierungsumzug vom Rhein an die Spree bietet sich an. Doch der Informationsverbund Berlin-Bonn (IVBB) kommt nur schwer aus den Startlöchern. Zwar will man die Einführung neuer Technologien in der Verwaltung beschleunigen, sich allerdings von traditionellen Arbeitsformen zu verabschieden, kommt vorläufig nicht in Frage. Das Meeting dominiert unverändert die Verständigung einer selbstverliebten Bürokratie.

Die interaktive Zukunft ist auf dem Instanzenweg. Allein die begleitende Forschung kostet satte 38 Millionen Mark. Dann sollen ministerielle Aktenberge nicht mehr auf Behördenfluren, sondern auf der Datenautobahn unterwegs sein. Und es gäbe darauf auch noch genug Platz für einen Großteil der täglichen Abstimmungsrunden. 50 Prozent Effektivitätszuwachs soll der gezielte Einsatz interaktiver Informationsträger bringen. Ob sich allerdings technikzentrierte Ansätze im beharrlichen Beamtenapparat durchzusetzen vermögen, bleibt abzuwarten.

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Eigentlich sollten sich durch moderne Informationstechnik Reisen als Vorbedingung zur Kommunikation erübrigen. In der Praxis sind aber die Anwender von E-Mail und Video-Conferencing oft jene, die viel unterwegs sind. Das Chefzimmer löst sich somit zunehmend auf und begibt sich in die Business Class. Ursache ist hierfür ist der global härtere Wettbewerb, der dazu zwang, Unternehmen an der High-Tech-Leine zu führen.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.