Roschmann auf dem "Treffpunkt Compac": Akzeptanz bei Management und Belegschaft fördern:

Teilstandardisierte BDE für Mittelbetriebe

17.07.1981

ESSEN - Das Entwickeln und Installieren von Betriebsdatenerfassungs-(BDE-)Systemen ist heutzutage nicht mehr so sehr ein Problem der technischen Lösbarkeit als vielmehr eines der Akzeptanz durch die davon Betroffenen. So lautete einer der Kernsätze des Konstanzer Professors Karlheinz Roschmann, der sich in Essen am ersten Tag des "Treffpunkts Compac" vor knapp 40 Teilnehmern zu Grundsatzfragen der BDE äußerte. Roschmann appellierte an die Industrievertreter unter den Zuhörern, BDE-Projekte auch in eigenem Interesse möglichst unter frühzeitiger Einschaltung des Betriebsrats anzugehen.

Der Konstanzer Professor setzte sich ausdrücklich in Gegensatz zu Ladislaus Kovats, einem auf dem BDE-Sektor bekannten Experten, indem er von den Projektleitern forderte, daß sie ihre Vorhaben nicht nur - wie Kovats es für ausreichend halte - argumentativ, sondern im Rahmen der Möglichkeiten auch gestützt auf quantitative Wirtschaftlichkeitsberechnungen vor den Entscheidungsinstanzen ihrer Betriebe vertreten sollten.

Zum "Treffpunkt" hatte nun schon zum wiederholten Male die Essener Compac Computer-Automationstechnik GmbH + Co. KG, eine Tochtergesellschaft der schweizerischen Unternehmensgruppe Weber, eingeladen. Der erste der beiden Veranstaltungstage war der Betriebsdatenerfassung gewidmet, der zweite - zu ihm erschienen nach Angaben der Essener rund 50 Teilnehmer, die beispielsweise die Veba, Neckermann, Linde und die Stadtbahn Rhein-Ruhr vertraten - der Prozeßdatenverarbeitung.

Diesmal nicht auf dem Themenplan stand die Lagerautomation - neben dem Vertrieb des Prozeßrechners CMS-80 (Basis: Motorola 6800) ein weiteres "Bein" der, Essener. Die Treffpunkt-Teilnehmer des ersten Tages, unter ihnen Vertreter von Dynamit Nobel, Henkel, Krupp, Mannesmann, Thyssen und dem RKW, hörten von Compac-Geschäftsführer Hartmut Nieschant, daß Betriebsdatenerfassung keinesfalls mehr ausschließlich eine Sache individueller Systementwicklung und Programmierung sei.

Nieschant verwies dazu auf die Erfahrungen seines 40-Mann-Systemhauses, das derzeit einen Jahresumsatz zwischen vier und viereinhalb Millionen Mark realisiert und seit insgesamt 19 Jahren in der Entwicklung wissenschaftlich-technischer Anwendungen tätig ist: Es habe sich gezeigt, daß gewisse Teile der Betriebsdatenerfassung softwaremäßig standardisierbar und deshalb mehrfach verwendbar seien

Compac sei daher in der Lage, bei Aufträgen zum Teil auf Moduln aus der eigenen Programmbibliothek zurückzugreifen und so zu einer attraktiveren Preisgestaltung zu kommen. Der dadurch erzielte Preisvorteil, meinte Nieschant, sei auch dann nicht zu unterschätzen, wenn im Einzelfall nur 20 Prozent der Software eines übernommenen Auftrags mit Standardmoduln abzudecken sei.

Als standardisierbar bezeichnete Nieschant insbesondere die Bereiche Personalzeiterfassung (auch mit Gleitzeit), Auftragszeiterfassung sowie bestimmte Buchungs- und Regelungsprogramme. Einer der Schwerpunkte des Compac-Programms ist die Entwicklung von BDE-Systemen für mittelgroße Anwender, die aber nach Nieschants Worten voll in den Genuß des State-of-the-art kommen sollen, den die Großindustrie in ihren BDE-Pionierprojekten erreicht hat.

Dazu bedient sich Compac der Methode, den Kern eines zu liefernden Softwaresystems aus Fertigprogrammen zusammenzusetzen, die spezielle Software etwa für die Vernetzung der Terminals oder für die Dialog- und Druckprogramme individuell zu erstellen und dieses Package auf Minicomputern zu implementieren. Lieferanten solcher Minicomputer sind für Compac, das wiederholt seinen Status als herstellerneutrales Systemhaus unterstrich, in erster Linie Texas Instruments (TI .990), in zweiter Linie Honeywell Bull (System 6). Erfahrungen mit DEC-Rechnern liegen ebenfalls vor; und in Zukunft will man den Serie/1-Minis von IBM mehr Aufmerksamkeit widmen.

Für Texas Instruments waren in Essen Ralf Bülow, Marktbereichleister Technische EDV-Anwendungen in der Freisinger Zentrale, für Honeywell Bull Siegfried Vögt, Leiter der Geschäftsstelle Prozeßautomation in Köln, anwesend. Bülow prophezeite auf dem Sektor des organisatorischen Ablaufs innerhalb einer Fertigung oder Produktion für die 80er Jahre eine "rasante Entwicklung"; denn die Automationsmöglichkeiten im unmittelbaren Maschinenbereich seien zwischen weitestgehend erschöpft.

Es gelte in Zukunft, meinte Bülow die DV-Intelligenz verstärkt dorthin zu bringen, wohin sie gehöre, und damit die vielen Einzelentscheidungen innerhalb eines Produktionsablaufs wieder an die "Zwischenentscheidungsträger" (Bülow) heranzutragen - beispielsweise an die Meister und Betriebsleiter. Bülow empfahl für Dezentralisationsaufgaben dieser Art das von Texas Instruments entwickelte Netzwerkkonzept zusammen mit der Hardware-Produktgruppe TI 990-Mini/TI 9900-Mikro.

Das Dezentralisieren von Intelligenz ist auch nach Vogts Meinung im heutigen Betrieb dringen geboten. Vogt über die dazu notwendige Netzwerktechnik (und anknüpfend an Bülow): "Da nehmen sich die Hersteller alle nichts ab." Die Neuprogrammierung von BDE-Anwendungssystemen ist nach Vogts Darstellung nur noch in Einzelfällen dem Kunden zu überlassen, weniger weil dieser über ein nicht ausreichendes Know-how verfüge; vor allem sei es sein Mangel an Software-Entwicklungskapazitäten, der die EDV-Hersteller nötige , hier selbst aktiv zu werden.

So habe Honeywell Bull BDE-Software für Großbetriebe wie Kraftwerke oder Raffinerien entwickelt; doch bei mittelgroßen Projekten greife HB auf " fähige Systemhäuser" wie Compac zurück, erläuterte Vogt. Die Schwierigkeiten einer Standardisierung von BDE-Abläufen zeigte Vogt an zwei Beispielen auf: So seien für die Steuerung einer Glasfabrik ganz andere Anforderungen zu erfüllen; als wenn es um die Steuerung einer Margarinefabrik gehe. Ebensowenig könne es für das Zusammenbringen der richtigen hierarchischen Ebene einen industrieeinheitlichen Standard geben.