Betriebliche Standardsoftware/Akzeptanz-Management in R3-Einführungsprojekten

Technologiebasierte Konzepte mit weichen Faktoren abfedern

24.10.1997

Insbesondere die Beraterzunft, aber auch SAP selbst, reagieren auf die anhaltende Kundenkritik an zu hohen Einführungskosten mit veränderten Konzepten. Diese weisen meist Namensbestandteile wie "accelerated" oder "fast" auf und versprechen deutliche Geschwindigkeits- und damit Kostenvorteile.

Technologiebasierte Konzepte versuchen, die Komplexität der Einführung zu reduzieren, indem bereits vorhandenes (Branchen-) Know-how genutzt wird. So läßt sich beispielsweise die Ist-Analyse durch den Einsatz von Fragebögen (Checklisten) unterstützen. Um Soll-Geschäftsprozesse zu definieren, empfiehlt sich, auf vorhandene Branchen-Referenzprozesse zurückzugreifen, die zum Beispiel mit dem Aris-Toolset modelliert wurden.

In der Implementierungsphase werden zumeist vorparametrisierte, ebenfalls branchenspezifische Mandanten beim Kunden eingespielt, um so ein rasches Prototyping zu ermöglichen. Einige Konzepte bieten auch Hilfen beim Projekt-Management, wobei in der Regel Organisations- und Zeitpläne vergleichbarer Projekte im Einsatz sind.

Als eher visionär gelten Konzepte, bei denen eine Model- lierung von Geschäftsprozessen auf einem geeigneten Modellierungs-Front-end eine automatische Parametrisierung der R/3-Module bewirkt. Der Anwender muß sich dann nicht mehr mit Tabellen und Einstellungen be- fassen, sondern wählt lediglich Geschäftsprozesse aus oder paßt sie seinen Bedürfnissen an. Die- se technologiebasierten Ansät- ze haben trotz vorhandener Optimierungspotentiale ihre Grenzen.

Zunächst stellt sich die Frage: Kann die durch die Nutzung von Templates notwendigerweise entstehende geringere Flexibilität die richtige Antwort auf die Herausforderung "Geschäftsprozeßoptimierung mit R/3" sein? Zudem ist bei R/3 durch Nutzung neuer Technologien wie ALE, Internet-Anbindung, BAPIs etc. eine zunehmende "Individualisierung" des Standards zu beobachten. Dadurch steigt zwar der Kundennutzen, Geschäftsprozesse werden besser unterstützt, aber zugleich steigt auch die Komplexität. In Zukunft werden selbst bei Unternehmen der gleichen Branche völlig unterschiedliche R/3-Installationen vorzufinden sein.

Weiterhin wissen erfahrene R/3-Berater, daß das eigentliche Parametrisieren (Customizing) eines Mandanten sehr schnell erledigt ist, sobald die notwendigen Entscheidungen getroffen sind. Außerdem läßt sich der Nutzen eines "fertigen" Mandanten weitgehend neutralisieren, wenn eine Änderung grundlegender Einstellungen wie zum Beispiel der Organisationsstruktur oder des Kontenplanes notwendig wird.

Gerade diese Einstellungen aber, die in allen Modulen weitgehende Bedeutung haben, sind in aller Regel immer kundenspezifisch anzupassen. Der Vorteil eines Template-Mandanten liegt somit nur darin, dem Kunden schnell etwas Lauffähiges zu zeigen, was vielleicht etwas besser auf ihn zugeschnitten ist als das von SAP ausgelieferte Demo-System "Ides". Die Hoffnung aber, diesen Mandanten quasi ohne Änderungen produktiv setzen zu können, ist unrealistisch, sofern ein Unternehmen nicht "auf der grünen Wiese" beginnt.

Was die visionären Konzepte modellierungsgestützten Customizings angeht, so sind hier sicher einige interessante Ergebnisse zu erwarten. Heute bereits gibt es erste Ansätze, bei denen man durch Auswahl der SAP-Referenzprozesse den Einführungsleitfaden konfigurieren kann. Mit der weiteren Entwicklung wird sich allerdings zeigen, daß ein vollständig modellierungsgestütztes Customizing illusorisch ist. Während man sich die automatische Umsetzung eines Organisationscharts in SAP-Einheiten noch vorstellen kann, sind etwa die vielfältigen Parameter, die zum Beispiel mit einer Vertriebsbelegart verbunden sind, nicht mit vernünftigem Aufwand modellierbar und wesentlich einfacher tabellengestützt zu pflegen. Ein Customzing auf Knopfdruck wird es auch in Zukunft nicht geben.

Über Rahmenbedingungen unzureichend informiert

Fazit: Technologiebasierte Konzepte der beschleunigten R/3-Einführung bieten Vorteile, sind aber nicht in jedem Fall effektiv. Das liegt auch daran, daß sogenannte "soft factors" bei der Einführung vernachlässigt werden. Das sind Schwierigkeiten, die sich während einer R/3-Einführung ergeben.

Diese Konflikte können verschiedene Ursachen haben. Die Projektbeteiligten sind oftmals über die Rahmenbedingungen und Ziele der R/3-Einführung nur unzureichend informiert. Nicht selten werden DV-Abteilungen von diesbezüglichen Vorstandsbeschlüssen regelrecht überrascht und mit unrealistischen Zeitplänen und Zielvorgaben konfrontiert. Die späteren Anwender in den Fachabteilungen erfahren oft zuletzt von dem Projekt. Dies führt zu mangelnder Akzeptanz in den Fachabteilungen, insbesondere dann, wenn Mitarbeiter organisatorische Änderungen oder gar den Arbeitsplatzverlust befürchten.

Häufig kommt es aber auch zu Ängsten, die neue Software nicht zu verstehen oder erprobte und beherrschte Arbeitsläufe ändern zu müssen. Mit der engagierten Mitarbeit der Fachabteilungen steht und fällt der Projekterfolg einer R/3-Einführung. Diese kann längst nicht mehr als reines DV-Projekt betrachtet werden. Die angeführten technischen Vereinfachungen beim Customizing zielen in erster Linie auf den Endanwender.

Die prozeßorientierte R/3-Einführung verlangt eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit im Projekt. Erfahrungsgemäß tauchen die größten Schwierigkeiten bei den Prozessen auf, die sich an den Nahtstellen der R/3-Module befinden, zum Beispiel die Disposition. Außerdem ergeben sich bei den meist funktional organisierten Abteilungen wie im Vertrieb oder in der Produk- tion erhebliche Kommunika- tionsprobleme und Kompetenzstreitigkeiten. Auch bei kon- sequenter prozeßorientierter Organisation der Arbeitskreise (Arbeitskreis Disposition anstatt Arbeitskreise PP und SD) wird sich dies nicht vollständig vermeiden lassen.

Die Folgen sind oftmals: mangelnde Mitarbeit der Fachabteilungen, Verzögerungen von Entscheidungen und häufiges Umstoßen bereits getroffener Entscheidungen. Letzteres führt bei fortgeschrittenem Customizing zu erheblichen Zeitverzögerungen. Zudem ist die Qualität der Einführung gefährdet.

Eine verbindliche Festlegung von Zielen

Die Antwort auf diese Herausforderungen liegt nicht im Einsatz weiterer Tools, sondern im konsequenten Aufbau eines Akzeptanz-Managements für die R/3-Einführung. Wichtige Bestandteile können sein:

- Die verbindliche Festlegung von Einführungszielen in einem moderierten Workshop, der von allen Entscheidern mitgetragen wird.

- Ausbildung der internen und externen Projektleiter in grundlegenden sozial-kommunikativen Fragen.

- Die klare, prozeßorientierte Projektorganisation. Insbeson- dere müssen die Weitergabe von Informationen sowie die Entscheidungswege und -instanzen geregelt werden. Dabei brauchen die Entscheidungskompetenzen in einem R/3-Projekt durchaus nicht identisch zu sein mit der "normalen" Unternehmenshierarchie. Ziel sollte es vielmehr sein, grundlegende Entscheidungen spätestens innerhalb von ein bis zwei Wochen herbeizu- führen.

- Die frühzeitige und weitreichende Information aller Betroffenen einschließlich des Betriebsrats durch Informationsveranstaltungen, regelmäßige Projektinformationsblätter oder schwarze Bretter. Zum Inhalt gehören die bisher erzielten Ergebnisse, aufgetretene Probleme und vorgesehene Änderungen in der Organisation und den Geschäftsprozessen.

- Umfassende und frühzeitige Schulungen, die je nach Zielgruppe unterschiedlich aufzubauen sind (Management, Customizer, Anwender).

- Rechtzeitiges und über den Produktivstart hinausgehendes Akzeptanz-Management, das heißt, Maßnahmen zur Messung und Steigerung der Anwenderzufriedenheit.

Der (Teil-)Projektleiter und jeder Arbeitskreisleiter wird somit neben seinen bekannten Aufgaben auch zum Akzeptanz-Manager. Dazu benötigt er spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Diskussionsführung, Motivation und Konflikt-Management. Da vom SAP-Berater in erster Linie fundierte betriebswirtschaftliche und Systemkenntnisse erwartet werden, sind in vielen Fällen Zusatzqualifikation oder Fachberater notwendig.

Es reicht jedoch nicht, nur die Berater zu schulen. Auch auf Kundenseite ist eine Schulung, zum Beispiel der Arbeitskreisleiter zu Projektbeginn, wünschenswert. Aus eigener Erfahrung können sie oft potentielle Konfliktsituationen besser erkennen als Externe. Ziel des Akzeptanz-Managements bei der R/3-Einführung ist somit eine Berücksichtigung der weichen Projektfaktoren, um Konflikte möglichst produktiv in Projektarbeit umsetzen zu können.

Angeklickt

Technologiebasierte Einführungskonzepte gibt es in steigender Zahl - eine späte Reaktion auf anhaltende Kundenkritik aus unterschiedlichen Gründen. Zwar können diese Konzepte in der Tat die Implementierungsphase verkürzen und ein rascheres Prototyping ermöglichen als bisher, doch erzwingt das Plus an technischen Kommunikationsmöglichkeiten und an Machbarkeit nicht automatisch eine reibungslose Akzeptanz der einzuschleifenden Veränderungen bei allen Betroffenen. Weiche Faktoren spielen eine viel größere Rolle, als "Technologen" häufig einzuräumen bereit sind. Aber es gibt auch eine "Motivationstechnologie."

÷Sabine Erlemann ist Geschäftsfühererin des instituts für psychologisches Management in Konz bei Trier. *Jörg Hofmann ist Geschäftsführer der Pikon GmbH in Saarbrücken.