Für Investitionsgüterindustrie liegt Wertschöpfung im Software-Management:

Technisches Produktangebot reicht nicht aus

18.03.1988

Viele Unternehmen der investitionsgüterproduzierenden Industrie haben die Veränderung der Wertschöpfung hin zur Software nicht frühzeitig genug erkannt. Durch ihr defensives Verhalten befinden sie sich nunmehr in einer Situation, die schnelles Handeln erfordert. Werner Knetsch* erörtert die Probleme und Konsequenzen.

Das Beispiel eines Herstellers von Industrieöfen und Wärmeanlagen verdeutlicht die Problemsituation: Das Management gesteht ein, daß es die Bedeutung von speicherpro-grammierbaren Steuerungen nicht rechtzeitig erkannt hat und daher dem elektrotechnischen Konstruktionsbereich (ETB) zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. So ist der ETB zum neuralgischen Kapazitätsengpaß in der Auftragsabwicklung geworden, weil einerseits große Probleme bestehen, genug Softwarepersonal zu finden, andererseits wegen der erforderlichen Kundenspezifizierung jeder Auftrag durch die Softwareabteilung bearbeitet werden muß. Die Folge dieser Engpaßsituation sind Lieferterminüberschreitungen, verbunden mit Konventionalstrafen, schlechter Dokumentation der Software und Qualitäts-problemen, die einen hohen Service- und Wartungsaufwand zur Folge haben.

Die beschriebene Problemsituation stellt eine nachhaltige Gefährdung der Kosten- und Wettbewerbsposition des Unternehmens dar. Was hier durch das Management eines Unternehmens des Industrieofenbaus drastisch zum Ausdruck gebracht wird, gilt in ähnlicher Weise für weite Bereiche des investitionsgüterproduzierenden Gewerbes: Die Kostenstrukturen, die Wettbewerbsdifferenzierung und die Erschließung von Wachstums-potentialen im Investitionsgütermarkt hängen weitgehend von der Wirtschaftlichkeit und der Leistungsfähigkeit in der Softwareerstellung ab.

Der Bedarf des Endanwenders von technologieintensiven Investitionsgütern nach konkreten Anwendungslösungen, umfassender Unterstützung zur Systemintegration und schneller Erlernbarkeit der Systeme führt dazu, daß auf der Seite des Investitions-güterherstellers eher die fachliche Lösungskompetenz als eine technische Leistungs-darstellung verlangt wird. Gefragt ist nicht das ideale Produkt, sondern ein Anbieter ganzer Anwendungssysteme die einer Gesamtbetrachtung von Kosten und Nutzen standhalten.

Größere Industrieunternehmen haben auf diese Herausforderung durch den Einkauf von Software- und Systemhäusern reagiert. Mit diesen Firmenkäufen werden vorrangig zwei strategische Ziele verfolgt, nämlich eine Deckung des Know-how-Bedarfs im Softwarebereich, und Investition in einem Geschäftsbereich mit überproportionalen Wachstumsperspektiven.

Kleine und mittelständische Unternehmen besitzen häufig jedoch nicht die Liquidität für Firmenakquisitionen. Ihnen bleibt der Weg, über strategische Partnerschaften mit Software- und Systemhäusern den Softwareeinflüssen auf ihr Geschäft zu begegnen und eigene Defizite auszugleichen.

Hinzu kommt, daß das Zusammenwachsen von Informations- und Kommunikations-technik umfassende Integrationskonzepte erfordert, um unterschiedliche Rechner, Softwaresysteme und Datenbestände miteinander zu verbinden. Für viele Anwenderunter-nehmen ist die Verbindung von Beratungs-, Software- und Integrationsleistung sehr wichtig, da sie eine Betreuung aus einer Hand suchen.

Das Softwarehaus wird durch diese Dienstleistung zum Systemintegrator, der zwischen Systemhersteller und Anwender tritt. Der Systemintegrator als neuer Typus von Dienstleister in der Softwareindustrie wird in naher Zukunft, sowohl auf Kosten klassischer Softwarehäuser als auch auf Kosten der Hardwarehersteller, deutliche Marktanteilsgewinne verzeichnen. Dem Hersteller von technologie-intensiven Investitionsgütern bleibt keine Wahl: An die Stelle von technischen Produktkonzepten sind anwendungsbezogene System-konzepte getreten, bei denen die Hardware einen immer kleineren Anteil darstellt. Erst die Software und Integrationsleistung beim Anwender machen aus dem Produkt ein System, das dem Anwender den erwarteten Gesamtnutzen bringt.

Den Hersteller komplexer Investitionsgüter, der heute nicht in der Lage ist, sein technisches Produktangebot mit der erforderlichen Software und Dienstleistung auszustatten, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahr 2000 nicht mehr geben.