Technik unterliegt dem Prinzip der Verantwortung

12.06.1987

Dr. Karl Eugen Becker, Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure VDI Düsseldorf

These 1: Technik und Wissenschaft sind Werkzeuge des Menschen - nicht mehr und nicht weniger.

Ihr Gebrauch unterliegt dem Prinzip der Verantwortung: Erst der Mensch bestimmt, wie sie eingesetzt werden. Auch die in Zukunft immer "intelligenteren" Techniken werden nicht das Prinzip der Verantwortlichkeit des Menschen ersetzen; dementsprechend ist es erforderlich, Chancen und Risiken von Technikfolgen rechtzeitig abzuschätzen und zu bewerten. Dabei muß der Öffentlichkeit allerdings auch deutlicher bewußtgemacht werden, daß auch künftig ein Leben ohne technische Restrisiken nicht möglich ist. Deren Grenzen sind - unter weitestmöglicher gesellschaftlicher Übereinstimmung - von der Politik festzulegen; Aufgabe der Ingenieure ist es, in diesen Prozeß ihren technischen Sachverstand einzubringen.

These 2: Technik und Wissenschaft sind Kulturgut.

Technisches Grundwissen gehört daher zur Allgemeinbildung und muß an allen allgemeinbildenden Schulen vermittelt werden. Dabei ist die Vernetzung von Technik, Gesellschaft und Umwelt aufzuzeigen. Auch in die Ingenieurausbildung sind die technikübergreifenden gesellschaftsrelevanten Studieninhalte aufzunehmen; nach Auffassung des VDI sollten sie etwa 20 Prozent des Studienstoffes umfassen. Nach Abschluß der Ausbildung fordert der rasche technologische Wandel von Ingenieuren wie von Nicht-Technikern die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Das Konzept für diese Fort- und Weiterbildung sollte von Hochschulen, freien Fortbildungsinstitutionen und Wirtschaft gemeinsam gestaltet werden.

These 3: Die wachsende Weltbevölkerung kann nur mit Hilfe von Technik und Wissenschaft ihre Bedürfnisse befriedigen und vor unerträglichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Belastungen bewahrt werden.

Die Probleme der weltweit wachsenden Erdbevölkerung erfordern einen erheblich verstärkten Technikeinsatz - allerdings besser auf die Bedürfnisse der einzelnen Länder abgestimmt. Der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik muß zudem bewußtgemacht werden daß sozialer Frieden und Wohlstand unseres dichtbesiedelten, exportabhängigen Landes von unserer dauerhaften internationalen Spitzenstellung in Technik und Wissenschaft abhängig sind. Dies erfordert nicht nur Erforschung und Entwicklung, sondern auch Produktion und Anwendung von Schlüsseltechnologien im eigenen Land.

These 4: Konkurrenz und Dynamik des technischen Fortschritts erzeugen oft Ungleichgewichte,

zum Beispiel bei der Nutzung natürlicher Ressourcen, durch weltweite demographische Veränderungen, durch das Nord-Süd-Gefälle. Diese gilt es zu erkennen und im Interesse des Gemeinwohls auszugleichen. Ein derart an menschlichen Bedürfnissen orientierter technischer Fortschritt entfaltet sich am besten in einem politisch stabilen Gesellschaftssystem mit sozial verpflichteter Marktwirtschaft. Forschung und Technik sind dort kein Selbstzweck: Sie dienen dem Menschen und seiner Umwelt und müssen dies auch überzeugend öffentlich darstellen, um die erforderliche breite gesellschaftliche Zustimmung zu finden. Sich hieran engagiert zu beteiligen, ist ein Auftrag an alle Ingenieure.

These 5: Technologie- und Umweltpolitik erfordern künftig eine verstärkte internationale Zusammenarbeit.

Dies gilt nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen für besonders aufwendige Spitzentechnologien wie Mikroelektronik, Luft- und Raumfahrt. Die Solidarität zwischen den Nationen bei der Entwicklung und Nutzung dieser Technologien schafft zugleich auch Vertrauen. Umweltschutzmaßnahmen gegen globale Belastungen werden erst bei international harmonisiertem Vorgehen voll wirksam. Dabei müssen unter anderem auch einheitliche Grenzwerte für die zulässige Umweltbelastung festgelegt werden; diese sollten sich allerdings nicht an den meßtechnisch noch nachweisbaren Werten orientieren, sondern an den tatsächlichen Schädlichkeitsgrenzen für Mensch und Umwelt.

Fortschritt - nicht zu trennen vom gesellschaftlichen Konsens

Der Verein Deutscher Ingenieure ist davon überzeugt, daß die Bundesrepublik als rohstoffarmes und hochindustrialisiertes Land zu ihrem Überleben auf einen sinnvollen technischen Fortschritt angewiesen ist - auf einen Fortschritt allerdings, der auf die Bedürfnisse des Menschen sowie seiner Umwelt ausgerichtet ist und deshalb von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden kann. Als einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung über das Thema "Forschung und Technik - Freiheit und Verantwortung" versteht der VDI fünf Thesen, die er auf dem Deutschen Ingenieurtag 1987 im Mai 1987 in München formulierte.