Technik auf höchstem Niveau

27.04.2006
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.
Die Fußball-WM 2006 stellt hohe Anforderungen an die IT und die technische Infrastruktur. Eine tragende Rolle bei der Umsetzung spielen WM-Sponsoren und FIFA-Partner wie Avaya, Telekom und Toshiba.

Am 9. Juni ist Anpfiff. Dann beginnt mit dem Spiel Deutschland gegen Costa Rica die Fußball-WM 2006 - das auf Jahre hinaus größte sportliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ereignis in Deutschland. Rund 3,2 Millionen Zuschauer in den Stadien und viele Milliarden Menschen an den Fernsehschirmen weltweit werden die insgesamt 64 Spiele verfolgen. Die Tourismusbranche rechnet mit einem Umsatzplus von drei Milliarden Euro, Wirtschaft und Industrie hoffen auf ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent.

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Die IT-Infrastruktur der WM 2006

• Für das Netzwerk in den Stadien sind 500 bis 600 Switches notwendig. Die Kabeltrassen haben eine Gesamtlänge von rund 1000 Kilometern. Für das WM-Netz werden insgesamt rund 15000 Kilometer Kupferkabel benötigt.

• Ans konvergente Netz, das Sprache und Daten überträgt, sind rund 4500 Geräte angeschlossen. Dazu gehören rund 3000 IP-Telefone.

• An den Reporterplätzen und den Medienbereichen der Stadien werden rund 10000 Flachbildschirme mit Größen von 16 bis 50 Zoll aufgestellt. Die Groß-Videowände beim Public Viewing sind zwischen 60 und 200 Quadratmetern groß.

• "Intelligente" Verkehrsleitsysteme in den meisten WM-Städten sollen dafür sorgen, dass ortsfremde Autofahrer schnell den Weg zum Stadion und zum nächsten freien Parkplatz finden. Die Basis bilden Informationen über aktuelle Störungen und Unfälle, die Polizeibeamte über mobile Endgeräte in das System eingeben. Mit diesen Daten steuern Mitarbeiter in der Verkehrsleitzentrale dann beispielsweise Wechselwegweiser oder Ampeln und leiten so den Individualverkehr durch die Stadt zu den Veranstaltungsstätten.

• Ein besonderer Service für die Besucher der WM-Stadien ist das Lotsensystem COX (Communication and Orientation eXpert), eine Entwicklung der Multimedia Initiative Hessen. Die Lösung läuft auf handelsüblichen Mobiltelefonen und tragbaren Endgeräten, welche die Ortungs- und Funktechnologien GPS, GSM, GPRS, WLAN und Bluetooth empfangen können. COX berechnet wahlweise die schönste, schnellste oder kostengünstigste Route zum Stadion, gleichgültig ob die Besucher mit dem Auto, dem Zug, oder zu Fuß kommen.

Die WM 2006 ist zugleich auch ein Hightech-Großereignis: Wie bei keiner Weltmeisterschaft zuvor wird auf IT und Technologie gesetzt. "Sämtliche organisationsbezogenen Abläufe der WM werden durch Informationssysteme unterstützt. Diese sind untereinander vernetzt und an allen relevanten Standorten zugänglich", erläutert Ralph Dietz, Leiter IT & Telekommunikation beim lokalen WM-Organisationskomitee (LOC). Die Anwendungen für die Turnier-Organisation sind unter dem Begriff "Event Management System" zusammengefasst. Dazu gehören Akkreditierung, Transportsteuerung, Protokoll-Management, Material und Logistik sowie die Einsatzplanung für rund 15 000 freiwillige Helfer (Volunteers).

Neben dem Event Management System sind noch weitere Informationssysteme im Einsatz, etwa für die Office-Kommunikation oder für Ergebnisdienste. All diese Systeme sind über ein geschlossenes Netzwerk verbunden, das nur die FIFA, das LOC sowie seine Mitarbeiter und Volunteers zur Sprach- und Datenkommunikation nutzen. "Weitere wichtige technologische Aufgaben sind die Vernetzung der Medienzentren, die Ausstattung der Medienarbeitsplätze, elektronische Zugangskontrollen in den Stadien, das Telefonnetz mit ISDN und Voice over IP, Breitband-Internet-Zugänge oder IT-gestützte Verkehrsleitsysteme", fasst Dietz die hohen Hightech-Anforderungen zusammen.

Sponsoren sorgen für die IT-Infrastruktur

Für die Realisierung der ITK-Infrastruktur sorgen die offiziellen Technologiepartner der FIFA, namentlich Avaya, Deutsche Telekom (insbesondere T-Systems), Philips, Toshiba und Yahoo. "Jeder der technischen Partner der FIFA hat zugeordnete Rechte, seine Produkte und Lösungen einzubringen", sagt Dietz. So stellt Toshiba während der WM alle Notebooks für die Mitarbeiter der FIFA, des LOC sowie für die freiwilligen Helfer bereit, die in den Medienzentren und Stadien für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Die rund 1800 Portables unterstützen unter anderem beim Ticketing, der Akkreditierung sowie der technischen Planung und dem Ablauf des Großereignisses.

Den Aufbau und Betrieb des Netzwerks teilen sich die Deutsche Telekom und Avaya. Während die Bonner sämtliche Weitverkehrsnetze, Kommunikationsanschlüsse und deren Bereitstellung in den Stadien realisieren, kümmert sich Avaya um das konvergente Netzwerk für Sprach- und Datenkommunikation innerhalb der Stadien sowie deren Vernetzung untereinander. "Die Deutsche Telekom installiert und betreibt zudem die komplette Infrastruktur zur Versorgung der Medienarbeitsplätze und der TV-Broadcaster", beschreibt Dietz.

Ebenfalls im Boot sitzen Philips und Yahoo. Philips liefert etwa die RFID-Chips für die 3,2 Millionen Tickets, die Beleuchtung für acht der zwölf WM-Stadien, Flachbildschirme für die Medienzentren und Pressetribünen sowie die großen Videowände für die Fan-Feste beim Public Viewing in den WM-Städten. Yahoo betreibt als exklusiver Internet-Dienstleister der FIFA die offizielle WM-Web-Seite www.fifaworldcup.com sowie den Media-Channel für akkreditierte Journalisten. "Dies beinhaltet die technische Dienstleistung, die redaktionelle Betreuung und die weltweite Vermarktung der offiziellen Website", erläutert Christian Muche, Director International Sales & Marketing Yahoo FIFA Partnership. Yahoo will den zu erwartenden Rekord-Traffic - bei der WM 2002 waren es rund zwei Milliarden Seitenaufrufe - mit seinem existierenden Netzwerk bewältigen.

Zeitdruck und hohe Komplexität

Die größte Herausforderung für die IT-Verantwortlichen bei der WM 2006 ist der Aufbau des komplexen, konvergenten Netzwerks unter großem Zeitdruck. Da sich alle WM-Stadien im regulären Betrieb der Bundesligasaison befinden, sind dort vor dem letzten Spieltag keine Veränderungen in der IT-Infrastruktur möglich. "So bleiben uns nicht einmal zwei Wochen Zeit, um dort das komplette Netzwerk aufzubauen und in Betrieb zu nehmen", erklärt Karsten Hobbie, Leiter des Projektteams für das FIFA-Netzwerk bei Avaya. In den Stadien kann Avaya zwar auf vorhandenen Komponenten aufsetzen, muss aber Elemente wie Core-Switches, Communications-Server oder WLAN-Access-Points extra installieren.

70 Standorte sind miteinander zu vernetzen

Eine weitere Herausforderung ist die Vielzahl der anzubindenden Standorte. "Insgesamt müssen wir rund 70 Locations miteinander vernetzen. Das ist zu vergleichen mit einem großen Unternehmen mit verschiedenen Niederlassungen, die unterschiedliche Anforderungen haben", so Projektleiter Hobbie. Neben den zwölf WM-Stadien verbindet das Sprach- und Datennetz beispielsweise das internationale Medienzentrum, die Hotels der FIFA und der Mannschaften, Bahnhöfe und Flughäfen, an denen jeweils "Welcome Center" zur Information der Gäste stehen, das zentrale IT-Kontrollzentrum der FIFA in München oder das Data Center in Bamberg, das für das Event Management System der FIFA zuständig ist.

Für das ATM-Weitverkehrsnetz und die Anbindung der einzelnen Standorte ist die Deutsche Telekom, speziell T-Systems, zuständig. "Die FIFA erwartet in den Daten- und Sprachnetzen eine Qualität, die sogar die Anforderungen von Kunden aus der Wirtschaft übersteigt", betont Udo Großecappenberg, Projektkoordinator bei T-Systems. Um die vertraglich vereinbarte Verfügbarkeit von 99,9 Prozent zu gewährleisten, sind sämtliche Verbindungen doppelt ausgelegt. Im IT-Kontrollzentrum in München überwachen und steuern die Experten von T-Systems und Avaya das Weitverkehrsnetz, die Stadiennetze und die wichtigen Verbindungsknotenpunkte, um Engpässe zu vermeiden. Sollten trotzdem Störungen auftreten, greifen ausgeklügelte Backup-Systeme. Im Data Center von T-Systems in Bamberg beispielsweise sind sämtliche Systeme und Datenbanken gespiegelt.

Tests bringen das Netz an die Belastungsgrenze

Auch für die Sicherheit ist gesorgt. Firewall- oder Intrusion-Detection-Systeme blocken Angriffe ab oder überwachen das Netz auf auffällige Aktivitäten und unberechtigte Zugriffe. Mit umfangreichen Tests im Vorfeld bringen die Verantwortlichen das Netz an die Belastungsgrenze, um den reibungslosen Ablauf während der WM zu gewährleisten. Da die Konzentration der Sicherheit im Datenverkehr gilt, erhalten auch die rund 1800 Toshiba-Notebooks der Organisatoren automatisch Updates von Antiviren-Programmen, wenn sie sich ins Netz einwählen. "Das ist kein einfaches Unterfangen, wenn man sieht, dass wir selbst temporäre Lokationen der FIFA wie Zeltstädte, Container oder Hotels an unsere Netzplattform anbinden", gibt Großecappenberg zu bedenken.

T-Systems rüstet auch alle zwölf Stadien mit Medienarbeitsplätzen aus und vernetzt diese mit den Redaktionen. Insgesamt erwarten die Organisatoren rund 15000 akkreditierte Medienvertreter (Journalisten und Techniker) aus aller Welt, die über die WM berichten. So installiert T-Systems auf den Pressetribünen, in Studios und weiteren Medienbereichen schnelle 2-Mbit/s-Internet-Anschlüsse in doppelter Auslegung sowie rund 30000 ISDN-Telefonanschlüsse. Die Pressezentren erhalten zusätzlich WLAN-Funknetze. Für die FIFA errichtet die Telekom-Tochter zusammen mit Avaya außerdem ein eigenes, bundesweites VoIP-Netz für rund 3000 IP-Phones. "Durch VoIP sparen wir Kosten, und jeder Mitarbeiter erhält eine feste Rufnummer, über die er immer erreichbar ist", freut sich LOC-Koordinator Dietz.

Die Zentrale für die Medien ist das Internationale Medienzentrum (IMC) auf dem Messegelände in München. Dieses teilt sich auf in das International Broadcasting Center (IBC) für TV- und Radioanstalten sowie das Main Press Center (MPC) für die schreibende Zunft. Die Ausrüstung des MPC ist identisch mit der in den Stadien-Medienzentren. Im IBC ist T-Systems Media & Broadcast Partner von HBS, dem offiziellen Broadcasting-Partner der FIFA.

TV-Signale werden über Glasfaser versandt

Hier gibt es ein Novum. "Die TV-Signale aus dem Stadion werden erstmals über ein Glasfaserkabel an das Sendezentrum im IBC übermittelt und erst von da aus via Satellit an die verschiedenen Länder verteilt", erklärt Dietz. Das Glasfaserkabel stammt von T-Systems und kann dank konstanter Transferraten von 155 Mbit/s die großen Datenmengen übertragen. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 werden die TV-Bilder erstmals im digitalen Format HDTV (High Definition Television) und damit im Breitbildformat 16:9 übertragen.

Fans, die das Glück haben, ein Spiel live vor Ort ansehen zu können, gelangen über elektronische Zugangssysteme in die Stadien. "Eine Herausforderung für uns ist die Implementierung des WM-Ticketing mit der Integration der RFID-Technik (Radio Frequency Identification) in die vorhandenen Zutrittskontrollsysteme der Stadien", so LOC-Mann Dietz. Um Fälschungen und Schwarzhandel auszuschließen, sind die 3,2 Millionen WM-Tickets mit Funketiketten ausgestattet.

Die Funkchips auf den Tickets stammen von Philips. "Der WM-Chip ist seit zwei Jahren auf dem Markt und damit eine bewährte Technik. Wir haben davon bereits 100 Millionen Chips verkauft", argumentiert Cord Bartels, Projekt-Manager für WM-Ticketing bei Philips, gegen Zweifel an der noch jungen Technik. Auf den Funketiketten, deren Wert jeweils etwa zehn Cent beträgt, sind keine personenbezogenen Daten, sondern ein verschlüsselter Code gespeichert.

Bei der WM 2006 passieren jedes Drehkreuz im Stadion stündlich bis zu 1000 Besucher. An den Kreuzen befinden sich Lesegeräte, die die auf den Chips gespeicherten Informationen an einen zentralen Rechner senden. Der gleicht den verschlüsselten Code mit einer Datenbank ab. So wird innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde festgestellt, ob die Karte gültig ist und der Zugang freigeschaltet beziehungsweise verwehrt wird. Auf diese Weise müssen die Ordner nicht mehr jedes Ticket einzeln per Hand kontrollieren. Der Fan gelangt dadurch ohne größere Wartezeiten zu seinem Platz - wenn alles so funktioniert wie vorgesehen. (hv)