Anforderungen und Berufschancen fuer Multimedia-Spezialisten

Teamarbeiter mit vielfaeltigem Wissen ersetzen Einzelkaempfer

19.04.1996

Waehrend klassische Industriebereiche stagnieren, versprechen Multimedia-Aktivisten arbeitslosen Akademikern rosige Zukunftsaussichten. Ueber entsprechende Weiterbildungsangebote koennten sie vom Online- und Interactive-Boom profitieren.

Satte 300 Milliarden Mark Investitionsvolumen bis zum Jahr 2000 erwartet das Bundesministerium fuer Forschung und Technologie vom Multimedia-Markt. Im Rahmen einer Studie zu Risiken und Chancen der digitalen Revolution rechnet das Bonner Zukunftsministerium mit rund zehn Millionen neuen Arbeitsplaetzen in Europa. Ab dem Jahr 2000, so die Studie, koennte Multimedia mehr Arbeitsplaetze als die Automobilindustrie zur Verfuegung stellen. Trotzdem herrscht Unsicherheit am Arbeitsmarkt. Dem Bedarf nach Multimedia- Spezialisten in Unternehmen steht Unklarheit ueber Inhalte und Anforderungen der Ausbildung gegenueber. Berufe wie der vor rund 15 Jahren konzipierte Datenverarbeitungskaufmann decken moderne Unternehmensanforderungen wie Firmen- und Produktpraesentation auf CD-ROM, Shopping-Malls, Point-of-Sale-(POS-)Applikationen oder Internet-Homepages nicht mehr ab.

Statt dessen wuchert die Eigenkreation. Unternehmen, Verbaende und Organisationen verpassen Mitarbeitern immer neue Berufsbezeichnungen. So erfuellt ein "Assistant Strategic Information Operator" dieselben Aufgaben wie ein "Multimedia- Projekt-Manager", und "Screen-Designer" erledigen die Arbeit herkoemmlicher DTP-Operatoren. Dem Deutschen Kommunikationsverband waere ein einheitliches Berufsbild "Kommunikationsfachmann/-frau" beziehungsweise "Kommunikations-Manager/-in" am liebsten.

Da aber Berufsverbaende und politische Gremien im allgemeinen bis zu fuenf Jahren benoetigen, um ein Berufsbild abzusegnen, duerften ihre Vorschlaege die Zukunft des Multimedia-Arbeitsmarktes kaum beeinflussen.

Der Multimedia-Markt ordnet sich vielmehr selbst. Einige Weiterbildungsanbieter haben die Zeichen der Zeit erkannt, versuchen sich an den tatsaechlichen Erfordernissen der Wirtschaft zu orientieren und praesentieren neue Lehrgangskonzepte: Statt Multimedia-Generalisten werden heterogene Entwicklerteams generiert, in die jeder Teilnehmer sein spezielles Fachwissen einbringen kann. Arbeitssuchende aus den Bereichen Grafik/Design, Programmierung, Text sowie Video- und Tonspezialisten, Ingenieure, Kuenstler und Paedagogen arbeiten in Kleinstgruppen Hand in Hand. Unter Echtzeitbedingungen entwickeln sie Projekte fuer Industrie und Wirtschaft.

Ziel der Ausbildung ist es, neben Fachwissen vor allem Verstaendnis fuer die Anforderungen und Techniken anderer Bereiche zu entwickeln: "Die Wirtschaft braucht Spezialisten mit Blick ueber den Tellerrand. Das Prinzip des multimedialen Einzelkaempfers ist gescheitert", behauptet Ulrich Wienpahl, Geschaeftsfuehrer der Semantec GmbH in Koeln.

Nach Ansicht des Multimedia-Experten sind nur heterogene Entwicklerteams in der Lage, die vielfaeltigen Aspekte kuenftiger Multimedia-Produktionen abzudecken. "Designer muessen nicht zu Programmierern werden, Texter erziehen wir nicht zu Grafikern um", so Wienpahl. Der einzelne muss jedoch die Anforderungen der Nachbarbereiche verstehen, um ergebnisorientiert arbeiten zu koennen.

Absolventen solch ganzheitlicher Kurse bieten sich vielfaeltige Arbeitsmoeglichkeiten. Neben der Einzelbewerbung ist besonders die Vorstellung als Team zu nennen, die innerhalb der Wirtschaft auf Interesse stoesst. Freie Multimedia-Agenturen werben eingespielte Entwicklerteams an, die ohne Einarbeitung Projekte realisieren koennen. Darueber hinaus ist fuer solche Gruppen auch die Gruendung einer eigenen Agentur denkbar, erklaert Wienpahl: "Wer schon in der Ausbildung erste Kontakte zu potentiellen Auftraggebern knuepft, wird seinen Platz am Multimedia-Markt finden."

Von den Chancen der neuen Informationstechnologie sind auch internationale Konzerne ueberzeugt. Wolfgang Kohnle von der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG haelt zwar "Arbeitsplaetze in Millionenhoehe" fuer unrealistisch, sieht aber das zukunftsweisende Potential: "Seit 1987 haben wir aus unserer Ausbildung zum Informationstechnologen rund 500 Absolventen in den Arbeitsmarkt entlassen. Davon haben 90 Prozent einen Arbeitsplatz gefunden - fuer uns eine ueberzeugende Quote." Neben herkoemmlicher Festanstellung sieht er die freiberufliche Taetigkeit als entscheidende Arbeitsform der Zukunft an: "Mit 35 Wochenstunden, die der Tarifvertrag vorsieht, sind Multimedia-Projekte nicht zu realisieren. Ueber 40 Prozent unserer Absolventen sind freiberuflich taetig."

Entscheidendes Kriterium fuer einen erfolgreichen Start in den Arbeitsmarkt ist Kohnles Ansicht nach die Vielseitigkeit der Ausbildung. Neben Grundlagen der Mediendidaktik und der Vermittlung von Basiswissen zu verschiedenen Betriebssystemen (Mac, MS-DOS/Windows, Unix), sollten besonders technische Kenntnisse im Vordergrund stehen. In der Regel gilt: Standardsoftware (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation) und die Grundlagen der Multimedia-Hardware (Grafikkarten, Videokameras, Server-Systeme) sollten in jedem Kurs enthalten sein.

Darueber hinaus gehoeren Video-, Ton- und Bildbearbei- tung, Typografie und Computer- animation zur Grundvoraussetzung einer sinnvollen Weiterbildung. Wichtigster Bestandteil eines Multimedia-Kurses ist jedoch die Vermittlung von Fachwissen im Bereich Multimedia-Software und Online-Dienste. Kenntnisse gaengiger Autorensysteme und das Wissen um Uebertragungsprotokolle, Kompressionsverfahren und die Modem-Befehlssaetze wuerden vom Arbeitsmarkt verlangt.

Nach Abschluss der Theorievermittlung folgt meist eine intensive Projektphase, in der der Lehrstoff praktisch angewendet wird. Der Aufbau einer Net-Town im Kursraum als Simulation des World Wide Web, die Programmierung einer Internet-Homepage oder die Konzeption und Erstellung einer POS-Applikation gehoeren zu den Standardaufgaben.

Die Arbeitsaemter foerdern Weiterbildungskurse im Bereich Multimedia (siehe Kasten). Erfuellt der Teilnehmer bestimmte Voraussetzungen, werden die Kosten der in der Regel zwoelf Monate dauernden Ausbildung uebernommen.

Arbeitsamt foerdert Multimedia-Kurse

Das Arbeitsamt kann jeden foerdern, der arbeitslos gemeldet oder von Arbeitslosigkeit bedroht ist (Kuendigung muss vorliegen), den Eignungstest besteht und im Anschluss an die Qualifizierung - auch unter Beruecksichtigung der Persoenlichkeit - vermittelt werden kann.

Die Hilfe nach dem Arbeitsfoerderungsgesetz (AFG) umfasst mindestens die vollen Lehrgangsgebuehren sowie ein Unterhaltsgeld, wenn der Teilnehmer Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezieht beziehungsweise bezogen hat. Da eine vom Arbeitsamt gefoerderte Weiterbildung noch als versicherungspflichtige Beschaeftigung eingestuft wird, entsteht daraus ein weitergehender Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Teilnehmer waehrend des betreffenden Zeitraums Unterhaltsgeld bezieht.

*Christian Gerhardus ist freier Jounalist in Koeln.