Drei Halbsätze reichen
Auch der Lörracher Professor Hanser begrüßt die strukturellen Veränderungen in den Organisationen: "Der Projektleiter wird zum Diener des Projekts, der die Hindernisse beiseiteräumt." Führung durch Autorität und Hierarchie sei auf dem Rückzug, "sozietäre Autorität" durch die richtige Zusammensetzung des Teams setze sich durch. Da ohnehin fast alle Entwickler studiert hätten, müsse ihnen auch kein Vorgesetzter zeigen, "wie sie den Bleistift halten sollen". Hinzu kommt, dass die neuen Aufgaben von der schriftlich geprägten Kommunikation entlang klassischer Hierarchieebenen nicht mehr erfüllt werden können. Eine "osmotische Kommunikation", fordert der Wissenschaftler Hanser, der sich dabei auf den Agile-Pionier Kent Beck bezieht: "Man bekommt viele wichtige Informationen nebenbei mit, wenn man im gleichen Raum sitzt." Und während früher eine kleine Spezifikation auf vier Seiten schriftlich definiert wurde, reichen dafür in der agilen Methode häufig drei Halbsätze. Die Details klären sich im Gespräch.
Derartige Umwälzungen schlagen sich auch auf den Arbeitsmittelpunkt nieder: "Nicht mehr Einzelzimmer, Schreibtisch und Stuhl sind die entscheidenden Kriterien für den Arbeitsplatz, sondern die Erfüllung der verschiedenen Raumbedürfnisse", sagt Dieter Boch, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (IAFOB) in Anzing bei München. Kommunikation, Recherche, Lernen, Konzentration und Erholung - heute habe man erkannt, dass diese Elemente in der Arbeit enthalten sind und ausbalanciert werden müssten.
Dienstleister für Mitarbeiter
Die vielleicht wichtigste Veränderung betrifft die Spitze: "In einem modernen Büro werden keine Unterschiede mehr für Führungskräfte gemacht", sagt Arbeitsforscher Boch, "und die einheitliche Lösung ohne Privilegien läutet das Ende des klassischen ,Vor-Gesetzten` ein." Seiner Ansicht nach habe die personelle Hierarchie alter Prägung ausgedient - "wir brauchen heute Führungskräfte und keine Manager - Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter bestmöglich mit Ressourcen versorgen und die Rahmenbedingungen organisieren, quasi Dienstleister am Mitarbeiter". Angesichts der zunehmenden Vernetzung der Spezialisten untereinander und ihrer guten Ausbildung sei die "hierarchisch strukturierte Führung des vorletzten Jahrhunderts" ohnehin nicht mehr zeitgemäß. Das alles ist "Sprengstoff für die Unternehmensstrukturen", warnt Vorgehensmodelle-Spezialist Hanser.
- Neue Bürowelt
Mitarbeiter sollen heute den Arbeitsplatz frei wählen und sich in offenen Räumen vernetzen. Accenture ( hier im Bild), Siemens und Telefónica praktizieren schon heute eine flexible Arbeitskultur. - Accenture
Große Glasfassaden, Ruhezonen, Besprechungsräume mit Telepresence und weite Flächen bestimmen das Bild. - Accenture
Wände, Vorhänge und Stühle sind je nach Stockwerk in bunten Farbtönen gehalten. Freihängende oder stehende Wände und Deckenpaneele absorbieren die Geräusche. - Accenture
Auf den Schreibtischen befinden sich lediglich Telefone und Netzwerkkabel. Wer mehrere Tage im Gebäude ist, kann seine Utensilien in Schließfächern verstauen. - Siemens
Die Herausforderungen, die sich durch das "Siemens Office" ergeben, sind gewaltig: Etwa 140.000 Arbeitplätze werden über die kommenden Jahre umgestaltet. - Siemens
Unter "Siemens Office" versteht der Konzern fünf Kernelemente: mobile Working, Work-Life-Integration, mobile IT, offene Bürolandschaften und die freie Arbeitsplatzwahl. - Siemens
Zur offenen Bürolandschaft gehören weite Räume und "Think Tanks", die durch Glaswände abgetrennt sind und für Besprechungen oder längere Telefonate genutzt werden. Als Raumteiler dienen Bambusstäbe und Pflanzen. - Siemens
Spezielle "Meet-and-Talk"-Bereiche sind für Gespräche und Telefonate vorgesehen. - Telefónica
Auch Telefónica erprobt gerade ein neues Bürokonzept. - Telefónica
Um das Zwischenergebnis zu begutachten, muss man mit dem Fahrstuhl 36 Stockwerke nach oben fahren, denn eines der drei Pilotprojekte befindet sich im "Uptown München", dem höchsten Gebäude der Stadt. - Telefónica
Die Bürofläche ist in verschiedene Zonen eingeteilt: Erst betritt man eine große Lounge, dann verschiedene Arbeitsbereiche. Im Inneren des Bürokomplexes sind verschiedene Besprechungsräume und Fokus-Boxen, in die sich die Angestellten für Gespräche zurückziehen. - Telefónica
Der Laptop wird am Schreibtisch per USB-Dockingstation an das Firmennetz angeschlossen, ansonsten ist alles mit WLAN ausgeleuchtet, um Bewegungsfreiheit zu haben.
Der Ledersessel ist bedroht
Das letzte Wort, der große Schreibtisch und auch der Ledersessel sind bedroht - nur die wenigsten Manager werden die Veränderungen mit offenen Armen empfangen. "Das alles trägt jedoch nicht zur Wirtschaftlichkeit und Innovationskraft des Unternehmens bei", sagt Arbeitsforscher Boch. Gerade die für die deutsche Wirtschaft wichtigen Innovationen würden nur in einem entsprechenden Klima gedeihen, "in dem Mitarbeiter ihre Kreativität entfalten und ihre Ideen einbringen können". Auch Scrum-Coach Stapf ist sich sicher, dass sich die modernen Ansätze der Arbeitsorganisation durchsetzen werden: "Wer einmal richtig Blut in einem agilen Team geleckt hat, der will nicht mehr zurück."