Kolumne

Tchibo ist überall

08.09.2000
Christoph Witte, Chefredakteur CW

Was für Privatanwender inzwischen gang und gäbe ist, hält offenbar langsam auch in der Business-Welt Einzug: Über kostenlose IT-Produkte und -Dienstleistungen nehmen Anbieter ihre Klientel für sich ein. So buhlen sie mit freier E-Mail, virtuellen Offices, Webspace und Homepages um den User. Finanziert werden solche Selbstlosigkeiten entweder durch Werbung oder durch Einnahmen aus anderen Geschäften, die mit den angelockten Neukunden getätigt werden.

Jetzt hat Oracle dieses Konzept offenbar kopiert. Über den Web-Service "Oraclesalesonline.com" lassen sich seit vergangener Woche Grundfunktionen des Costumer-Relationship-Managements kostenlos nutzen. Dabei setzt der Datenbankanbieter darauf, dass der Appetit beim Essen kommt und sich die Kunden nicht sehr lange mit den kostenfreien Funktionen zufrieden geben werden. Außerdem hegen die Oracle-Verkäufer wohl die Hoffnung, dass sich über einen solchen Service weitere Geschäfte anbahnen lassen. Ob dieses theoretisch logische Konzept realen Profit abwirft, dürfte den Anwender nur am Rande interessieren. Schließlich fragt ein Kaffeetrinker auch nicht, womit Tchibo sein Geld verdient, mit Heizdecken, Goldkettchen oder den braunen Bohnen. Schmecken muß der Kaffee.

Die Qualität muss stimmen. Das gilt auch für IT- oder Web-Services - und zwar nicht nur für die kostenfreien, sondern vor allem für die bezahlten. Und da tauchen in letzter Zeit immer häufiger Probleme auf: Getrieben durch die Wachstumspflicht, investieren Anbieter in Neukundenakquisition und vernachlässigen dabei die Qualität. Jüngstes prominentes Beispiel ist das Projekt, das Oracle mit den Berliner Sozialämtern in den Sand gesetzt hat. Allerdings wäre es unfair, in diesem Zusammenhang nur den Datenbankspezialisten zu nennen. Es gibt wohl keinen Softwarehersteller, der keine Projektleichen im Keller hätte. Alle Anbieter können froh sein, dass es für Software keine Rückholaktionen gibt, sonst wären Desaster wie mit dem Audi TT oder jetzt beim amerikanischen Reifenhersteller Bridgestone an der Tagesordnung. Die Softwarehäuser würden schmerzhaft zu spüren bekommen, dass es den Kunden nicht um Gimmicks geht, sondern um Funktionssicherheit - und die darf ruhig etwas kosten. Kommentare zu diesem Kommentar? Bitte an cwitte@computerwoche.de