KOLUMNE

Tage der 370 sind gezählt

08.01.1993

Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse im IBM-Konzern wird deutlich, dass der Gebrauch des Begriffs "Unix-Krieg" fuer die Scharmuetzel unter den DV-Herstellern um den wahren Open-Systems- Glauben eine Uebertreibung ist. Natuerlich hat Unix im Sinne von "nicht mehr abhaengig zu sein von Big Blue" (die CW-Definition) etwas mit der IBM-Misere zu tun. Und gleichgueltig ist es nicht, ob eine Gruppe oder ein einzelner Anbieter fuer die weitere Unix- Entwicklung geradesteht (Seite 1: "..."). Gut, dass sich Novell auf eine breite Kundenbasis im PC-LAN-Markt stuetzen kann. Auch gut, dass es jetzt um die Gestaltung benutzerfreundlicher Anwendungen geht, nicht mehr um "Shells" und "Kernel". Aber wer wollte behaupten, dass bei den IBM-Mainframe-Anwendern eine wie auch immer geartete Unix-Ausrichtung hoechste Prioritaet haette.

Tage der 370

sind gezaehlt

Dieter Eckbauer

Nach wie vor ist dies lediglich eine moegliche Alternative, waehrend die gespannte Aufmerksamkeit den IBM-Ankuendigungen gilt - auch oder gerade weil diese den DV/Org.-Spezialisten neuerdings einiges abverlangen. Oder sollte aus den Akers-Verlautbarungen nicht klar genug hervorgegangen sein, dass jetzt sogar Big Blue die Tage der 370-Mainframes fuer gezaehlt haelt? Was deutsche IBM- Anwender zur aktuellen Situation zu sagen haben (Seite 1: "Die IBM hat wichtige Trends verschlafen"), stuetzt diese Vermutung allerdings nicht.

Selbst wer sich die Muehe macht, die Motive fuer das Festhalten am Mainframe-Konzept zu verstehen, wird auf gravierende Fehleinschaetzungen der IBM-Politik stossen: Angeblich steckten hinter jeder Open-Systems-Kampagne zu kurz gekommene Wettbewerber, Verlierer, die den Anwender ueber ihre eigentlichen Ziele, naemlich auch Unix proprietaer zu halten, im unklaren lassen wollten. Und angeblich koenne man diesen Einfluss nur mit IBM-Standards wie SNA, SAA, AD/Cycle, MCA oder OS/2 bekaempfen.

Dass sich Anwender, die heute Produkte bei Hewlett-Packard, Microsoft, Novell, Oracle oder Sun kaufen, nicht von Propaganda beeinflussen lassen, sondern unter anderem handfeste wirtschaftliche Interessen verfolgen, diese Tatsache ist der IBM- Konzernspitze in Armonk erst sehr spaet aufgegangen. Das Problem der "neuen" IBM ist, dass sie sich vom Mainframe-Diktat loesen will, ohne die Loyalitaet der Mainframe-Anwender zu zerstoeren. Sie weiss, dass Proprietaet zum Bumerang werden kann. Die SAA-Konventionen, mithin OS/2 und OS/400, spielen nur insofern noch eine Rolle, als sich die IBM ausgrenzt, ins Abseits manoevriert. Will sie das? Standards wie Posix, Motif, SQL, ANSI-C, TCP/IP oder OSI ermoeglichen Portierungen auf offene Plattformen, und davon profitiert - etwa bei der RS/6000 - nicht zuletzt auch Big Blue. Die IBM hat die Wahl. Hat die IBM noch eine Wahl?