Tabu der EDV-Gehälter?

11.04.1975

Dr. Ralf Tschmarke ist Chefberater der Handelsdienst GmbH, Hamburg, das Beratungsunternehmen des Arbeitgeberverbandes Groß- und Außenhandel (AGA), das sich unter anderem mit EDV-Gehaltserhebungen befaßt.

Um Mitarbeiter zum kostenbewußten Arbeiten anzuregen, ließ die Geschäftsleitung eines Rechenzentrums nach amerikanischem Vorbild Schilder an die Zentraleinheit und die Peripheriegeräte anbringen, auf denen die monatliche Miete und die Kosten der Arbeitsstunde vermerkt waren. Man stelle sich den Schock vor, wenn eines Tages, dem Beispiel entsprechend, vom EDV-Leiter bis zur Datentypistin jeder Mitarbeiter ein Schild mit der Angabe seines Jahresverdienstes tragen müßte, um die Einschätzung seiner Leistung durch die Geschäftsleitung zu offenbaren. Und dennoch: die Offenlegung der DV-Gehälter auch für mittlere und höhere Positionen ist heute keineswegs ein Tabu. Personalberater und Personalchefs größerer Unternehmen stehen in einem immer stärkeren Informationsaustausch. Andererseits trug die hohe Fluktuationsrate bei EDV-Mitarbeitern ebenfalls dazu bei, das geringe Wissen um dem eigenen Marktwert zu erweitern.

Neuerdings helfen auch bundesweite Gehaltserhebungen für den speziellen Sektor der EDV, allen Beteiligten eine bessere Markttransparenz zu vermitteln. Und schließlich veranlaßt die gegenwärtige Konjunkturphase viele Unternehmen, sich mehr um das Gehaltsgefüge ihrer DV-Abteilung zu kümmern. Es zeichnet sich die Tendenz ab, die Sonderstellung, die die EDV in Zeiten des Aufbaus und der Expansion in vielen Unternehmen genoß, durch echte Leistungskriterien abzubauen und das Gehaltsgefüge damit transparenter und gerechter zu gestalten. Ungerechtfertigte Traumgehälter die im Zeichen einer ausgesprochenen Mangelsituation gezahlt wurden, dürften daher in Zukunft immer größeren Seltenheitswert bekommen.

Suche nach objektiven Orientierungsgrößen

Wo findet man nun Anhaltspunkte für marktgerechte Gehälter im EDV-Bereich? Die mit erheblichem Aufwand seitens der statistischen Landesämter und des statistischen Bundesamtes durchgeführten Gehaltsstatistiken sind für die Gehaltsfindung in der Praxis kaum zu verwenden. Abgesehen von dem erheblichen timelag zwischen Erhebung und Veröffentlichung reicht die geringe Differenzierung nach Leistungsgruppen nicht aus. Auch fehlen die Altersangaben. Bessere Anhaltspunkte bieten die Lohn- und Gehaltstarife. Sie erfassen jedoch nicht die übertariflichen Zulagen, die sich sehr wesentlich auf die Effektiveinkommen auswirken. Auch werden in den Tarifabschlüssen nicht die Einkommen der Leitenden fixiert, ganz abgesehen davon, daß die häufig recht pauschalen Berufseinteilungskriterien nicht genügen.

Neuere Untersuchungen bieten dem Praktiker wesentlich bessere Orientierungshilfen. So hat sich beispielsweise gezeigt, daß für die meisten Positionen in EDV-Bereich die Größe der installierten Anlage, gemessen am monatlichen Mietwert, einen wesentlichen Einfluß auf das Gehalt hat.

Andererseits differieren die Monatseinkommen für vergleichbare Positionen bei Unternehmen mit größeren EDV-Abteilungen relativ weniger als bei Unternehmen mit einem kleineren Stab. Das liegt häufig an dem Fehlen eines Systems der Bewertung von Tätigkeiten, der Verantwortung und damit der Vergütung. Differenzierungen nach dem Alter zeigen daß bei vielen nicht leitenden Positionen die Gehälter mit zunehmendem Lebensalter nur mäßig steigen.

Mitunter wirkt sich auch der Wirtschaftszweig auf die Gehaltsbemessung aus. Industriebetriebe, die über DV die Fertigungssteuerung nach optimalen Losgrößen durchführen, müssen in der Regel von den damit betrauten Mitarbeitern höhere Qualifikationen erwarten als von vergleichbaren Positionen in manchem Dienstleistungsbetrieb. Ferner beeinflußt der aktuelle Ausbildungsstand (Beherrschung verschiedener Programmiersprachen, Kenntnisse verschiedener Systeme, erfolgreiche Teilnahme an Lehrgängen etc.) das einzelne Gehalt.

Ob gut oder weniger gut verdient wird, hängt auch von der wirtschaftlichen Situation einer Branche, dem Standort des Unternehmens, der jeweiligen Arbeitsmarktlage für bestimmte Positionen ab. Diese Faktoren erklären die teils recht erheblichen Gehaltsunterschiede für gleiche Positionen gleichen Alters.

Um eine echte Transparenz über die Effektivgehälter zu bekommen, wird man neben Angaben über das monatliche Durchschnittseinkommen auch den unteren und oberen Mittelwert, berechnet nach der Häufigkeit der Nennungen, erhalten müssen. Ferner sind Angaben über das Jahreseinkommen je Position wichtig, um das Ausmaß und möglichst die Art der zusätzlichen Leistungen zu erfahren. Auch die erwarteten Einkommenserhöhungen für die einzelnen Berufsgruppen, nach Regionen getrennt, sind für die Personal- und Kostenplanung wichtig.

Vor Mißbrauch wird gewarnt

So erfreulich es auch sein mag, eine bessere Transparenz über EDV-Effektivgehälter durch aktuelle Erhebungen zu erhalten, so muß auch auf die damit verbundenen Risiken eingegangen werden. Selbst bei einer repräsentativen Erhebung sind Fehlinterpretationen nicht auszuschließen, wenn einzelne Daten kritiklos übernommen werden. Das beginnt bei manchen Berufsbezeichnungen, die nicht immer einheitlich in der Praxis interpretiert und differenziert werden (zum Beispiel im Bereich der Datenerfassung und Programmierung). Ferner spielen individuelle Bedingungen wie Leistungswille, Arbeitstempo, Sorgfalt, Art der Verantwortung, Umfang der Führungsaufgaben, Übernahme zusätzlicher Aufgaben in Nebenfunktion eine wesentliche Rolle. Außerdem darf nicht verwechselt werden, daß Ergebnisse einer Befragung über gezahlte Gehälter nicht identisch sein müssen mit Einstellgehältern. Gerade hier ergaben sich in den letzten Jahren bei sogenannten job hoppern häufig beträchtliche Differenzen zum Durchschnittsniveau. Dagegen dürfte heute das Argument an Bedeutung verlieren, daß veröffentlichte Gehaltserhebungen in sich die Gefahr bergen, den Neidkomplex gegenüber Vorgesetzten und besser bezahlten Mitarbeitern wecken und damit das Betriebsklima zu stören.

Selbst bei vielen kleineren Anwendern und Rechenzentren beginnt man die Vorteile einer besseren Marktübersicht mit dem Ziel einer leistungsgerechten Bezahlung höher einzuschätzen. Das beweist auch die wachsende Bereitschaft, an derartigen Erhebungen teilzunehmen.