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T-Online kommt mit einem blauen Auge davon

17.04.2000
Bundesfinanzminister Eichel: "Zockermentalität hat keine Chance"

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - "Wir hatten heute mit einem wirklich schwarzen Tag gerechnet, aber es ist ein guter Start an einem schwierigen Tag," kommentierte eine Sprecherin von T-Online den ängstlich erwarteten Börsengang der Telekom-Tochter. Trotz des Börsen-Crashs in den USA, wo der Nasdaq-Index allein am Freitag um knapp zehn Prozent nachgab, konnte T-Online mit 28,30 Euro entgegen der Befürchtungen von Analysten den Emissionskurs zu Handelsbeginn um 1,30 Euro toppen.

Das Goldgräberfieber an der Börse, das vor wenigen Wochen den Aktienkurs der ehemaligen Siemens-Tochter Infineon Technologies noch in die Höhe trieb, hat in den vergangenen Wochen rapide nachgelassen. Ein erstes Indiz für die nachlassende Euphorie war schon der Börsengang des Internet-Portals Lycos Europe, das an seinem ersten Handelstag unter Emissionspreis schloss (CW Infonet berichtete). In Anbetracht dieser Börsenabkühlung hatte auch T-Online den Ausgabepreis mit 27 Euro am unteren Ende der Bookbuilding-Preisspanne festgesetzt. Experten hatten aufgrund der desolaten Börsensituation in den USA in der vergangenen Woche sogar mit einem Start der T-Online-Aktie unterhalb des Ausgabepreises gerechnet.

Bei dem Emissionspreis von 27 Euro beträgt der Erlös aus dem Börsengang satte 3,08 Milliarden Euro. Von einem Gesamtvolumen von über einer Milliarde waren 114 Millionen Stück Aktien in den Handel gebracht worden. Insgesamt rund 4,6 Millionen Privatanleger und T-Online-Mitarbeiter hatten Anteile gezeichnet. Die Aktie war insgesamt 20-fach überzeichnet gewesen. Privatanleger erhielten 48,2 und institutionelle Anleger 51,8 Prozent der Anteile. 156 000 der 170 000 T-Online-Mitarbeiter haben dem Konzern zufolge 25 beziehungsweise 50 Aktien gezeichnet. Insgesamt hatten sie fast 7,8 Millionen Anteile geordert und wurden beim Going Public bevorzugt behandelt.

"Dass es soviel Spannung geben würde, hätten wir am vergangenen Donnerstag noch nicht gedacht," eröffnete der zur Pressekonferenz geladene Bundesfinanzminister Hans Eichel seine Rede zum Börsengang der Telekom-Tochter. Er kam nicht umhin, die Börseneinbrüche in den USA und Asien zu kommentieren. Trotz der Einbußen am vergangenen Freitag seien die Fundamentalwerte sowohl in den USA als auch in Europa nach wie vor gut. Dem US-Notenbankchef Alan Greenspan zufolge könne Europa in diesem Jahr sogar noch stärker als im letzten wachsen. "Die Daten des Internationalen Währungsfonds sind besser, als wir es momentan sehen. Europa wird die USA als Wachstumsmotor ablösen." Allerdings wünscht sich Eichel in Anbetracht der Hysterie und Euphorie an den Börsen, "ein bisschen mehr Rationalität".

Am Freitag knallte es an der US-Börse

Hysterisch ging es in der Tat am vergangenen Freitag an der US-Börse zu. Der technologielastige Nasdaq-Composite-Index hatte um 355,49 Zähler oder 9,7 Prozent auf 3321,29 Zähler nachgegeben. Im Vergleich zu seinem Hoch am 10. März (5048,62 Zähler) hatte er damit insgesamt 34 Prozent eingebüßt. Die Microsoft-Aktie verlor 6,1 Prozent und notierte zum Börsenschluss bei 74,44 Dollar. Cisco Systems rutschte um 6,8 Prozent auf 57 Dollar ab und Dell Computer verlor 4,06 Dollar. Yahoo büßte mit 20,125 Dollar sogar 15 Prozent seines Börsenwertes ein. Morgan-Stanleys High-Tech-35-Index fiel um 8,7 Prozent und der Dow-Jones-Internet-Index sactke um 13 Prozent ab.

Zum Börsengang von T-Online lobte Eichel zunächst das faire Zuteilungsverfahren. 1996 habe die Telekom mit ihrem ersten Börsengang erstmals Kleinanleger gewonnen, auch diesmal sei die Nachfrage nach T-Online-Aktien immens groß gewesen. "Allerdings liegen wir mit einer Privatanlegerquote von acht Prozent immer noch weit hinter anderen Ländern wie den USA und Großbritannien zurück." Da müsse noch einiges getan werden. Aktien gehörten beispielsweise auch zur Altersversorgung, aber nicht ausschließlich, wie Eichel ausdrücklich betonte. Private Haushalte könnten über Aktien am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen teilhaben.

"Unternehmen sollen Erträge erwirtschaften", appellierte Eichel an die Firmen in Deutschland. T-Online lobte er für die monatlich gewonnenen 200 000 Neukunden. Unbeachtet ließ Eichel jedoch die sechs Millionen Mark Verlust, die der Internet-Dienstleister innerhalb der ersten zwei Monate des laufenden Geschäftsjahres erzeugte (CW Infonet berichtete). Im Vergleichszeitraum des Vorjahres hatte T-Online noch rund vier Millionen Profit erwirtschaftet.

Eichel propagiert langfristige Investitionen

Der Bundesfinanzminister beschwor die Anleger, längerfristige Investitionen zu tätigen. Der Zockermentalität erteilte er eine eindeutige Absage: "Wer nur kurzfristige Kurssteigerungen mitnehmen will, ist an der Börse falsch. Für kurzfristige Kurserfolge gibt es keine Garantie. Dies ist eine Unsitte, die in den USA weit verbreitet ist, die sollten wir uns nicht zu eigen machen." Die Tatsache, dass die T-Online-Aktie trotz der weltweiten Kursverluste anderer Technologiewerte so erfolgreich gestartet ist, sei ein Indiz für die solidere Wirtschaft hierzulande. "Der Kurs ist schwach, aber er geht aufwärts," schloss Eichel.

Ron Sommer, Chef der Deutschen Telekom, zeigte sich zufrieden mit dem Börsenbeginn von T-Online. "Wir haben uns für dieses Jahr ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Wir wollen mit T-Online die Erfolgsgeschichte von 1996 und 1999 wiederholen," erklärte er. Zur Zeit scheinen die Zeichen positiv zu stehen. Um 12.31 Uhr lag die Notierung bei 33,85 Euro.