IT-Manager haben zuviel Respekt vor der Macht

Systemintegration und CASE - DV-Verantwortliche stehen vor Problemen

01.06.1990

Den raschen technologischen Wandel zu verdauen und die DV-Kosten im Rahmen zu halten - darin sehen europäische DV-Manager in den 90er Jahren ihre Hauptaufgabe. Das in Sulzbach bei Frankfurt ansässige Beratungsunternehmen Andersen Consulting hat insgesamt 560 europäische DV-Manager danach befragt, ob und wie sie auf die kommende Dekade vorbereitet sind. Verantwortliche aus den Benelux-Staaten, aus Frankreich, Italien, Spanien, Skandinavien, Großbritannien und dem deutschsprachigen Raum sehen übereinstimmend Zukunftsprobleme in den Bereichen Integration unterschiedlicher Technologien, Einsatz von CASE-Werkzeugen, Netzwerke, Telekommunikation und Standards. Überraschend: Nur knapp die Hälfte der Befragten verspricht sich von einem gezielten DV-Einsatz einen möglichen unternehmensweiten Wettbewerbsvorsprung.

Deutsche und Schweizer hegen sogar prinzipielle Zweifel: Viele glauben nicht daran, daß die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens auf DV-technischem Wege erhöht werden kann. "Bei deutschen DV/Org.-Leitern findet man noch häufig die Mentalität des sogenannten Utility-Managers", beschreibt Klemens Unkel, Manager Finance and Personal bei der Kölner Ford AG, die Situation. Unkel will eine "bestimmte deutsche Geisteshaltung" bemerkt haben, die sich in seinem Unternehmen aufgrund einer ausgeprägten US-Orientierung "Gott sei Dank" nicht durchsetze.

Tatsächlich unterscheidet; sich die Einstellung amerikanischer IT-Manager grundlegend von der ihrer europäischen Kollegen. Immerhin 74 Prozent der US-Informations-Manager drängen darauf, die DV in einen direkten Wettbewerbsvorteil umzusetzen - in Europa engagiert sich nur knapp die Hälfte der Befragten dafür. Erstaunlicherweise räumen sogar 36 Prozent ein, daß es ihnen sehr schwer falle, Systeme zum Ausbau des Wettbewerbsvorsprungs ihres Unternehmens zu identifizieren und zu entwickeln.

Wie die Datenverarbeitung als ein Motor in ein unternehmensweites Konzept eingebracht werden kann, schildert der Ford-Mitarbeiter. "Bring quality products to the market faster" ist demnach die Maxime, auf die zur Zeit alle Ford-Mitarbeiter eingeschworen sind. Für die Datenverarbeiter bedeutet das, die Kommunikationsprobleme zwischen Produktentwicklung und Produktion auszuräumen oder - konkreter - vorhandene CAD/CAM-Systeme besser zu integrieren.

Viele Marktbeobachter sehen die fehlende betriebswirtschaftliche Einbindung der DV eng mit der traditionellen Rolle des DV/Org.-Leiters verbunden. "Die Datenverarbeitung ist aus der Buchhaltung hervorgegangen - deswegen sind viele DV-Leiter und Systemchefs noch heute in diesem Bereich untergebracht", schildert Ford-Mitarbeiter Unkel. Während diese Tatsache für ihn nur ein rein organisatorisches Problem ist, vermutet Gerhard Aichberger, Geschäftsführer der deutschen Andersen-Consulting-Niederlassung, hier die Wurzel allen Übels.

"DV-Manager sind vom Einfluß her in der Hierarchie der Unternehmen nicht richtig aufgehängt", erklärt der Berater. "Gott sei Dank ändert sich da jetzt einiges, aber noch immer sind die DV-Verantwortlichen in vielen Unternehmen dazu verpflichtet, dem Finanzvorstand zu berichten." Oft mangele es den DV/Org.-Leitern an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen.

"Die DV muß als ,Informationsverarbeitung' im Geschäftsführungs- beziehungsweise Vorstandsbereich angesiedelt sein", fordert Aichberger. Dann allerdings könne man nicht mehr nur von der Datenverarbeitung sprechen, das impliziere auch andere Aspekte. Derzeit verbreite sich ein neues "integriertes Denken", das das ganze Unternehmen einbeziehe und von einer neuen Generation in die Betriebe hineingetragen werde.

Diese Entwicklung beobachtet auch der selbständige Kommunikationsberater Heinz Streicher, der noch vor einem Jahr als Mitarbeiter der Hamburger SCS GmbH umfangreiche Untersuchungen über die Rolle der DV/Org.-Leiter in ihren Unternehmen angestellt hat. "Der klassische DV/Org.-Leiter war früher immer DV-Crack und Technokrat. Häufig kam er aus

den Bereichen Mathematik und Physik. Heute ist er aber schon oft Betriebswirtschaftler, wobei natürlich in vielen Fällen eine Art interner Austausch mit den Informatikern stattfindet."

Im Gegensatz zu Aichberger geht Streicher davon aus, daß die Bindung der DV-Manager an die Finanz-Abteilungen längst nicht mehr so eng ist wie noch vor ein paar Jahren. "Etwa zwei Drittel berichten inzwischen an den Vorstand. Im Range eines Hauptbereichsleiters oder Direktors sind sie auf einer Ebene unterhalb des Vorstandes oder der Geschäftsführung angesiedelt." Bei Banken und Versicherungen sowie in IT-intensiven Branchen wie zum Beispiel dem Versandhandel seien die DV-Verantwortlichen sogar direkt im Vorstand beziehungsweise in der Geschäftsführung zu finden.

Grundsätzlich stehe der Informations-Manager - im Gegensatz zum klassischen DV/Org.-Leiter - auf einem hierarchischen Level, der ihn für das gesamte Unternehmen verantwortlich mache. In vielen Fällen habe er sogar Prokura. "Er ist nicht mehr der isolierte Mensch, der in seinem Rechenzentrum als großer Zampano herumzaubert - diese Zeiten sind seit den 70er Jahren vorbei." Streicher beschreibt die Rolle des Informations-Managers als eine Schlüsselfunktion. Demnach muß der DV-Verantwortliche die informationstechnische Verbindung einzelner Unternehmensbereiche herstellen. Kommunikationsberater Streicher sieht künftige Aufgabenfelder des DV-Managers, wie die Optimierung des Software-Engineering, die unternehmensweite Vernetzung oder die Einbindung sämtlicher Systeme, als Anforderungen, die ihn in der Unternehmenshierarchie ganz nach oben bringen werden.

Tatsächlich gehört aber gerade die Systemintegration zu jenen zentralen Bereichen, die den zum Teil schlecht vorbereiteten Informations-Chefs schlaflose Nächte bereiten. Die Forderung, Datenverarbeitung, Kommunikation und Betrieb mit unterschiedlicher Hard- und Software in ein unternehmensweites Konzept einzubinden, setzt gerade dem traditionell geschulten DV-Verantwortlichen arg zu.

Nach dem Wunsch der Unternehmensleitungen sollen heute dynamische Geschäftsentwicklungen DV-technisch abgesichert und gefördert werden. Zwei Drittel aller von Andersen Consulting befragten DV-Manager sehen aber enorme Schwierigkeiten, was die Integration vorhandener Systeme angeht.

"Der Aufgabenbereich eines DV-Managers reicht heute von der Anwendungsentwicklung über die RZ-Betreuung bis hin zur Systemintegration. Daraus lassen sich Konsequenzen für Ablauf- und Aufbauorganisation ableiten", beschreibt Andersen-Consulting-Chef Aichberger.

Da außerdem Ausbildung und Training hinzukämen, sei ein Großteil der DV-Manager völlig überfordert.

Neben den Problemen der Integration bereitet vor allem die Anwendungsentwicklung Kopfzerbrechen. Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich von der Arbeitslast "überwältigt'', wenn sie neue, spezifische Softwarelösungen einführen soll. Trotzdem setzen heute bereits 42 Prozent CASE- und andere produktivitätssteigernde Werkzeuge ein, um Effizienz und Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen zu steigern.

Wie problematisch die Einführung moderner Technologien für viele Betriebe ist, zeigt ein weiterer Trend: Mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen - in Deutschland sogar 81 Prozent - lassen sich bei der Bewältigung ihrer informationstechnologischen Probleme von externen Unternehmen unterstützen. Den Umfrageergebnissen zufolge wird diese Zahl weiter steigen.

Ging es bisher noch primär darum, ergänzende "Ressourcen" - dazu zählt die Studie Analytiker und Programmierer - einzusetzen, so deutet sich, jetzt eine neue Entwicklung an. Unternehmen investieren verstärkt in technisches Know-how und in Personal, das sich mit neuen Technologien im Vernetzungsbereich oder dem computerunterstützten Software-Engineering auskennt.

"Die Software-Erstellung ist zeitlich wie finanziell ein Engpaß - daher der CASE-Boom. Sie ist noch relativ unberechenbar und soll möglichst schnell kalkulierbar gemacht werden", erläutert Kommunikationsberater Streicher das Interesse an neuer Entwicklungstechnologie. Produktivitätssteigerung innerhalb der DV und damit im gesamten Unternehmen hängt eng mit dem Einsatz computergestützter Software-Entwicklungswerkzeuge zusammen. "CASE muß als technisch unterstützte neue Organisation der Softwareproduktion verstanden werden", betont der Berater.

Streicher registriert bei der Einführung moderner CASE- und 4GL-Tools allerdings Komplikationen: "Viele DV-Fachleute sind gegen CASE, weil sie sich durch eine Reihe von Methoden und Vorschriften in ihrer Kreativität eingeengt fühlen", urteilt der Berater. Diese Abneigung ändere aber auch nichts daran, daß die moderne Software-Entwicklung zunehmend mit professionellen Engineering-Verfahren arbeiten werde.

Im gleichen Maße, wie dieser Prozeß fortschreite, werde Entwicklungsproduktivität meßbar. Das Problem, bei den Entwicklern eine neue Mentalität zu schaffen, sei derzeit international verbreitet. Allerdings gehe man bezüglich der CASE-Einführung in England und Frankreich rigoroser vor als in Deutschland.

Die Installation neuer Software-Engineering-Methoden revolutioniert nach Einschätzung von Fachleuten die gesamte Datenverarbeitung. "Auf der Hardwareseite geht es schon lange bergab. Wir müssen also andere Faktoren wie Software-Entwicklung, Projekt-Management oder Wartung optimieren - und schon können wir Kosten sparen", so die Hoffnungen Streichers.

Kostensenkungen soll langfristig auch der zunehmende Einsatz von "allgemeinen Anwendungssystemen" bringen. Darüber hinaus werden den Umfrageergebnissen zufolge weiterhin betriebsunterstützende Systeme wie Kommunikationsnetzwerke oder Bürosysteme sowie der elektronische Datenaustausch unterstützt. Buchhaltungs- und Finanzsysteme haben dagegen in den 90ern ausgedient.