GNB: Vor Spezialisierung neutrales Wissensgerüst erwerben:

Systemarchitekten bauen Informatiknetzwerke

22.01.1988

Herstellerneutral und unternehmensunabhängig soll das Wissen sein, das der Berufsanfänger beim Einstieg in den Job besitzen sollte - vor einer Spezialisierung für Produkte und Aufgaben. Hartmut Sieg, Programmleiter Marketing/Vertrieb von der Gesellschaft für neue Berufe in Berlin, stellt dazu als Wissensgerüst die Ausbildung zum "Systemarchitekten" vor.

Die Aufgaben der vernetzten Informations- und Kommunikationstechnik machen ein Wissen und Denken über die engen Zäune der Informatik hinaus zur erfolgsbestimmenden Notwendigkeit. Mit Kenntnissen über Schaltalgebra alleine sind keine Lorbeeren mehr zu ernten. "Basic zu lernen ist kontraproduktiv", kritisiert Roland Vollmar von der TU Braunschweig die Auffassung vieler Hochschulabgänger, damit schon genügend getan zu haben. Wer heute als Schrittmacher im Unternehmen die Technologieentwicklung weg von den Insellösungen hin zu den vernetzten Systemen gestalten will, benötigt Kenntnisse nicht nur allein des technisch Machbaren, sondern auch über die Organisation von Betrieben, über die Kommunikationsabläufe und über die betriebssoziologischen Wirkungskomponenten. Diese interdisziplinäre Sicht wird indes noch immer kaum von den staatlichen, sondern überwiegend nur von privaten Weiterbildungsinstitutionen vermittelt.

Im Bereich der integrierten Qualifikation tätig ist die Gesellschaft für neue Berufe mbH (GNB) in Berlin. Sie hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1984 zur Aufgabe gemacht, die schnelle Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik durch die Konzeption angepaßter Berufsinhalte zu begleiten. Gründungsgesellschafter dieses Bildungsunternehmens sind die Firmen Nixdorf Computer AG, PSI Gesellschaft für Prozeßsteuerungs- und Informationssysteme mbH Berlin und die Siemens AG; gefördert wird sie durch den Berliner Senat.

Fachmann für Telematik-Systeme

Wurde in der Vergangenheit häufig der Versuch unternommen, durch Kombination mehrerer Berufsbezeichnungen eine neue zu schaffen, zeigt sich bei der Vielfalt der gestellten Aufgaben innerhalb der Vernetzung doch rasch die Grenze dieses Vorgehens. Die Lösung der GNB heißt daher: Systemarchitekt. Wie ein Architekt im Hochbau, der ein Projekt plant, in Auftrag gibt und die Ausführung managt, aber nicht selbst mauert oder zimmert, ist der Systemarchitekt nicht selbst als Programmierer tätig. Er ist der Fachmann für die Konfiguration von Informations- und Kommunikationssystemen. Für den "Systemarchitekten Telematik" im Unternehmen oder im Absatzbereich beim Hersteller sowie

für den "Systemarchitekten Marketing/Vertrieb", besteht die Hauptaufgabe in der Vernetzung von Inseln zu Systemen.

Der Systemarchitekt Telematik verschafft sich zunächst eine Gesamtschau des Unternehmens, in dem er arbeitet. Mit der Informations- und Kommunikationstechnik will er neue Erfolgspotentiale schaffen. Er beobachtet dazu technologische Trends im Informatikbereich und entwickelt daraus Ansätze für Wettbewerbsvorteile. Weiterhin unterzieht er die bestehenden Installationen einer kritischen Würdigung und berücksichtigt sie in einer Stärken- und Schwächenanalyse. Der Systemarchitekt Telematik erhält von der Unternehmensleistung strategische Vorgaben und bezieht sie unter Berücksichtigung der Systemkomponenten in seine Konzeptionsplanung mit ein. Vor allem kommt hierbei darauf an zu erkennen, da die integrierten Informations- und Kommunikationssysteme durch ihre Vernetzung zu einer übergreifenden Struktur im Unternehmen werde die eine qualitative Verbesserung des Leistungserstellungsprozesses erlauben.

Während früher als Ziel der Vorbereitungsphase ein bis ins feinste detailliertes Pflichtenheft stand, das dann zusammen mit der starren Anlage dem Unternehmen übergestülpt wurde, muß der Systemarchitekt heute vielmehr an eine künftige Flexibilität des Systems denken. Der Innovation in der Technik muß die Innovation in der Organisation vorgeschaltet werden. Eine wesentliche Aufgabe dabei ist daher neben der Gestaltung der Ablauforganisation auch gemeinsam mit den Endanwendern, eine Arbeitsinhaltsgestaltung zu entwickeln. Hinzu kommen auch die Planung und Durchführung angemessener Qualifizierungsmaßnahmen.

In der Verhandlungsphase mit potentiellen Anlagenlieferanten, wie auch in der Realisierungsphase muß der Systemarchitekt Telematik seine Kenntnisse der Informations- und Kommunikationstechnik nachweisen. Dazu gehört auch, daß grundsätzliche Prinzipien des Managements angewendet werden: Planen, Ziele definieren, Integrieren, Führen, Realisieren und Kontrollieren. Damit in der einjährigen GNB-Ausbildung das Ganze nicht zu einer reinen theoretischen Trockenübung wird, ist eine viermonatige Praxisphase wesentlicher Bestandteil des Lehrkonzeptes.

Wenn heute Hersteller in der Informations- und Kommunikationstechnik über einen Rückgang Auftragseingänge von acht Prozent klagen, ist das sicher auch eine Folge eines falschen Marketings der Anbieter: Das Hineinverkaufen von Bits und Bytes immer größerer Dimensionen in die Unternehmen muß bei den Anwendern zu Enttäuschungen und Resignation führen, wenn erwart Nutzeffekte dann - trotz hoher Investitionen - ausbleiben.

Neue Dimensionen in Marketing und Vertrieb

Eine neue Dimension der Ausbildung der Mitarbeiter ist gefragt, nicht nur im Marketing, sonder auch im Vertrieb. Die Zeiten der schnellen Abschlüsse sind vorbei. Hinzu kommt, daß im Rahmen der Kommunikation in zunehmendem Maße heute nicht nur der Investitionsentscheider angesprochen werden muß, sondern das Marketing und der Vertrieb sich Gruppen von Entscheidern aus den unterschiedlichsten Bereichen des Unternehmen auf verschiedensten Entscheidungsebenen gegenüberstehen. Qualität ist nicht nur bei Produkten gefordert, sondern auch bei Mitarbeitern. Eine Kombination von Wissen über Technik und Innovationsmarketing realisiert die GNB in ihren Lehrplänen zum Systemarchitekten Marketing/Vertrieb.

Die Weiterbildung zum Systemarchitekten ist immer im Zusammenhang mit der Eingangsqualifikation zu sehen, die in Kombination mit den neuen Lehrinhalten ein sinnvolles Ganzes ergeben soll. So sind als Teilnehmer für die Fachbereiche Telematik und Marketing/Vertrieb Hochschulabsolventen der Fächer Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und 'Ingenieurwissenschaft erfolgversprechend. Hinzu kommen auch Absolventen anderer Fachrichtungen, wenn annähernde fachliche und persönliche Eigenschaften anzutreffen sind.

Die meisten der GNB-Kandidaten haben die Hochschule ohne oder mit unzureichenden EDV-Kenntnissen verlassen. Diese Kenntnisse werden ihnen in der GNB in einem vorgeschalteten Brückenkurs von sechs Wochen Dauer vermittelt. Der Jahreskurs selbst beginnt mit einer sechswöchigen Orientierungsphase, in der sowohl die GNB als auch der Teilnehmer vom Vertrag zurücktreten können. Nach dem sechswöchigen Überblick gliedert sich das Programm der GNB in die drei Fachrichtungen: Knowledge-Engineering, Telematik und Marketing/Vertrieb.

Nach weiteren dreieinhalb Monaten beginnt als Kernstück der GNB-Ausbildung die viermonatige Praxisphase in Berliner Unternehmen, zunehmend aber auch im übrigen Bundesgebiet. In dieser Praxisphase arbeiten die GNB-Teilnehmer - entsprechend der von ihnen gewählten Fachrichtungen - an Praxisprojekten mit und übernehmen dabei selbständig kleinere Projekte oder Teilprojekte. Nach der Praxisphase

schließt sich nochmals eine sechswöchige Theoriephase in der GNB an.

Achtzig Systemarchitekten haben die GNB inzwischen erfolgreich absolviert und sind zu über 90 Prozent in festen Angestelltenverhältnissen. Derzeit befinden sich 150 Teilnehmer in der Weiterbildung. Die Finanzierung der Kursgebühren von rund 20 000 Mark pro Jahr erfolgt bei den meisten Teilnehmern nach dem AFG. Einige erhalten Stipendien der GNB-Muttergesellschaften.

Training für neue Berufe

Drei Hersteller machten Nägel mit Köpfen: Siemens, Nixdorf und das Softwarehaus PSI gründeten die industrieorientierte Ausbildungsgesellschaft "Gesellschaft für neue Berufe" (GNB) in Berlin. Ihre Leitgedanken für das Wissens-Training in neuen Arbeitsfeldern: praxisnah, interdisziplinär und mittelstandsnah. Auf dem Programm steht die Weiterbildung zum Systemarchitekten mit den Spezialisierungen Marketing/Vertrieb, Telematik und Knowledge-Engineering. Die Teilnehmer der vom Arbeitsamt geförderten Jahreskurse kommen überwiegend aus der Hochschule.