Kienzle-Engagement ist Mannesmanns strategische Kehrtwendung:

Synergiepotential soll Kienzle flott machen

07.05.1982

Externes Wachstum durch Diversifikation in Zukunftsbranchen mit hohem technologischen Anspruchsniveau ist für das Mannesmann-Management eine "vorrangige strategische Aufgabe". Mit der Übernahme der Kienzle Apparate GmbH möchte das Unternehmen nach den Worten des Vorstandsmitgliedes Dr. Franz Josef Weisweiler in "ausgewählten Teilbereichen der Elektrotechnik und der Elektronik" Fuß fassen. Was nun Kienzle mit dem Angebot des Kozerns an produkt- und finanzwirtschaftlichem Synergiepotential konkret macht, ist dem DV-Hersteller selbst überlassen. Im folgenden ein Auszug der Rede, die Weisweiler anläßlich der Hannover-Messe gehalten hat.

"Mannesmann beteiligt sich an Kienzle". Als diese Nachricht vor gut einem Jahr durch die Presse ging, löste sie gerade in der Fachwelt Überraschung und teilweise auch Verwunderung aus, denn Mannesmann und Kienzle Apparate, das schienen zwei Welten zu sein, die nichts miteinander zu tun hatten. Die Gründe für unser Engagement bei Kienzle Apparate ergeben sich aus dem langfristig angelegten Diversifikationskonzept.

Im Gesamtvolumen von 15,4 Milliarden Mark ist 1981 erstmals auch unser Engagement auf dem Gebiet der elektrotechnischen und elektronischen Investitionsgüter vertreten. Der Anteil von vier Prozent erfaßt allerdings nur den Beitrag von Hartmann & Braun. Kienzle Apparate wurde wegen unseres damaligen Beteiligungsanteils von 50 Prozent in den letztjährigen Konzernabschluß noch nicht einbezogen.

Nach der vollständigen Übernahme dieses Unternehmens am 31. März 1982 werden die elektrotechnischen und elektronischen Investitionsgüter im laufenden Geschäftsjahr bereits fast zehn Prozent zu unserem Konzernumsatz beisteuern. Damit gewinnen die Diversifikationsbereiche endgültig das Übergewicht über die traditionelle Rohrfertigung.

Die Entscheidung auch in Zukunft auf Rohre und Walzstahl zu setzen hätte uns gezwungen, alle verfügbaren Mittel für die Modernisierung und den weiteren Ausbau unserer Stahl- und Walzwerke und unserer Rohrerzeugungsanlagen einzusetzen.

Wir entschieden uns für einen anderen Weg, der einer strategischen Kehrtwendung gleichkam.

Unser neues Konzept sah für den angestammten Montanbereich den Rückzug auf die Rohrerzeugungen vor. Unser Ziel war die Schaffung und spätere Erhaltung einer strategisch ausgewogenen Produktpalette die einen kurzfristigen und einen langfristigen Risikoausgleich innerhalb des Unternehmens herbeiführen konnte.

Der kurzfristige Risikoausgleich soll konjunkturelle Schwankungen ausgleichen. Er wird erreicht durch ein ausgewogenes Verhältnis von etablierten Produkten mit starker Wettbewerbsposition, die unterschiedlichen Konjunkturabhängigkeiten folgen.

Der langfristige Risikoausgleich wird durch ein Leistungsangebot herbeigeführt, das gleichzeitig "junge" Produkte und etablierte Erzeugnisse umfaßt. "Junge" Produkte bieten hohe Wachstums- und Gewinnchancen für die Zukunft.

Die heutigen Überschüsse bei den "älteren" dienen zur Finanzierung der Investitionen, mit denen Gewinnpotentiale für die Zukunft bei den Nachwuchsprodukten erschlossen werden.

Die Übernahme der Aktienmehrheit von Hartmann & Braun zur Jahreswende 1980/81 bot uns die Gelegenheit, mit einer guten Wettbewerbsposition in den Markt der Meß- und Regeltechnik einzutreten.

Der nächste Schritt, die Beteiligung bei Kienzle Apparate, folgte nur wenige Wochen später. Zufall war jedoch nur die Kürze des Abstandes, nicht die Richtung, die wir dabei einschlugen, und auch nicht der Partner, den wir wählten. Gerade die Datenverarbeitung mit ihren anhaltend hohen Zuwachsraten gehörte schon seit Jahren zu unseren vorrangigen Diversifikationszielen.

Kienzle Apparate ist nicht nur auf dem Gebiet der dezentralen Datenverarbeitung zu Hause, sondern verfügt als einziger Hersteller zusätzlich über eine starke Wettbewerbsstellung bei Geräten der Datenerfassung.

Für Mannesmann war das Engagement bei Kienzle Apparate kein Schritt in völliges Neuland. Mit unserer Druckerfertigung bei Mannesmann Tally und vorher bei der Mannesmann Präzisionstechnik waren wir in einem Randgebiet der Datenverarbeitung schon länger mit Erfolg tätig.

Mannesmann Präzisionstechnik, ursprünglich eine Feinmechanikfertigung aus dem Rexroth- Bereich, hatte bereits 1974 eine selbstentwickelte Familie von Matrix-Druckern auf den Markt gebracht und damit kräftige Umsatzsteigerungen erzielt. Der Erwerb der Tally Corporation in Kent/USA zur Jahreswende 1978/79 brachte uns nicht nur eine Ergänzung und Abrundung der Produktpalette. Er verschaffte uns zugleich den Zugang zum US-Markt und verstärkte außerdem unser europäisches Vertriebssystem für Drucker.

Die europäischen Tally-Gesellschaften brachten wir bei der Übernahme unseres 50-Prozent- Anteils vor einem Jahr bei Kienzle Apparate ein. Mit der vollständigen Übernahme zum 31. März 1982 haben wir auch Tally Kent der neuen Unternehmensgruppe organisatorisch zugeordnet. Die Eingliederung bedeutet für Kienzle Apparate eine gute Ergänzung und eine wirksame Verstärkung des eigenen OEM-Geschäfts.

Unser Vorstoß in das Zentrum der Datenverarbeitung fällt in eine Zeit, in der sich dieser Markt zusammen mit seinem Umfeld grundlegend verändert. Wir wissen, daß damit nicht nur Chancen, sondern auch große Risiken verbunden sind. Die Risiken bekam Kienzle Apparate in den beiden letzten Jahren zu spüren. Sie resultieren vor allem aus den immer kürzeren Innovationszyklen und aus der Aufweichung der ehemals klaren Grenzen zwischen den einzelnen Teilmärkten.

Besonders einschneidend traf die Veränderung der Wettbewerbslandschaft die beiden traditionellen Arbeitsgebiete von Kienzle Apparate, die Terminalgeräte für die Datenerfassung und die mittlere Datentechnik. Mit dem Aufkommen dialogorientierter Rechnersysteme gingen beide Segmente in dem Gebiet der dezentralen Datenverarbeitung auf Gleichzeitig löste dieser neue Teilmarkt die großen Zentraleinheiten in der Spitzenstellung beim Wachstum ab. Damit wurde die dezentrale Datenverarbeitung auch für die Anbieter interessant, die sich bisher ganz auf das Geschäft mit Großrechnern konzentriert hatten.

Neue Wettbewerber drangen jedoch nicht nur von oben her in das angestammte Arbeitsgebiet von Kienzle Apparate vor. Mit dem Aufkommen der Personal Computer entstand ein neues attraktives Angebot, das sich speziell an Einsteiger in die Datenverarbeitung richtet. Auch vom unteren Ende der Gesamtpalette her nahm damit der Konkurrenzdruck zu.

Diesem doppelten Wettbewerbsdruck stehen jedoch auch zusätzliche Chancen gegenüber. Durch die verstärkte Anwendung von benutzerfreundlichen, dialogorientierten Systemen am Arbeitsplatz öffnet sich die Datenverarbeitung in Richtung auf einen umfassenden Gesamtmarkt der integrierten Informationsverarbeitung hin. Die Datenverarbeitung wächst dabei mit den bisher weitgehend als isoliert angesehenen Märkten der Kommunikationstechnik, der Büroautomation und der Prozeßleittechnik zu einem größeren Ganzen zusammen.

Mannesmann wollte auf diesem sich gerade erst formierenden Zukunftsmarkt von Anfang an vertreten sein. Bereits mit Hartmann & Braun hatten wir uns eine gute Basis im Bereich der Prozeßleittechnik verschafft.

Als die eigentliche Eintrittskarte sahen wir aber unser Engagement bei Kienzle Apparate an. Es öffnete uns gleichzeitig den Weg in das Kerngebiet der Datenverarbeitung und in einen Teilbereich der Büroautomation.

Mit der dritten großen Finanzanlageinvestition des vergangenen Jahres, dem Erwerb eines 20- Prozent-Anteils bei der AEG Telefunken Nachrichtentechnik, öffneten wird uns dann auch den Zugang zur Kommunikationstechnik. Dieses 20-Prozent-Engagement bringt uns zwar nicht den unternehmerischen Zugriff zu den Produkten dieses Bereichs. Immerhin verschafft es uns aber den Zutritt zur Technologie de Datenübertragung.

Mit dieser Rolle im Gesamtkonzept sind zugleich auch die Rahmenbedingungen für die Unternehmensstrategie von Kienzle Apparate selbst abgesteckt. Kienzle Apparate soll auf, einem expandierenden Markt über proportional wachsen und seine Wettbewerbsposition ausbauen.

Wir wissen, daß das Geld kostet mehr Geld als dem Unternehmen aus seinem eigenen Cash-flow zur Verfügung steht. Wir werden Kienzle Apparate daher aus den Überschüssen anderer Bereiche die Finanzmittel bereitstellen, die für das angestrebte Wachstum erforderlich sind.

Allerdings wird sich der Rückhalt nicht allein auf den finanziellen Bereich beschränken. Die Mannesmann versteht sich nämlich nicht als die Bank ihrer eigenen Beteiligungen. Sie versteht sich als das Zentrum eines produzierenden Gesamtunternehmens, das durch die enge Verflechtung der Konzerngesellschaften unter einheitlicher Leistung Synergieeffekte freisetzt, so daß das Ganze mehr leistet als die Summe seiner Teile.

Gerade in dem produktwirtschaftlichen Synergiepotential des Konzernverbundes sehen wir große Chancen, die Kienzle Apparate für die eigene Hard- und Softwareentwicklung und damit letztlich für die Verbesserung seiner Marktstellung nutzen kann, denn unsere verschiedenen Konzerngesellschaften verfügen über ein breites Spektrum von Anwender-Know-how bei der Datenverarbeitung im kaufmännisch- administrativen und im technischen Bereich.

Dieses produkt- und finanzwirtschaftliche Synergiepotential ist zunächst nur ein Angebot des Konzerns an seine neue Unternehmensgruppe. Was Kienzle Apparate aus diesem Angebot konkret macht, ist in erster Linie eine Frage, die von Kienzle Apparate selbst zu beantworten ist, denn unsere dezentrale Konzernorganisation übertragt die Produkt- und Ergebnisverantwortung den Führungsgesellschaften der Unternehmensgruppen. Dagegen fällt die Abstimmung der Leitlinien für die mittel- und langfristige Entwicklung in die gemeinsame Kompetenz von Führungsunternehmen und Konzernvorstand.