Erste Eindrücke von Visual Café

Symantec-Entwicklungsumgebung mit Support für Javabeans

03.01.1997

Visual Café glänzt wie Borlands Delphi mit einer gut durchdachten grafischen Oberfläche, die die Java-Entwicklung auf einige wenige Mausbewegungen und Tastatureingaben beschränkt. Objekte lassen sich aus einer Bibliothek in eine neue Anwendung oder ein Internet-taugliches Java-Applet ziehen. Steht erst die Benutzeroberfläche des künftigen Programms, dann beginnt die Arbeit an den dazugehörigen Methoden. Für Schaltflächen und viele andere Objekte sind Methoden wie "onClick" oder "onMouseOver" vordefiniert. Eigene Methoden lassen sich in die vorhandenen Bibliotheken einbauen und mit einem Assistenten (Wizard) anderen Methoden oder Objekten zuordnen. Im Test leistet der mitgelieferte Visual Debugger gute Dienste Breakpoints lassen sich in einem eigenen Fenster verwalten, der aktuelle Wert einzelner Variablen wird in einem weiteren Fenster angezeigt.

Die eigentliche Faszination von Visual Café besteht in der Verknüpfung der Arbeitsfenster. Gibt man beispielsweise in der Objektbeschreibung einer Schaltfläche einen neuen Namen ein, wird nahezu zeitgleich (abhängig von der Rechnerleistung) die entsprechende Stelle im Quellcode des Programms und in der grafischen Darstellung der Schaltfläche geändert.

Diese grafische Übersicht soll in der Vollversion von Visual Café sogar einen eigenen Java-Interpreter enthalten, der den gerade geschriebenen Programmcode sofort auf den Bildschirm bringt, ohne daß vorher der Compiler laufen muß.

In der vorliegenden Vorabversion klemmt indes noch einiges: Nach zahlreichen Änderungen an einem Objekt existieren im Programmcode plötzlich zwei dazugehörige Abschnitte mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Da nur einer der Abschnitte von Café aktualisiert wird, bleiben falsche Variablen und Codefragmente zurück, die der Compiler mit mehrseitigen Fehlermeldungen quittiert.

Bei einem anderen Test mit einem Java-Applet plaziert der grafische Editor die "super.init"-Anweisung in der Initialisierungssequenz des Applets. Beim Test mit dem Netscape-Browser wird diese Zeile zum Stolperstein, der zunächst dem Browser und mit etwas Verzögerung auch dem Betriebssystem zum Verhängnis wird - und zu einem Neustart des ganzen Systems zwingt.

Wenn Symantec allerdings bis zur Serienreife des Produkts in dem Tempo Verbesserungen vornimmt, wie man es von dem Hersteller beim Wechsel von der ersten zur zweiten Preview-Version gewohnt ist, dann sollten diese Fehler sicher ausgemerzt sein. Ein kleines Ärgernis wird aber wahrscheinlich erhalten bleiben: Die Hardware-Anforderungen an Entwicklungsmaschinen sind auch bei Visual Café hoch: 24 MB Arbeitsspeicher sind das Minimum (auf RISC-Rechnern doppelt soviel), und mit weniger als 120 Megahertz sollte der Prozessor nicht laufen. Liegt die Bildschirmauflösung unter 1200 x 800 Bildpunkten, wird es schnell eng auf dem Monitor: Bibliotheken, Programm-Editor und vor allem die Klassenübersicht (Class Browser) brauchen viel Platz.

Visual Café soll spätestens im Januar 1997 fertiggestellt und für Windows 95, NT und das Mac-Betriebssystem angeboten werden. Die grafische Oberfläche, der Funktions- und Bibliotheksumfang wird bei allen drei Betriebssystemen identisch sein. Der Einführungspreis beträgt voraussichtlich 199 Dollar, die Preview-Version ist im Internet unter http://www.cafe.symantec.com zu finden.

*Bettina Bechstein ist freie Fachjournalistin in München.