Deutsche Unternehmen zeigen sich sensibilisiert

SW-Piraterie: IT-Lobbies scheuen Gerichtsprozesse

12.01.1996

Die Liste der Softwarediebe ist lang. Sie reicht vom italienischen Automobilriesen Fiat ueber die Reederei Compagnie Francaise de Navigation Rhenane aus Frankreich bis zur ehemaligen Thyssen-Tochter Hueller Hille, Hotel Intercontinental oder Florian Hahn aus Dresden - der Griff zur kopierten Software reizt Unternehmen und Privatanwender gleichermassen. Hohe Softwarepreise sowie simple Duplikationsverfahren verleiten Firmen dazu, Produkte unlizenziert in Gebrauch zu nehmen, zumal die nach dem Inkrafttreten des neuen Urheberrechts erwartete Prozesswelle bis dato ausblieb. Grund genug fuer die Softwerker, die Branche ueber ihre Verluste zu informieren.

Jede Sekunde werden weltweit fuer 482 Dollar Anwendungen gestohlen, klagt die Business Software Alliance (BSA) - das sind 41,6 Millionen Dollar taeglich. Insgesamt gingen der IT-Industrie 1994 etwa 15,2 Milliarden Dollar (knapp 22 Milliarden Mark) wegen des Einsatzes raubkopierter Programme durch die Lappen. Hochburgen des illegalen Treibens seien nach wie vor asiatische sowie lateinamerikanische Laender, in denen der Handel mit Plagiaten zum Teil oeffentlich auf der Strasse oder organisiert in Mafia-aehnlichen Organisationen stattfinde. In Indonesien beispielsweise betrage der Anteil der Plagiate 99 Prozent, in der Volksrepublik China etwa 98 Prozent. Auch um die Moral europaeischer Anwender ist es BSA zufolge schlecht bestellt. Waehrend in der Tuerkei rund 97 Prozent aller Pakete gefaelscht seien, stamme in Deutschland jede zweite Kopie aus dunklen Quellen, so eine aktuelle Kalkulation der BSA.

Die BSA ist ein Verband, zu dem sich verschiedene Hersteller formiert haben, um Softwarepiraten das Handwerk zu legen. Wichtigstes Hilfsmittel der Vereinigung ist eine Hotline - in Insiderkreisen auch als Denunzianten-Draht verschrieen -, ueber die der Anrufer eventuelle Verstoesse melden kann. Ueber 35 solche Telefonnummern sei die BSA weltweit erreichbar, so Robin Burton, Sprecher der Niederlassung in London. Zumeist seien es unzufriedene oder bereits gekuendigte Mitarbeiter, die die BSA ueber den Einsatz illegaler Software in Unternehmen informieren und somit das potentielle Einschreiten von Staatsanwaelten einleiten. Ertappte wuerden anschliessend dazu verpflichtet, die legale Software ordnungsgemaess zu erwerben. "Betraege, die aufgrund eventueller Schadensersatzansprueche entstanden sind, gehen an die BSA", erklaert der Englaender.

Diskless-Workstations gegen Softwareklau

Offenbar sind sich deutsche Unternehmen der Problematik mit Raubkopien bereits bewusst und haben ihre Vorkehrungen gegen unbefugte Installationen getroffen. "Wir besitzen keine illegale Software", sagt beispielsweise Helmut Noeske, Leiter DV-Organisation bei der international taetigen Anlagenbau-Gesellschaft Huerner GmbH aus Frankfurt. Die Hessen setzten im Kampf gegen Raubkopierer bis auf wenige Ausnahmen ausschliesslich auf Diskless-Workstations. Dies ermoegliche es der DV-Abteilung, saemtliche Server-Aktivitaeten zu protokollieren und nachzuverfolgen. Wenig haelt Noeske allerdings von sogenannten Metering-Paketen. Dabei handelt es sich um Software, die jeweils beim Systemstart die gesamten Verzeichnisse im Netz und die dazugehoerigen Zugriffsberechtigungen ueberprueft: " Es dauert aber bis zu fuenf Minuten, bis das Programm abgelaufen ist und der Benutzer mit der Arbeit beginnen kann", begruendet der Frankfurter, weshalb die DV-Abteilung das Symantec-Tool "Norton Administrator" schnell wieder aus dem Verkehr gezogen hat.

Domenico Drago, User-Supporter bei der Peugeot Talbot GmbH aus Saarbruecken, schwoert dagegen auf Metering-Software. Die deutsche Dependance des franzoesischen Automobilherstellers vertraut seit knapp zwei Monaten Intels Softwarespion "Lan-Manager". Dieser "scannt automatisch alles, was sich auf den Festplatten befindet", beschreibt Drago die Arbeitsweise des Tools. Das Werkzeug werde als Netware Loadable Modul (NLM) in das Betriebssystem integriert. "Bevor wir den Lan-Manager im Einsatz hatten", so der Mann vom Benutzerservice, "herrschte ein einfaches Verbot". Zusaetzlich habe die Geschaeftsleitung ihre Mitarbeiter unter Androhung von Abmahnungen ueber die Konsequenzen einer illegalen Softwareverwendung informiert.

Auf Nummer Sicher geht die Hamburger Iduna-Nova-Versicherung, nachdem sich bei einer internen Revision vor einigen Jahren herausgestellt hatte, dass es sich bei rund 70 Prozent aller installierten Anwendungen um Raubkopien handelte. Im Zuge einer Vernetzung der Rechner entschied sich der Konzern dazu, sowohl Diskless-PCs als auch IBMs Metering-Software "LMU2" das Vertrauen zu schenken, berichtet Netzwerkadministrator Kay Germann. Neue Programme werden bei Iduna-Nova ausschliesslich per Ferninstallation ins Netz geholt. "Bei Stand-alone-Geraeten muessen Mitarbeiter unterschreiben, keine fremde Software zu installieren", so Germann.

Diese korrekte Haltung scheint eher eine Ausnahme zu sein: "Es gehoert doch schon fast zum guten Ruf, kopierte Programme einzusetzen - ob privat oder in der Firma", erklaert ein Mitarbeiter eines sueddeutschen Betriebs die Kopiererei eher zum Kavaliersdelikt. Er moechte verstaendlicherweise nicht namentlich genannt werden.

Schuld an der oftmals fehlenden Moral in Anwenderkreisen, so scheint es, tragen die Anbieter teilweise selbst. Nur allzuoft zeigte die Vergangenheit, dass geschaedigte Hersteller den Klageweg als moeglichst zu vermeidende Ultima ratio betrachteten. Zu gross ist die Angst der Anbieter, sich durch Prozesse gegen Softwarepiraten Imageverluste und schlechte Publicity einzuhandeln. "Ich habe gehoert, dass sich VSI und BSA sehr wohl ueberlegen, ob sie jemanden an den Galgen haengen oder nicht", konstatiert ein DV-Verantwortlicher aus Muenchen. "Schliesslich stehen ganz erhebliche Geschaeftsinteressen dahinter."

"Die Piraten sind zum gro-ssen Teil auch unsere Kunden", begruendet Rudolf Gallist, Geschaeftsfuehrer der deutschen Microsoft-Dependance und Vorstandsvorsitzender des Verbands der Softwareindustrie Deutschlands (VSI), weshalb man einschlaegige Verstoesse meistens halbherzig verfolgt. Gallist zufolge ziehen die IT-Lobbies in rund 80 Prozent aller Faelle - BSA-Mann Burton spricht in diesem Zusammenhang gar von 90 Prozent - nicht vor Gericht. In der Regel erfolgten zur Wiedergutmachung ein Vergleich und eine anschliessende Nachlizenzierung. Gallist raet: Geschaeftsfuehrungen sollten saemtliche Mitarbeiter per Rundschreiben ueber die Folgen des Softwareklaus aufklaeren sowie regelmaessig die im Unternehmen verwendeten Festplatten ueberpruefen lassen. Dadurch sei dem Vorwurf der Fahrlaessigkeit vorzubeugen. "Fuehrungsetagen, die sich nicht darum kuemmern, haben Pech gehabt." Alexander Deindl