Know-how in zwei Distributionen konzentriert

Suse oder Red Hat: Anwender wollen beide

05.09.2003
MÜNCHEN (CW) - Fast alle großen IT-Anbieter stehen heute hinter Linux. Ihre Interessen beeinflussen den Markt um das quelloffene Betriebssystem. Szenekenner Stefan Wintermeyer, Geschäftsführer der OTRS GmbH, die ausschließlich von Services für ein gleichnamiges Open-Source-Produkt lebt, erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE* auffällige Verschiebungen in der Linux-Welt.

CW: Es hat den Anschein, als konzentrierten sich die großen IT-Anbieter auf zwei Linux-Distributionen, nämlich Suse und Red Hat. Woran liegt das?

WINTERMEYER: Früher wollten alle IT-Anbieter immer eine zentrale Linux-Distribution. Dabei favorisierten sie Red Hat, weil sie primär den US-amerikanischen Markt im Auge hatten. Heute nimmt man davon Abstand. Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und will mit Linux nicht wider eine Abhängigkeit wie von Microsoft erleben. Die großen IT-Player wollen deshalb mindestens zwei Distributionen, neben Red Hat auch Suse.

Eine Linux-Distribution - damit meine ich nicht nur das Betriebssystem, sondern auch Installationshilfen, Support und Consulting - ist nicht so einfach zu realisieren. Das Know-how dazu haben zurzeit nur Red Hat und Suse. Die haben in den letz-ten Jahren die ganzen wichtigen Entwickler angestellt und die notwendigen Organisationen aufgebaut. Auch eine IBM bräuchte mindestens ein halbes Jahr, um bei einer neuen Distribution auf das Niveau von Suse und Red Hat zu kommen. Wenn diese beiden Firmen plötzlich nicht mehr bestehen würden, wäre Linux für professionelle Anwendungen in Unternehmen gestorben. Deswegen konzentrieren sich die Großen der Branche auf Red Hat und Suse.

CW: Aber um den Aufwand mit der Anpassung der Systeme und Applikationen an zwei Distributionen in Grenzen zu halten, müssten Systemintegratoren und Softwarehäuser ein großes Interesse an Standards haben.

WINTERMEYER: Das haben sie auch. Allen voran hat sich IBM in der Free Standards Group für Linux Standard Base (LSB) sehr engagiert. Standards sind in der Linux-Welt weiter umgesetzt als anderswo. LSB geht über die Unix-Standards weit hinaus. Da gibt es keine proprietären Hintertürchen, jedenfalls nicht beim Betriebssystems, schon allein deshalb, weil die Distributionen am Ende Open Source sind. Doch darüber hinaus, zum Beispiel bei den Administrations-Tools, bestehen enorme Unterschiede zwischen den Distributionen. Damit haben Anwender ein Problem, wenn sie parallel mit Red Hat und Suse arbeiten.

CW: Manche Anwender beklagen einen Mangel an Betriebssystem-nahen Tools in der Linux-Welt, andere sehen darin kein Problem. Was stimmt nun?

WINTERMEYER: Es gibt zwei Anwendertypen: Die einen leben zufrieden quasi in der Unix-Steinzeit. Für die sind Kommandozeilen das Paradies. Die anderen sind an grafische Benutzeroberflächen gewohnt und wollen Windows-ähnliche Tools. Und natürlich ist es viel einfacher, beispielsweise die Warnung vor einer drohenden Systemüberlastung zu erkennen, wenn ein Tool das mit Ampelfarben statt in Zahlenkolonnen darstellt. Leider erfindet hier jeder Anbieter das Rad neu, und die Anwender müssen jedes Mal wieder etwas anderes lernen.

CW: Glauben Sie, dass die großen Hersteller sich weiter so für Linux engagieren werden?

WINTERMEYER: Da bin ich ganz sicher. Viele sind gerade erst auf den Linux-Zug gesprungen. Selbst IBM wird Linux noch mehr vorantreiben als bisher schon. Denen ist es völlig egal, ob sie damit Gewinn machen oder nicht. IBM braucht eine Antwort auf die Solaris-Systeme von Sun, die heißt Linux. Und zum ersten Mal kann Big Blue mit einem Betriebssystem alle seine vier Hardwareplattformen abdecken. Linux kommt denen wie gerufen - und Geld spielt da keine Rolle. (ls)

*Das Gespräch führte im Auftrag der CW Konrad Buck, freier Journalist aus Düsseldorf.

Kostenloses Trouble Ticket

Stefan Wintermeyer ist Gründungsmitglied der Organisation OTRS.org, die das "Open Source Ticket Request System" (OTRS) zum Management von Telefonanrufen, Faxen und E-Mails entwickelt hat. Allein in den USA setzen gut ein Dutzend der 100 größten Firmen dieses Trouble-Ticket-System ein. Die Nasa hat damit ein kommerzielles System abgelöst und konnte dadurch allein im ersten Jahr 250000 Dollar sparen. OTRS ist kostenlos.