Deutsche DV-Förderung ohne klare Stategie

Suprenum offenbart: Förderung der Grundlagenforschung bringt noch keine innovativen Produkte

04.05.1990

Alle Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft sind sich darüber einig, daß der Informationstechnik eine immer wichtigere Katalysatorfunktion für das Gedeihen unserer Wirtschaft zukommt. Heftig umstritten ist dagegen, wie man die Bundesrepublik in diesem Bereich stärken kann. Langsam mehren sich die Stimmen, die eine gezielte Industriepolitik der bisherigen, wenig erfolgreichen Forschungsförderung mit rein technologischem Ansatz vorziehen. Vor allem vom " Gießkannen-Prinzip " müsse sich die Förderpolitik verabschieden.

Suprenum ist tot, es lebe Suprenum! Der Erfolg des Supercomputer Projekts, für das die Förderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) im Herbst letzten Jahres planmäßig endete, ist genauso heiß umstritten wie die Wirksamkeit bundesdeutscher Forschungs- und Entwicklungs-Förderung in der Informationstechnik insgesamt. Diejenigen, die von der Zielvorstellung eines industriellen Ansprüchen genügenden Supercomputers ausgehen, betrachten Suprenum als gescheitert. Andere - hauptsächlich unter den Förderern und Vätern des Parallelrechners zu finden - halten das Projekt für erfolgreich.

Ihrer Einschätzung nach ist es nämlich niemals das Ziel von Suprenum gewesen, in der vom Bundesforschungsminister geförderten ersten Phase des Projekts einen marktfähigen Supercomputer zu entwickeln. Vielmehr sollte bewiesen werden daß mit einer neuartigen Rechnerarchitektur, die Parallelität und Vektorbearbeitung miteinander verbindet, heute existierende Leistungsgrenzen bei Supercomputern weit überschritten werden können.

Günter Marx, Referatsleiter, "Informationsverarbeitung" beim BMFT und zuständig für die Suprenum-Förderung, steht nach wie vor zu dem mit über 160 Millionen Mark geförderten Projekt: "Die beteiligten Teams haben versucht zu klären, ob eine solche Architektur funktioniert. Es war nicht nach einem fertigen Produkt gefragt, das die prinzipiell mögliche Leistung heute schon bereitstellt. Festzuhalten bleibt, daß der bei Suprenum eingeschlagene Weg gangbar ist. Damit haben wir das gesteckte Ziel erreicht, und die Förderung durch den Bundesminister für Forschung und Technologie ist beendet. Der Rest - ein marktfähiges Produkt zu entwickeln - bleibt Aufgabe der beteiligten Unternehmen, die ja zu diesem Zweck auch eine eigene Gesellschaft gegründet haben."

Karl Friedrich Triebold, Vorsitzender der Geschäftsführung der Krupp-Atlas Elektronik GmbH, die ebenfalls an Suprenum beteiligt ist, hält die gestellte Aufgabe ebenfalls für gelöst: "Die Entwicklung und Forschung auf dem Gebiet der Hochleistungs-Parallelrechner in modularer Konzeption wurde durch Suprenum weltweit das erste Mal dargestellt, wobei die Architektur, das Betriebssystem, die Anwenderprogramme und der Compiler unter Unix in einer Gesamtheit vereinigt wurden." Außerdem führt er an daß die ursprüngliche Aufgabe - die Herstellung eines 250-MFlop-Rechners - bereits heute gelöst sei, und zwar zu einem "erheblich niedrigeren Preis", als ursprünglich geplant Jetzt befinde man sich "im Übergang von der Forschung auf diesem Gebiet zur kommerziellen Verwertung der erreichten Ergebnisse". Erst in diesem zweiten Schritt solle die nicht mehr vom Bundesminister für Forschung und Technologie geförderte "industrielle Phase" einsetzen.

Gerhard Adler, Vorsitzender der Geschäftsführung von Diebold Deutschland, beurteilt die Sache unabhängig von Erfolg oder Mißlingen: "Solche Projekte aufzulegen und durchzuführen ist einfach notwendig, um den hiesigen Wissensstand auf einem hohen Niveau zu halten. Das gilt selbst dann, wenn man die Ergebnisse nachher einstampfen muß. Diejenigen, die von Fördermaßnahmen immer konkrete Produkte erwarten, hegen überzogene Vorstellungen. Wichtig scheint mir, daß Erkenntnisse gewonnen werden, die in andere eventuell nicht so anspruchsvolle Produkte einfließen." Aber da liegt ein weiteres Problem. Gelingt es nicht, einen marktfähigen Parallelrechner rechtzeitig fertigzustellen, dann ernten Unternehmen anderer Nationen das, was deutsche Forscher gesät haben. Diese Möglichkeit sieht auch Friedrich Triebold: "Daß andere Unternehmen aus dieser Innovation Vorteile ziehen, ist nicht ausgeschlossen, da dieses Konzept der Suprenum-Architektur als wegweisend für die Zukunft angesehen wird. Es ist zu erwarten, daß aufgrund unserer liberalen Richtlinien ein Nutzen von allen in der Welt gezogen werden kann."

An dem bereits 1986 gestarteten Projekt "Superrechner für numerische Aufgaben" werden die Schwierigkeiten deutlich, mit denen Forschungs- und Entwicklungförderungen in der Bundesrepublik Deutschland zu kämpfen haben. Auf der einen Seite müssen die technologischen Grundlagen beherrscht werden, auf der anderen Seite hat dieses Basiswissen aber auch in marktfähige Produkte einzufließen.

Schließlich soll doch durch geeignete Maßnahmen erreicht werden, "daß die Informationstechnik ihre innovativen Potentiale voll entfalten kann und unsere Unternehmen an dem überdurchschnittlichen Wachstum der Branche teilnehmen können. So zumindest formulieren Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber und Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann im gemeinsamen Vorwort zu einem von beiden Häusern herausgegebenen Buch mit dem Titel "Zukunftskonzept Informationstechnik". Nur weichen die Meinungen stark voneinander ab, wenn es darum geht, wie das von öffentlicher Hand und Industrie gleichermaßen angestrebte Ziel erreicht werden soll.

Günter Marx vom BMFT sieht seine Arbeit jedenfalls vor folgendem Hintergrund: "Die Entwicklung von Produkten ist eigentlich Sache der Wirtschaft. Aber es wäre gut, wenn es um die Firmen herum eine kreative und leistungsfähige wissenschaftliche Szene an den Hochschulen gäbe, aus der immer wieder neue Ideen und Leute nachwachsen könnten. Wenn wir zum Beispiel die Neuro-Informatik anschieben, indem wir eine ganze Reihe von Hochschulen fördern, dann ist damit die Hoffnung verbunden, daß wir nicht nur wissenschaftlich in Europa auftauchen, sondern daß die Industrie auf diesen Ideen aufsetzt und ihre Produkte entwickelt."

Diese Art der Förderung - die Investition in Hochschulbildung - betrachtet auch Alexander Gerybadze, Unternehmensberater für Innovations- und Strategie-Management in Wiesbaden, zumindest für die Softwarebranche als sehr hilfreich: "Aus Instituten und Hochschulen sind Leute gekommen, die entweder selbst etwas aufgezogen haben oder die in entsprechende Softwarehäuser gegangen sind. Das hat etwas bewegt."

Trotz dieser positiven Auswirkungen hält Gerybadze die für Software bereitgestellten Fördergelder für völlig unzureichend: "Die Politik ist eher auf die Unterstützung des verarbeitenden Gewerbes ausgerichtet, und Softwarehäuser fallen oft aus den Maßnahmen heraus." Dem früher bei Arthur D. Little in der Geschäftsführung tätigen Gerybadze zufolge liegt hier ein Grund für das weitgehende Fehlen großer Softwarehäuser, die auch international tätig sind.

Gerhard Keutken von der Gesellschaft für Elektronische Informationsverarbeitung mbH (GEI) schlägt in die gleiche Kerbe: "Die Informationstechnologie ist bei weitem nicht das Lieblingskind der Bonner Politiker. Die Förderung ist in diesem Bereich sehr weit heruntergefahren worden und liegt inzwischen bei unter hundert Millionen Mark." Stark gefördert werden seiner Meinung nach nur noch das Zentrum für Künstliche Intelligenz, das Wissenschaftsprogramm "Stone" und das Eureka-Verbundprojekt "Eureka Software Factory" (ESF). Das Ziel dieser "Fabrik" ist im "Zukunftskonzept Informationstechnik" folgendermaßen definiert: "Zwölf Partner aus sechs Ländern vereinen darin ihr Potential und ihre Erfahrungen, um ein über die Grenzen reichendes Werkzeugsystem für die Entwicklung von Software zu schaffen."

Von deutscher Seite wird die ESF während der Hauptphase mit zehn Millionen Mark gefördert. Allerdings hatten die deutschen Partner laut Keutken sehr viel mehr Mittel beantragt. "Der Umfang der Förderung ist nicht der potentiellen wirtschaftlichen Bedeutung angemessen", bedauert er. "In Zukunft wird die Wirtschaft noch abhängiger von der Informationstechnik, und deshalb wird die Fähigkeit zur Bereitstellung moderner und leistungsfähiger Software strategisch immer wichtiger". Weil der Bundesforschungsminister aber mit Ergebnissen aus der Software-Entwicklung in der breiten Öffentlichkeit weitaus weniger reüssieren könne als mit dem Start eines neuen Forschungssatelliten, konzentriere man sich auf seiten der Politik auf Gebiete mit mehr Außenwirkung. "Allerdings ist die Förderung insgesamt notwendig, denn ohne sie würde überhaupt nichts laufen" fügt Keutken hinzu.

Im Unterschied zur Softwarebranche haben Rechnerhersteller nach Meinung von Gerybadze nicht mit knappen Fördermitteln haushalten müssen. Sie sind besonders zwischen 1967 und 1979 in drei sogenannten DV-Förderprogrammen mit etlichen Milliarden Mark gesponsert worden, um eine schlagkräftige deutsche Hardwareindustrie aufzubauen. Allerdings waren diese Maßnahmen nicht von Erfolg gekrönt - sind doch heute nur wenige Unternehmen auszumachen, die auf dem Weltmarkt in nennenswerter Weise präsent sind.

Einen Grund für das klägliche Scheitern der Hardwareförderung sieht das Wiesbadener Berater in der Konzentration des BMFT auf die Strategien weniger Großkonzerne. Diese Firmen, wie zum Beispiel Siemens und AEG-Telefunken, seien an die Erschließung des DV-Marktes nur taktisch herangegangen. "Das war für die immer nur ein untergeordnetes Geschäft", kritisiert Gerybadze. Seiner Meinung nach hätten diese Konzerne nicht die Strategie verfolgt, weltweit DV-technisch präsent zu sein - im Unterschied zu Big Blue oder DEC, für die Datenverarbeitung das Hauptgeschäft bedeutet und deshalb auch ein ganz anderes Engagement erfahren hätte. Aber auch gegen die Politiker richtet sich die Kritik des Beraters: "Die Förderpolitik der Bundesregierung war insgesamt nie auf einer strategischen Ebene angesiedelt, sie war und ist zu reaktiv."

Erst als die Förderer Anfang der achtziger Jahre begannen, sich für Anwendungsprogramme stark zu machen, wurde Gerybadze zufolge die lange vergeblich gewünschte Breitenwirkung erreicht. "Da sind einige tausend Unternehmen gefördert worden, die alle vehement in die Mikroelektronik und neue Software einstiegen." Doch weil es die hiesige Industrie weder allein noch mit Hilfe staatlichen Sponsorentums geschafft habe, rechtzeitig die entsprechende Hardware bereitzustellen, hätten die innovativen Anwender auf Produkte und Komponenten aus USA und Japan zurückgreifen müssen.

Heutige Maßnahmen zur Stärkung der nationalen DV- und Informationstechnologie, die in erster Linie in europäische Verbundprojekte wie Eureka oder Esprit eingebettet sind, haben Gerybadzes Meinung nach ebenfalls Effizienzprobleme. Sie würden unter sehr großen Koordinierungs- und Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Unternehmen und Forschungseinrichtungen leiden.

In bundesdeutschen Großunternehmen beantragten, so der Wiesbadener Unternehmensberater weiter, innovative Mitarbeiter zum Beispiel nicht selten deshalb Fördergelder, weil sie gegenüber ihrer Geschäftsleitung ein zusätzliches Argument für die Durchführung eines bestimmten Projekts benötigten: "Da wedelt der Schwanz mit dem Hund." Solange die Förderpolitik weiterhin nur auf die Angebote aus den Unternehmen reagiere, ließen sich solche Verfahrensweisen nicht verhindern.

Die einzige Ausnahme in der ansonsten eher konzeptionslosen nationalen wie europäischen Förderung sieht er im Programm "Informationstechnik 2000". Hier hätten zum erstenmal Unternehmen gemeinsame Strategien formuliert, die in das "Zukunftskonzept Informationstechnik" eingeflossen seien. "Aber", so der Berater, "entscheidend ist dabei auch, wieviel an Förderung bereitgestellt wird. Diese Frage scheint noch nicht geklärt zu sein. Es sieht allerdings so aus, als wenn die beantragten Mittel weitgehend nicht gewährt werden."

Auch Friedrich Triebold von Krupp Atlas kritisiert die viel zu geringen Bundesmittel, die zudem noch von "Fall zu Fall mit der Gießkanne" ausgegeben werden. Darüber hinaus macht er auf die Vorgehensweise in Übersee aufmerksam. Japan habe das MITI und die USA die sogenannte Strategic Computation Initiative, die entsprechende Aktivitäten einleiten und koordinieren könnten.

Nach Triebolds Dafürhalten sollte ein "Wissenschaftsrat" - vergleichbar mit den "Fünf Weisen" für wirtschaftliche Belange - zusammenkommen, um ein ähnliches Steuerungselement ins Leben zu rufen: "Mit einem solchen Rat der Weisen wäre dann die Möglichkeit gegeben, sehr frühzeitig auf die verschiedenen Entwicklungen aufmerksam zu machen und die daraus resultierenden Erkenntnisse rechtzeitig umzusetzen." Für ihn schließen sich Förderung und Innovation nicht aus, man müsse sich nur darüber im klaren sein, in welchen Bereichen man Innovationen schaffen wolle. Insgesamt seien aber die "Risikobereitschaft und die Gewinnspannen in Deutschland niedriger, so daß auch der Wille, Ergebnisse neuer Entwicklungen zu beschaffen, geringer als beispielsweise in den USA ausgeprägt ist." Gerybadze formuliert weitaus drastischer: "Die Deutschen haben schon immer lieber in Low- und Middle-Tech sicheres Geld verdient, als in High-Tech möglicherweise Geld zu verlieren."