Fraunhofer-Institut in Garmisch behilft sich mit einem Convex-Rechner

Supercomputer sind bei der Umweltforschung das A und O

22.02.1991

Supercomputer sind heute aus der Atmosphärenforschung nicht mehr wegzudenken. Mit ihrer Hilfe werten Wissenschaftler zahlreiche Wetterdaten in komplexen Simulationsmodellen aus. Auch das Fraunhofer-lnstitut für Atmosphärische Umweltforschung in Garmisch-Partenkirchen arbeitet mittlerweile mit einem Supercomputer. Vor anderthalb Jahren wurde ein Convex-Supermini installiert.

Die genauen Zusammenhänge der globalen Wettermaschinerie sind heute noch nicht vollständig erforscht. Trotzdem treffen zum Beispiel die Wetterprognosen, insbesondere die kurzfristigen für den folgenden Tag, heute wesentlich öfter zu als früher. Möglich wurde dies durch den Einsatz von Wettersatelliten - und durch Computer, die mittlerweile eine entscheidende Rolle in der Meteorologie spielen. Ohne die elektronischen Helfer wären viele Berechnungen und Folgerungen der modernen Wetter- und Klimaforschung gar nicht möglich. Vor allem Supercomputer sind aus den Meteorologie-Instituten inzwischen nicht mehr wegzudenken. Sie übernehmen die Auswertung unzähliger Wetterdaten und erlauben die Simulation komplexer Wetter- und Klima-Zusammenhänge.

Keine Probleme mit der Rechenzeit

Ein Beispiel dafür findet sich im Fraunhofer-Institut für Atmosphärische Umweltforschung in Garmisch-Partenkirchen. Hier, am Fuß der Zugspitze, befaßt sich eine kleine Arbeitsgruppe um Eberhard Schaller mit der rechnerischen Simulation von Luftströmungen und Wetterfronten sowie mit der Evaluierung meteorologischer und luftchemischer Modelle.

Zentrales Hilfsmittel der Abteilung ist ein Mini-Supercomputer C-201 von Convex. Nur acht Mitarbeiter - vier Wissenschaftler, drei Doktoranden und eine Programmiererin - haben auf diesen Rechner Zugriff. Sie können ihn deshalb laufend benutzen und brauchen nie auf die Zuteilung von Rechenzeit zu warten.

Der ständige Zugriff auf den Superrechner erfreut indessen nicht nur die acht Wissenschaftler. Auch die Buchhalter der Fraunhofer-Gesellschaft können durchaus zufrieden sein. Da die C-201 ausschließlich für die Modellrechnungen zur Verfügung steht und mit keinen anderen Aufgaben belastet ist, sind Rechenzeit und Durchsatzzeit nahezu identisch. Dies führt zu optimaler Auslastung und hoher Wirtschaftlichkeit.

Seit über 15 Monaten steht der Super-Mini im Untergeschoß des neuen Institutsgebäudes im Loisachtal - und läuft seitdem rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Eberhard Schaller, Leiter des Bereichs "Transport und Chemie der Atmosphäre, ist mit dem Rechenknecht sehr zufrieden; nur zweimal während der gesamten Betriebszeit gab es eine kleine Störung.

Als Schaller im Januar 1989 begann, die Abteilung "Modellierung" aufzubauen, mußte er nicht nur personell nahezu bei Null anfangen. Auch der finanzielle Rahmen war begrenzt - die Fraunhofer-Gesellschaft ist ein eingetragener Verein, der den Großteil seiner Forschungsmittel selbst erwirtschaften muß. Ein Superrechner der Cray-Klasse für rund 20 Millionen Mark schied deshalb von vornherein aus. Doch eine Preisklasse tiefer fand sich mit der C-201 der passende Supercomputer, der mit rund einer Million Mark zu Buche schlug.

Die Entscheidung für die Convex-Maschine fiel laut Schaller aus mehreren Gründen. Zum einen legten die Fraunhofer-Forscher Wert darauf, daß der neue Supercomputer voll kompatibel zu Cray-Rechnern ist. Ein weiteres entscheidendes Kriterium war die Vektoreinheit. Sie kann ganze Zahlenkolonnen (Vektoren) auf einmal abarbeiten. Die in Garmisch-Partenkirchen eingesetzten Simulationsmodelle sind so umfangreich, daß sich sinnvolle Rechenzeiten nur noch durch Vektorisierung erzielen lassen.

Normalerweise müssen Computer bei der mathematischen Verknüpfung zweier Zahlen erst den entsprechenden Befehl laden, dann holen sie die Zahlen nacheinander ins Rechenwerk, verknüpfen beide und speichern das Ergebnis ab, bevor sie sich an die nächste Verknüpfung machen. Der Nachteil dabei ist: Immer nur eine Stufe der CPU arbeitet, die anderen sind in Wartestellung. Supercomputer mit einer Vektoreinheit dagegen laden den Operationsbefehl nur einmal ins Rechenwerk. Zahlenkolonnen mit gleicher mathematischer Verknüpfung arbeiten sie dann auf einen Schlag ab. Dies verkürzt die Rechenzeit erheblich.

Auch das leichte Handling sprach für die Anschaffung des Convex-Rechners. "Die luftgekühlte C-201", erläutert Schaller, "stellt keine allzu hohen Ansprüche an ihre Umgebung. Sie braucht zwar eine einfache Klimatisierung, jedoch keinen Wasseranschluß für die Kühlung." Hinzu kommt: Den Service für den Rechner führt die in Frankfurt ansässige Convex Computer GmbH per Datenfernübertragung (DFÜ) durch.

Dies spart neben Reisekosten vor allem Zeit. Denn bei Bedarf können die Serviceleute aus der Ferne schnell eingreifen.

Die Gefahr, daß sich via DFÜ Hacker in den Supercomputer des Fraunhofer-Instituts einschleichen, hat Abteilungsleiter Schaller mit einem einfachen Schalter bannen lassen. Nur über diesen ist von außen ein Zugriff auf den Rechner möglich. Sobald der Kundendienst seine Arbeit beendet hat, wird der Schutzschalter wieder umgelegt - und ungebetene Computergäste landen in einer elektronischen Sackgasse. Dieser simple Schutz ist freilich nur möglich, weil die C-201 in Garmisch keine ständige Verbindung zu externen Rechenzentren braucht. Schaller: "Wir setzen den Rechner praktisch nur als ,Number Cruncher' ein."

In der Tat ist für Fragestellungen zu Transport und Ausbreitung von Schadstoffen in der Atmosphäre heute ein elektronischer Zahlenfresser unerläßlich. Um etwa den Transport von Kohlenmonoxid von einer punktförmigen Quelle aus zu simulieren, benötigt man fünf Differentialgleichungen, die miteinander gekoppelt sind. Nur so ist es möglich, die Ausbreitung dieses Schadstoffes entlang den drei Raum-Achsen über einen längeren Zeitraum zu beschreiben.

Fast alle Programme sind selbst entworfen

Obwohl die grundlegenden Gleichungen (Navier-Stokes-Gleichungen) schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt sind spielen sie in der Atmosphärenforschung erst seit dem Einzug der Computer eine entscheidende Rolle. Denn von Hand sind die bei Strömungsmodellen anfallenden Zahlenmengen einfach nicht zu bewältigen. Andererseits lassen sich meteorologische Fragestellungen aber nicht beliebig "computerisieren". So sind die Navier-Stokes-Gleichungen nur schwer in mehrere Einzelprobleme zu zerlegen, die dann auf einem Parallelrechner, also einem Supercomputer mit mehreren -Prozessoren schnell abgearbeitet werden könnten. Auch dies war für das Fraunhofer-Institut ein Grund, sich für einen Vektorrechner mit einem leistungsstarken Monoprozessor zu entscheiden.

Ihren unter Unix laufenden Supermini nutzen die Fraunhofer-Forscher ausschließlich als Rechenmaschine. Die Aufbereitung der Ergebnisse und das Erstellen von Grafiken geschieht auf kleineren Computern. Dazu ist die C-201 in eine relativ einfache EDV Welt eingebettet: Über Ethernet gibt es eine Verbindung zu einem Grafikrechner und zu acht mit dem Supercomputer verbundenen PCs - sieben 286er und einem 386er - , die dem Post Processing dienen und direkt an den Arbeitsplätzen der Wissenschaftler stehen. Die Kommunikation mit der Außenwelt erfolgt bei Bedarf über Datex-P.

Als Grafikrechner arbeitet derzeit noch eine MicroVAX mit dem Betriebssystem VMS. Sie soll in absehbarer Zeit einer Sun-4-Workstation Platz machen. Für dieses System spricht neben der kostengünstigeren Grafiksoftware, die es für solche Workstations gibt, vor alIem das Betriebssystem Unix. Auch die PCs, derzeit noch unter DOS, sollen in Zukunft unter Unix agieren, so daß die gesamte Hardwarekonfiguration ein durchgängiges Betriebssystem hat.

Die Programme, die für das meteorologische Number Crunching notwendig sind, haben Schaller und sein Team fast alle selbst entworfen. Sämtliche Eigenentwicklungen sind in Fortran geschrieben. Kommerzielle Software benutzt die achtköpfige Arbeitsgruppe nur für den Betrieb des Netzwerks und für die Grafik. Hier gibt es zur Darstellung thematischer Landkarten spezielle Programme.

Die Abteilung "Modellierung des Fraunhofer-Instituts für Atmosphärische Umweltforschung beschäftigt sich mit drei Arbeitsschwerpunkten. Zum einen wird auf dem Supercomputer das Verhalten von Wetterfronten simuliert. Solche Simulationen sind keine wissenschaftliche Spielerei, sondern dienen der Verbesserung der lokalen und regionalen Wettervorhersage. So ist zum Beispiel bisher noch unklar, was beim Übergang einer Kaltluftfront über ein Gebirge im Detail passiert. "In Bayern-, so Schaller, "kann dies mal länger anhaltenden Regen, mal rasch klares Wetter zur Folge haben."

Um Licht ins Dunkel zu bringen, arbeiten die bayerischen Atmosphärenforscher in einem entsprechenden Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit - bisher mit gutem Erfolg. Die mit Computerhilfe gewonnenen Vorhersagen über die Entwicklung von Kaltluftfronten dekken sich nämlich weitgehend mit den tatsächlichen Wetter vorgängen. Nicht umsonst liegt die kleine Arbeitsgruppe in diesem Bereich weltweit mit an der Spitze der Forschung.

Die internationale Zusammenarbeit kommt auch in einem anderen Projekt zum Ausdruck. Im Auftrag der amerikanischen Umweltbehörde wurde über dem Nordosten der Vereinigten Staaten mit mehreren Meßflugzeugen die Verbreitung von Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid und Ozon gemessen. Darüber hinaus wurde von einer Arbeitsgruppe der State University of New York ein Rechenmodell zur Beschreibung der Ausbreitung von Schadstoffen zur Simulation der Meßperiode angewendet. Die Aufgabe der Fraunhofer-Forscher besteht nun darin, die Aussagekraft der aus den USA kommenden Modelldaten zu untersuchen. Dabei berücksichtigen sie nicht nur die Ausbreitung, sondern auch die chemische Veränderung der Luftschadstoffe.

Das Team um Schaller ist schließlich auch noch vor der eigenen Haustür tätig. Weil sich im Sommer Tag für Tag bis zu 20 000 Autos durch das Loisachtal quälen, ist der Bau von Umgehungsstraßen für die Talorte geplant. Mit Hilfe des Super computers will man aber zuvor herausfinden, wie sich solche Straßenbauprojekte auf die Schadstoffbelastung auswirken.

Die Atmosphärenforscher fütterten dazu die C-201 zunächst mit den topografischen Daten des betreffenden Gebietes sowie mit Angaben über die Oberflächeneigenschaften der Landschaft. Je nachdem, ob Wald, Wiese oder Bebauung vorherrschen, ändert sich die Reibung zwischen den Luftströmen und der Erdoberfläche. Hinzu kamen noch Daten über die Windrichtung und Windstärke, die an mehreren Stellen des Untersuchungsgebietes gemessen worden waren.

24 Stunden Rechnerzeit , um einem Tag zu simulieren

Um die Schadstoffausbreitung zu simulieren, berechnet der Convex-Computer ab einem bestimmten Zeitpunkt die Luftströmung für 6400 Felder im räumlichen Abstand von 80 Metern mit einer zeitlichen Auflösung von nur einer Sekunde. Wegen der enormen Datenflut braucht dabei selbst der Supercomputer noch eine Rechenzeit von 1:1, das heißt, um einen einzigen Tag zu simulieren, läuft er 24 Stunden am Stück. Die Ergebnisse speichert die C-201 jede halbe Stunde ab - und hat ihre Aufgabe mit der Erstellung von 49 dreidimensionalen Datenfeldern beendet.

Erst wenn diese Werte vollends aufbereitet sind (Post Processing), lassen sich die Modellergebnisse im Hinblick auf mögliche Auswirkungen der geplanten Straße interpretieren. Zum Beispiel läßt sich abschätzen, wie oft durch Autoabgase Schadstoffgrenzwerte in der Luft überschritten werden und wo deshalb die Planung zu ändern ist.

Außer in solchen kleinräumigen Studien soll der Mini Supercomputer zukünftig bei der Entwicklung eines Klima-Modells für Beyern zum Zuge kommen . Dabei geht es um die regionalen Auswirkungen der globalen Klimaverschiebung, zum Beispiel auf die Land- und Forstwirtschaft.