Virtuelle "Net-Economy"-Company versucht es mit neuem Branding

Sun-Netscape-Allianz hat noch viel Sand im Getriebe

06.08.1999
Von Beate Kneuse* MÜNCHEN - Das zurückliegende Geschäftsjahr 1998/99 ist gut gelaufen, die Zahlen stimmen. Trotzdem dürfte Sun Microsystems vor einer der größten Herausforderungen in der Firmengeschichte stehen - soll doch die Sun-Netscape-Allianz, die im Zuge der Übernahme des einstigen Browser-Highflyers durch America Online (AOL) gebildet wurde, endlich auf Kurs gebracht werden. Ein erster Schritt wurde jetzt mit der Kreierung des Markennamens "i-Planet" unternommen.

Die Bilanz 1998/99 (Ende: 30. Juni) von Sun Microsystems kann sich sehen lassen. Weltweit stiegen die Einnahmen um 20 Prozent von knapp 9,8 Milliarden auf 11,7 Milliarden Dollar, beim operativen Gewinn verzeichneten die Kalifornier ein Plus von 28 Prozent auf rund 1,16 Milliarden (Vorjahr: 906 Millionen) Dollar. Auch beim Nettoertrag braucht sich der Unix-Workstation-Spezialist und Erfinder der Programmiersprache Java nicht zu verstecken. Er kletterte im Vorjahresvergleich von 762 Millionen auf 1,03 Milliarden Dollar.

Für die deutsche Sun-Dependance konnte deren Geschäftsführer Helmut Krings jetzt vor der Presse in München ebenfalls ein gutes Wachstum vermelden. Nachdem den Münchnern im vorangegangenen Geschäftsjahr erstmals die Umsatzmilliarde gelungen war, verbesserten sie sich nun auf 1,31 Milliarden Mark, was einem Plus von 27 Prozent entspricht. Konkrete Zahlen zum Gewinn nannte Krings nicht, versicherte aber, daß man in Europa konzernweit mit die höchste Rendite erzielt habe. Gleichzeitig dementierte der deutsche Sun-Chef erneut Spekulationen, sein Unternehmen wolle das Hamburger Softwarehaus Star Division übernehmen: "Das ist ein Gerücht, daß wir nicht weiter kommentieren."

Basis für den Erfolg hierzulande war laut Michael Schroeder, Leiter Produkt-Marketing, vor allem die Tatsache, daß man beim Absatz von Unix-Workstations, der ureigensten Sun-Domäne, im abgelaufenen Geschäftsjahr sowohl im zweiten als auch im vierten Abschnitt die besten Quartale "aller Zeiten" verzeichnet habe. Der Marktanteil bewege sich laut IDC derzeit bei knapp 50 Prozent (siehe Abbildung Seite 36). Zudem hätten die Verkaufszahlen von Workgroup- und Enterprise-Servern beachtlich zulegt. Gerade das Geschäft mit letzteren verspreche für die Zukunft gute Wachstumschancen, zeigte sich Schroeder bezüglich der weiteren Marktentwicklung optimistisch.

Das offensichtlich hervorragende Geschäftsjahr ändert aber nichts daran, daß die Kalifornier vor einer der größten Herausforderungen in ihrer Firmengeschichte stehen. Schließlich gilt es, den Weg in das von ihnen als "Net-Economy"-Zeitalter apostrophierte Internet-Geschäft erfolgreich zu gestalten.

Maßgebliche Schützenhilfe soll dabei die vor einigen Monaten geschmiedete Sun-Netscape-Alliance leisten. Doch das Business in Sachen "Net-Economy" läuft noch längst nicht rund, was auch Sun-Manager, Mathias Lehmann, neuer Marketing-Direktor für den Bereich Computer Systems und Nachfolger des zum 1. Juli aus Altersgründen ausgeschiedenen Gert Haas, zugeben muß: "Die als virtuelles Unternehmen operierende Sun-Netscape-Allianz ist ein einmaliges Experiment, das in dieser Form noch nie gegeben hat".

Zur Erinnerung: Im Dezember 1998 hatte AOL die Übernahme des angeschlagenen Internet-Pioniers Netscape Communications für 4,2 Milliarden Dollar angekündigt und sich dabei der Mithilfe von Sun versichert. Während es AOL vor allem auf Netscapes Browser-Produkte inklusive der entsprechenden Entwicklungsmannschaft sowie auf das Web-Portal Netcenter mit damals rund neun Millionen registrierten Business-Kunden abgesehen hatte, sollte sich Sun als "Subkontraktor" der E-Commerce- und Server-Aktivitäten der Internet-Newcomer sichern. Vereinbart wurde, daß Sun im Laufe von drei Jahren rund 1,25 Milliarden in den Deal einbringt und dafür die Lizenz- und Vermarktungsrechte für die E-Commerce- und Server-Software von Netscape erhält. Im Gegenzug garantierte AOL, bislang auf Hardwareplattformen von Hewlett-Packard (HP) eingeschworen, Server und einschlägige Dienstleistungen für rund 500 Millionen Dollar von den Kaliforniern zu beziehen.

Kleingedrucktes im Deal mit AOL schafft Probleme

Als die Wettbewerbshüter und Aktionäre dem Deal im Frühjahr grünes Licht erteilten, gründete die Java-Company die Sun-Netscape-Allianz als virtuelles Unternehmen und tüftelt seither an einem tragfähigen Konzept - was aufgrund des "Kleingedruckten" in der Vereinbarung mit AOL eine diffizile Angelegenheit ist. Weltweit sind in der Kooperation rund 2300 Mitarbeiter beschäftigt. Davon stammen 1200 von Sun, 1100 von Netscape. Als Präsident fungiert Sun-Manager Mark Tolliver, der, so Marketing-Direktor Lehmann, alle "wichtigen strategischen Entscheidungen und Investitionen" im Rahmen des Sun-Netscape-Verbunds mit dem übergeordneten, ebenfalls virtuellen Board abstimmen muß. Dieses setzt sich aus Sun-CEO Scott McNealy, AOL-Boß Stephen Case sowie jeweils zwei weiteren Sun- und AOL-Managern zusammen.

Auch der Modus der Mitarbeiter entbehrt nicht einer gewissen "Komplexität". Sun entlohnt die eigenen Leute in der Allianz, alle Neueinstellungen landen ebenfalls direkt auf der Gehaltsliste der Kalifornier. Die Netscape-Beschäftigten der Allianz bezahlt AOL - laut Lehmann aber aus den Mitteln, die Sun dem Online-Dienst aufgrund der vertraglichen Regelungen zukommen läßt. Da man davon ausgehen muß, daß sich im Laufe des vereinbarten Drei-Jahres-Zeitraums einige Netscape-Mitarbeiter verabschieden werden, weil sie sich beispielsweise mit der neuen Kultur nicht anfreunden könnten, werde sich der personelle Netscape-Anteil bis zum Jahr 2002 sicher reduzieren. Ob und in welcher Form entsprechende Mechanismen in die Verträge eingebaut wurden, um dieses möglicherweise entstehende finanzielle Mißverhältnis zwischen den Partnern zu kompensieren, wollte der Sun-Manager nicht kommentieren. Zumal sich natürlich auch Mitarbeiter der eigenen Company entschließen könnten, zur Zentrale zurückzugehen. Lehmann gibt sich deshalb keinen Illusionen hin: "Es wird Aufgabe des Managements sein, sowohl die Sun- als auch die Netscape-Leute an dieses sicherlich ungewöhnliche Startup zu binden."

Aber auch die Kundschaft muß bei der Stange gehalten werden. Die ersten drei Monate seit Bestehen der Allianz geben Lehmann zufolge jedoch Anlaß zur Hoffnung. Allein im Zeitraum von April bis Juni habe man einen Umsatz von 100 Millionen Dollar erzielt und damit über den ursprünglichen Planungen gelegen. Dies stimme zuversichtlich, daß sich das hochgesteckte Ziel, bis Ende der Drei-Jahres-Frist auf Einnahmen in einer Größenordnung von rund einer Milliarde Dollar zu kommen, erreichen lassen. "Die Kunden verstehen, was wir ihnen im Rahmen der Allianz zu bieten haben: nämlich die komplette Hard- und Software-Infrastruktur, die notwendig ist, um vernünftig E-Commerce zu betreiben", rührt der Marketing-Profi die Werbetrommel. Für Sicherheit sorge zudem, daß alle Vertragsabschlüsse auf Sun-Geschäftspapier erfolgten. Auch die gesamte Abwicklung läuft über Sun. Trotz der "Virtualität des Unternehmens" existiere damit für die Kunden ein zuständiger und im Zweifel haftbarer Geschäftspartner. Jetzt müsse man noch eine "ordentliche Unternehmensstruktur" hinbekommen.

Dazu dürfte vor allem eine eigene Identität notwendig sein. Zumindest in Sachen Produkt-Branding hat die Allianz jetzt einen Schritt nach vorn gemacht. Unter dem Namen "i-Planet" werden ab sofort alle Produkte des Sun-Netscape-Verbunds angeboten. Nur bei den Web-Clients "Navigator" und "Communciator" bleibt das Netsacpe-Logo erhalten. "i-Planet" geht zurück auf eine von Sun im Herbst vergangenen Jahres gekaufte, auf Remote-Access-Services spezialisierte kalifornische Startup-Company. Kommt der Name i-Planet gut an, kann sich Lehmann vorstellen, daß man ihn in drei Jahren auch als Firmenbezeichnung verwendet: "Möglicherweise könnten sich Sun und AOL dann sogar entschließen, die Allianz als Spin-off an die Börse zu bringen."

Bis zu einer selbständigen "i-Planet-Company" ist es aber noch ein weiter Weg. Nicht zuletzt in Zentraleuropa - sprich: Deutschland, Österreich und der Schweiz. Denn Muttergesellschaft der für diese Länder zuständigen Netscape Communications GmbH ist die AOL-Zentrale in den USA; die hiesigen 48 Netscape-Mitarbeiter aber sind ausschließlich für die Sun-Netscape-Allianz tätig. Zu allem Überfluß hat Netscapes Zentraleuropa-Chef Klaus Blaschke Anfang Juli das Handtuch geworfen. Über die Gründe für seinen Weggang wurde nichts bekannt. Der vorher bei der deutschen Tochter des US-Datenbank-Spezialisten Informix beschäftigte Manager hatte seinen Posten erst im April 1998 angetreten.

Vakant soll die Stelle nicht bleiben. Ob sie aber in Gestalt eines gestandenen Managers vor Ort wieder besetzt wird, scheint eher zweifelhaft. Denn attraktiv ist der Job nicht. Denkbar sei nun, so Lehmann, daß ein Verantwortlicher von den USA aus als Geschäftsführer für die zentraleuropäische Netscape-Niederlassung fungiert. Die operative Verantwortung für die zentraleuropäischen Tätigkeiten der Allianz wird dagegen ein Sun-Manager übernehmen, den man intern und extern sucht, aber noch nicht gefunden hat. (Siehe auch Seite 24.)

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.

Abb: Position behauptet: Sowohl bei Unix-Servern als auch -Workstations konnte Sun zuletzt die Marktführerschaft verteidigen. Quelle: IDC