Makler handeln TK-Kontingente für Carrier am Schwarzen Brett

Suche Telefonminuten, biete Bandbreite

24.09.1999
CW-Bericht, Peter Gruber Der liberalisierte TK-Markt machts möglich: Schon bald könnten an der Börse neben Schweinebäuchen auch Telefonminuten gehandelt werden. Ob es soweit kommt, steht derzeit noch in den Sternen. Klar ist hingegen, daß Carrier neben dem traditionellen bilateralen Direktgeschäft künftig auch Dienste von TK-Brokern in Anspruch nehmen werden, um Minuten und Bandbreite zu kaufen oder verkaufen.

"Haste mal ne Minute", lautet der volkstümliche Slogan von Gerd Simon. Doch Simon geht es nicht um den spontanen und geselligen Plausch zwischen Tür und Angel, nein, der Geschäftsführer der Interxion Telecom GmbH ist scharf auf Telefonminuten. Davon kann er nicht genug kriegen. Im Dutzend billiger ist salopp gesagt fein, es dürfen aber auch ein paar Millionen sein.

Die Geschäftsidee des Frankfurter Unternehmens ist simpel und Ergebnis einer Eigenheit des liberalisierten deutschen TK-Marktes. Seit nämlich die Deutsche Telekom AG ihr Monopol verloren hat, tummeln sich hierzulande eine Menge Anbieter, die Überkapazitäten haben, während andere dringend Kontingente an Telefonminuten und Bandbreite benötigen. Die Spanne reicht dabei von internationalen über nationale und regionale Carrier bis hin zu Stadtnetzbetreibern. Hinzu kommen Reseller, die in der Regel über keine eigene Vermittlungstechnik und Leitungen verfügen. All diesen Playern bietet sich Interxion als Makler an.

Die Geschäftsidee der Frankfurter ist dabei mit einem Schwarzen Brett vergleichbar. Anbieter können auf einem Pinboard im Web - auch Virtual Dealing Room genannt - ihre Angebote hinterlegen, Interessenten ihre Gesuche beziehungsweise Gebote. Interxion vermittelt dann zwischen den Parteien - auf Wunsch natürlich streng geheim. Kommt der Deal zustande, werden die Telefonminuten über den Switch der Interxion, eine Siemens-EWSD-Anlage, verschoben. Je größer das Volumen, desto höher die Provision - und so erklärt sich Simons grenzenloses Interesse an Telefonminuten. Voraussetzung für den Transfer ist jedoch, daß die Partner fest am Interxion-Switch angeschlossen sind. Dieses einmalige Procedere dauert bis zu sechs Wochen inklusive aller Tests.

Pate für die Frankfurter stand die in Amsterdam beheimatete Mutter. Dort ist Interxion seit knapp einem Jahr aktiv und zählt derzeit über 35 Kunden, wovon 15 den virtuellen Handelsraum für Geschäfte nutzen. Der Rest beschränkt sich auf Dienstleistungen wie das Carrier-Hotel, in dem Telefongesellschaften und Internet-Service-Provider ihre Ausrüstungen unterbringen können. Der Vorteil: Das Equipment steht unter einem Dach und kann bei Bedarf rasch und für die "Hotelgäste" preiswert mit anderen Carriern zusammengeschaltet werden.

Über zehn Millionen Minuten wechseln gegenwärtig pro Monat im Amsterdamer Knoten den Besitzer - Tendenz steigend. Verglichen mit den 180 Millionen Minuten, die täglich von der Telekom vermittelt werden, sind das laut Simon zwar "Peanuts", aber immerhin ein Anfang. In Frankfurt, wo der reelle Betrieb erst jetzt richtig startet, will der TK- Brooker aus dem Stand die Zehn-Millionen-Marke schaffen. Er schweigt sich allerdings darüber aus, wie viele Carrier von der virtuellen Freihandelszone Gebrauch machen wollen.

Doch nicht nur Interxion, auch andere Anbieter wie Arbinet, Band-X oder Hanse X wittern ihre Chance, mit vergleichbaren Handelsplattformen die schnelle Mark zu machen. Ihr Ansatz, als Brooker mit eigener Vermittlungstechnik den Transfer von Telefonminuten und Bandbreite in nahezu Echtzeit zu gewährleisten, ist für die schnellebige TK-Welt zumindest ein Novum. In der Branche gilt kurioserweise nämlich noch immer das anachronistische Prinzip des Handschlags - Marke Viehhandel.

Foren für solche bilateralen Verhandlungen sind zum Beispiel Messen wie die Itex oder neuerdings auch die CeBIT. Bei dem Stelldichein vieler Carrier wird im stillen Kämmerlein der Stände um die Preise und Kontingente gefeilscht. Dabei ist weniger der Verhandlungsprozeß aufwendig als vielmehr im Nachlauf die fristgerechte Realisierung der Geschäfte. Der Grund: Für jeden Deal müssen zwischen den Handelspartnern Verbindungen geschaltet werden, sofern nicht schon vorhanden. Das kann Wochen dauern. Angesichts sich täglich ändernder Preise im TK-Markt ein nicht gerade zeitgemäßer Vorgang.

Geht es nach dem Willen der TK-Broker, können sich die Carrier diesen Aufwand in Zukunft zum Teil sparen. Dazu müßten sie sich lediglich einmal per Festverbindung an den Maklerknoten anschalten und diesen dann als Dreh- und Angelpunkt für den Minutentransfer nutzen - gegen Provision, versteht sich.

So einfach wie dieses Patentrezept klingt, ist es jedoch nicht. Dafür gibt es zwei vorrangige Gründe: Erstens berührt der Handel mit Telefonminuten sehr stark die Intimsphäre der Carrier, insbesondere jener, die im Direktvertrieb Geschäfte machen. Zweitens handelt es sich bei TK-Diensten in der Regel um Produkte, die für den Ad-hoc-Handel noch nicht ausreichend standardisiert sind.

Beide Aspekte werden auch durch eine Studie der Unternehmensberatung Price Waterhouse-Coopers (PWC) mit dem Titel "Telekommunikationsbörse, Marktplatz der Zukunft für den Handel mit Minuten und Bandbreite" gestützt. Die Analysten kommen in ihrer Untersuchung zwar zu dem Ergebnis, daß der Handel von TK-Produkten sowohl im Spotmarkt als auch im Termingeschäft an der Börse möglich ist, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Prämissen übrigens, die TK-Broker ê la Interxion & Co. dem PWC-Report zufolge nicht erfüllen.

Eine echte Börsenhandelsplattform würde sich durch drei wesentliche Kriterien von diesen Anbietern unterscheiden: Erstens werden an einer Börse nur standardisierte Produkte gehandelt. Zweitens erfolgt die Zusammenführung von Kauf- und Verkaufsangeboten automatisch. Drittens können keine Phantasiepreise vorgeschlagen werden, weil sich bei Abgabe einer Order sofort ein verpflichtendes Geschäft ergeben kann.

Bevor der Handel von TK-Produkten an der Börse Realität wird, sind also noch eine Menge Hausaufgaben zu erledigen. Vorrangig ist dabei laut Andreas Hanitsch von PWC die Standardisierung der Produkte. Dazu müssen sich aber alle am Handel beteiligten Gruppen an einen Tisch setzen, um tragfähige und von allen akzeptierte Standards zu definieren. "Es ist wichtig, ein kleines, aber feines Teilnehmerfeld zusammenzubekommen", bestätigt auch PWC-Kollege Stephan Schmid.

Die Großen der Branche halten sich bedeckt

Dieses Unterfangen dürfte jedoch schwierig werden, denn noch üben sich die Großen der Branche in vornehmer Zurückhaltung. "Man sträubt sich mächtig", gibt Hanitsch zu. Auch in der Studie heißt es, daß von seiten der Carrier, die für andere Netzbetreiber Telefonminuten terminieren, Vorbehalte gegen einen Börsenhandel bestehen. Deren Befürchtung ist: Transparentere Preise könnten die Margen unter Druck setzen. Diese Zurückhaltung ist aus Sicht von Walter Grau, stellvertretender Vorsitzender der Anwendervereinigung Telecom e.V., verständlich: "Die Netzbetreiber können kein Interesse haben, ihr stabiles Direktgeschäft zu unterlaufen", meint Grau und setzt noch einen drauf: "Der Preisverfall ist so extrem, daß eine Börse sowieso nicht mehr viel bringt."

Wenn aber namhafte Branchenvertreter wie die Telekom oder Arcor nicht an der Formulierung börsenfähiger TK-Standards mitwirken, dürfte dieses Handelsmodell vorerst keine Zukunft haben. Eine Präsenz dieser Player ist schon deshalb erforderlich, weil das Börsenmodell stark auf der Reputation der beteiligten Carrier beruht. Schließlich gilt es, in einem Spotmarkt, der schnelle Reaktionszeiten erfordert, nur schwer meßbare Faktoren wie Qualität oder Verfügbarkeit sicherzustellen. Eine Qualitätskontrolle können die Börse oder ein externer Dienstleister als Clearing-Stelle aber nur begrenzt leisten. Es müssen also die Teilnehmer mit ihrem guten Namen bürgen. Schwarzen Schafen droht im Extremfall der Ausschluß.

Trotz der vielen Fragezeichen, die derzeit noch hinter einem TK-Börsenhandel stehen, ist Hanitsch von der Zukunft dieser Idee überzeugt. "Das Geschäft wird mit Commodities starten, sprich mit Diensten, die nicht so komplex und qualitätskritisch sind", glaubt der Experte. "Im Termingeschäft spielt es keine Rolle, ob ich Schweinebäuche oder Telefonminuten handle", wirbt Hanitsch bildhaft für die Normalität TK-spezifischer Orders. Für die Player sei es dann ein strategisches Muß, sich an einer Börse zu beteiligen. Die Rheinisch-Westfälische Börse in Düsseldorf steht jedenfalls schon in den Startlöchern.

Als börsentaugliche Produkte (siehe Tabelle) haben die Unternehmensberater vor allem internationale Telefonminuten und Bandbreite identifiziert. Diese beiden Kategorien sind nach Ansicht von Schmid deshalb besonders geeignet, weil sie auf den internationalen "Rennstrecken" von vielen Carriern angeboten werden, also eine hohe Liquidität (siehe Glossar) in Angebot und Nachfrage besteht. Außerdem ist ein schneller Austausch der Ware (Fungibilität, siehe Glossar) möglich.

Bei der Bewertung der Handelsfähigkeit von Bandbreite scheiden sich jedoch die Geister. Während PWC die zu vermittelnde Bandbreite (X.25, Frame Relay, ATM, IP) als gut börsentauglich einstuft, ist Simon in diesem Punkt anderer Meinung. Er hält Bandbreite zwar auch für handelbar, aber nicht über zentrales Router-Equipment, wie es bei einer Börse erforderlich wäre. Dazu seien die Signalisierung noch zu herstellerspezifisch und die Produkte zu unterschiedlich. Trotzdem wird Interxion demnächst auch das Bandbreiten-Trading in sein Angebot aufnehmen, die Zusammenschaltung dann aber den Carrieren überlassen.

Was das Argument der Standardisierung von TK-Produkten betrifft, hegt Simon insgesamt Skepsis. Seine Erfahrung ist, daß Carrier individuelle Angebote machen, die sich nicht zwingend in eine Standardkategorie einordnen lassen. Eine Telefonminute sei zwar eine Minute, die Qualität könne aber stark divergieren, nennt der Makler ein Beispiel: "Das ist wie mit der Wurst auf dem Brot."

Intelligente Einkaufs-Tools senken TransaktionskostenImmerhin besteht zwischen Simon und dem börsenorientierten Ansatz von PWC in einem Punkt Konsens. Die Teilnehmer am TK-Markt benötigen künftig neben dem bilateralen Direktgeschäft auch die intelligenten Einkaufswerkzeuge Dritter, um die Effizienz zu steigern und Transaktionskosten zu senken. "In Zukunft werden die Geschäfte überwiegend per Mausklick am PC mit Hilfe elektronischer Handelsagenten abgewickelt", wagt der TK-Händler den Blick ins nächste Jahrtausend. Geschäftstüchtig fügt er jedoch hinzu: "Dazu werden zwar Handelssysteme gebraucht, aber keine Börse." Schließlich, so Simon, kenne man den Xetra-Mann oder Agenten der Advanced Bank auch nicht, wenn man Aktien kaufe oder Bankgeschäfte tätige. Seine Botschaft: Trading-Plattformen Dritter sind ebenso glaubwürdig wie eine Börse.