Erfolgreicher Modellversuch in Paderborn

Studienabbrecher laufen Akademikern den Rang ab

05.04.1991

Im Rahmen eines Modellversuches wurden am Bib (Bildungszentrum für informationsverarbeitende Berufe e.V.) in Paderborn neben Akademikern auch Studienabbrecher in Umschulungslehrgänge der angewandten Informatik aufgenommen. Das Ergebnis zeigt, daß Studienabbrecher und -abbrecherinnen vergleichbar gute Ergebnisse erzielen wie Hochschulabsolventen.

Überfüllte Hörsäle, die Anonymität des Hochschulbetriebes und fehlender Praxisbezug der Lehrveranstaltungen sind häufig die Ursache dafür, daß im Studium Mißerfolge auftreten. Kommen dann noch persönliche Probleme hinzu, fehlt die Kraft, den Kampf bis zum ohnehin ungewissen Ende fortzuführen. Das persönliche Chaos ist vorprogrammiert, der Abbruch eines Studiums die Konsequenz.

Auf diese Weise scheitern Jahr für Jahr viele tausend Studenten, ohne daß es an ihren praktischen oder geistigen Fähigkeiten liegt. Gerade weil sie möglicherweise ausgesprochen praktisch veranlagt sind, weil sie keine Supertheoretiker sein oder werden wollen, sind sie zum Scheitern verurteilt. Vielleicht hatten sie aber auch nur ungenügende oder falsche Vorstellungen darüber, was sie im Studium erwarten würde, und müssen sich deshalb in die lange Schlange derjenigen einreihen, für die nach einigen Semestern das vorzeitige Aus kommt.

Die sechs Monate nach Ende der Bib-Ausbildung durchgeführten Befragungen von Studienabbrechern zeigen, daß nahezu 100 Prozent von ihnen attraktive und gut dotierte Arbeitsstellen mit Entwicklungsperspektiven angetreten haben. Nachbefragungen belegen sogar, daß viele von ihnen bereits in wenigen Jahren Karriere gemacht haben.

Echte Alternative zum Hochschulstudium

Volkswirtschaftlich gesehen stellen diese ehemaligen Studienabbrecher damit ein wertvolles Potential dar. Um das zu erreichen, mußten sie jedoch eine Ausbildung durchlaufen, die stark anwendungsorientiert war und große praktische Anteile enthielt. Nur so konnte für diesen Personenkreis eine echte Alternative zum Studium geschaffen werden. Es zeigt sich sogar, daß die vorangegangenen Studiensemester häufig nicht nur eine gute Basis für die Ausbildung sind, sondern die berufliche Entwicklung entscheidend fördern.

Ab diesem Frühjahr richtet das Paderborner Institut daher einen zusätzlichen 24-Monate-Kurs ein, der den Studienabbrechern eine marktgerechte Qualifizierungschance in der Wirtschaftsinformatik bieten soll.

So hat zum Beispiel Elfriede P. zwei Monate vor der staatlichen Prüfung zur Informatikassistentin ihren Arbeitsvertrag bereits in der Tasche. Die Realisierung der in den Ausbildungsgang integrierten Projektarbeit in einem Unternehmen gab ihr nicht nur die Möglichkeit, ein Softwareprodukt eigenständig zu realisieren, das Projekt machte sie auch mit ihrem zukünftigen Arbeitgeber bekannt.

Ebenso erging es Michael K., der sein Mathematikstudium abgebrochen hatte und zukünftig in Paderborn arbeiten wird. Während der Ausbildung hat er nicht nur eine breit angelegte und tiefgehende Spezialausbildung in Betriebswirtschaftslehre, sondern auch eine Qualifizierung in Informatik erfahren.

Informatikfachleute sind zwar begehrt, aber es wird auch einiges von ihnen verlangt. So müssen sie mindestens zwei aktuelle Programmiersprachen

beherrschen, sich in Betriebssystemen und betrieblichen Informations- und Kommunikationssystemen auskennen, und sie müssen Erfahrungen im Einsatz

von Anwendersoftware und Datenbanken haben.

Dennoch ist das Beherrschen von zum Beispiel der Programmiersprache C, des Betriebssystems Unix und eines relationalen Datenbank-Systems nur Hilfsmittel zur Lösung unterschiedlicher Problemstellungen aus dem wirtschaftlichen Bereich.

Im übrigen steht den Informatikassistenten in der Wirtschaft eine breite Palette von möglichen Arbeitsfeldern offen. Viele steigen zwar als Organisations- und Anwendungsprogrammierer ein, finden sich aber relativ schnell als Organisator, Systemanalytiker oder DV Leiter wieder.

Die Ausbildung beziehungsweise Umschulung wird unter folgenden Zielsetzungen durchgeführt:

- Schaffung einer marktgerechten Qualifizierung auf breiter Grundlage mit hohem Praxisanteil an vernetzten industriellen DV-Systemen,

- Entwicklung eines breiten Fundaments von Modellen, Strukturen und Problemlösungsmethoden der angewandten Informatik,

- Befähigung zur systematischen Entwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen unter Einbeziehung sozialverträglicher Organisationen,

- Entwicklung der Schlüsselqualifikationen durch Lernen im Klassenverband, kommunikationsfördernde Gruppenarbeit und spezielles Training,

- Förderung der praktischen DV-Erfahrung durch zahlreiche Systemübungen, Projektarbeiten sowie Übungs- und Testzeiten im Open-shop-Betrieb,

- Erwerb wichtiger Erfahrungen eines DV-Praktikers durch ein selbständiges Softwareprojekt in einem Unternehmen.

Die Ausbildung ist gedacht für Abiturienten, Studienabbrecher mit Fachhochschulreife und für berufserfahrene Arbeitnehmer mit Fachhochschulreife unter speziellen Voraussetzungen (zum Beispiel kaufmännischer Berufsabschluß).

Anfangsgehälter erreichen sogar Akademiker-Niveau

Für den Studienabbrecher ist dabei von besonderer Bedeutung, daß nahezu 100 Prozent der Absolventen vermittelt werden können (langfristig nachgewiesen) und daß die Einstellungsgehälter Akademikerniveau erreichen.

Neben der Umschulung zum staatlich geprüften Informatikassistenten Wirtschaft bietet das Bib innerhalb des Modellversuches auch die Ausbildung zum staatlich geprüften Informatikassistenten Softwaretechnologie an.

Sie dauert ebenfalls 24 Monate und ist eine breit angelegte Informatikausbildung, die insbesondere für eine Berufstätigkeit in der Software-Entwicklung und Systemanalyse qualifiziert. Die Abgänger sind befähigt, vielfältige Problemstellungen bei DV-Anwendern, DV-Herstellern oder in Softwarehäusern zu lösen, sie können darüber hinaus neue Entwicklungen aufnehmen und in Anwendungen umsetzen.

Informatuonen:Dipl.-lng. Bernt Schröder ist Institutsleiter am Bildungszentrum für informationsverarbeitende Berufe e.V. in Paderborn.