Unternehmen fordern mehr Praxisbezug der Informatikausbildung

Studenten haben falsche Vorstellungen

28.02.1997

Nachwuchssorgen plagen die Informatikabteilungen hierzulande in Industrie und Wirtschaft weiterhin. Nicht nur sind die Zahlen bei Studienanfängern und -abgängern seit 1991 konstant rückläufig. Auch das Lehrangebot scheint den extrem kurzen Innovations- und Lernzyklen in der IT kaum entsprechen zu können. "Studenten lernen Konzepte auf der grünen Wiese", kritisierte der Kaiserslauterner Professor Dieter Rombach. "Dabei entwickeln sie falsche Vorstellungen von den Anforderungen der Berufswelt."

Blauäugig scheinen nicht wenige Lehrpläne konzipiert. Sie enthalten Hardware-Entwurf und Cobol-Code, wo vielmehr Kompetenz für eine verteilt arbeitende, wirtschaftlich orientierte Informatik zum Berufsalltag gehört. "Nicht gelernt, aber benötigt haben Absolventen von deutschen Universitäten Projekt-Management, Software-Engineering, Rhetorik und Menschenführung", zitierte Gastgeber Axel Lukassen jüngste Ergebnisse einer GI-Umfrage. "Zugeschüttet wurden sie dagegen", legt der DV-Chef der Deutschen Vermögensberatung AG nach, "mit recht praxisfernen mathematisch-logischen sowie physikalisch-elektrotechnischen Grundlagen oder formalen Sprachen." Dies schlägt sich bei den Studienzeiten nieder. Nur 4,4 Prozent der Informatiker schaffen das Studium innerhalb der Regelstudienzeit zwischen acht und zehn Semestern.

Kaum eine Stellenausschreibung verzichtet auf Anforderungen wie Projekterfahrung, Fach-Know-how, SAP-Anwendungskenntnisse oder auch Teamorientierung. Hauptabnehmer sind Software-Entwicklung, IT-Abteilung sowie Beratung und Vertrieb. "Wir suchen händeringend Leute mit diesen Qualifikationen", beschreibt Ernst Dehnert vom Münchner Softwarehaus sd&m eigene Erfahrungen. Welche Defizite die Informatikausbildung teilweise kennzeichnen, zeigt auch die Quote von 8,6 Prozent arbeitslosen Informatikern.

"Projektwissen fehlt weitgehend, soziodynamische Aspekte sind nicht durchlebt", stellt Wolfgang Johannsen fest. Der Technologievordenker der Deutschen Bank verzeichnet beim Informatiknachwuchs bedenkliche "Auswirkungen auf Persönlichkeit und Professionalität".

Absolventen wiederum hegen hohe berufliche Erwartungen. Sie betreffen Eigenständigkeit, Arbeitsbedingungen und Verantwortung. Doch die Unternehmensrealität sieht zunächst anders aus. Sie fordert die intensive Beschäftigung mit Altsystemen, Kostenplänen und Terminen. "Was das betrifft, sehen wir beim Nachwuchs häufig ein enormes Vakuum", bemängelt Hans Franken aus der Geschäftsleitung der Deutschen Vermögensberatung AG die Mentalität der Jobeinsteiger.

Einigkeit bestand über die Notwendigkeit, die Attraktivität der Lehre für Informatikstudenten durch Praxisbezug aufzupolieren. Dazu sollten Universitäten und Unternehmen stärker kooperieren.

Hohe Priorität gaben die rund 50 Praktiker aus Finanzwirtschaft, Software- und Beratungsbranche der Weiterbildung nach dem Studium. "Der Wissenstransfer zwischen Hochschule und Praktikern", dämpfte Jochen Ludewig indes die Erwartungen, "scheitert an der Unsicherheit der Rahmenbedingungen." Im Klartext meinte der Stuttgarter Hochschullehrer: an der sehr unterschiedlichen Honorierung der Professoren.