Wollen Sony und Philips eigene Produktschwächen übertünchen?

Streit um DVD-RAM kann Anwender kalt lassen

29.08.1997

Krieg der Standards, rauscht es durch den Blätterwald. Schon wähnten die ersten Schwarzseher, nun sei die Zukunft der gesamten DVD-Technologie in Frage gestellt. Der Anwender sei verunsichert und werde sich nun DVD gegenüber nicht mehr aufgeschlossen zeigen, DVD also nicht auf breiter Basis annehmen. Zu allem Überfluß hat neben den drei Abtrünnigen Sony, Philips und HP jetzt auch noch NEC bekanntgegeben, man wolle bei DVD-RAM einen eigenen Weg beschreiten. Die Verwirrung scheint perfekt. Doch worum geht es wirklich?

DVD gilt als das zukunftsträchtige Verfahren, um sehr große Mengen unterschiedlicher Daten auf einer einzigen Silberscheibe vom Format einer herkömmlichen CD unterzubringen. Insider gehen davon aus, daß insbesondere mit der DVD-RAM-Technologie die unterschiedlichen CD- und DVD-Datenformate in einem Medium aufgehen und so auch herkömmliche Videorekorder ablösen.

CD-ROMs und DVD-Scheiben sind äußerlich identisch: Sie besitzen einen Durchmesser von zwölf Zentimetern, beide Medien sind 1,2 Millimeter dick. Hier enden die Gemeinsamkeiten. Während nämlich CD-ROMs maximal 650 MB speichern können, fassen DVD-Rundlinge je nach der Art des Speicherverfahrens bis zu 17 GB. Prinzipiell gibt es verschiedene Ausprägungen der DVD-Technologie: DVD-ROM, DVD-R, DVD-Video, DVD-Audio und DVD-RAM.

Der Streit zwischen Mitgliedern des DVD-Forums wie Toshiba, Matsushita und Mitsubishi auf der einen Seite und Sony sowie Philips andererseits - die übrigens auch dem DVD-Konsortium angehören - zielt lediglich auf das DVD-RAM-Verfahren ab.

Allerdings haben Sony und Philips im Juli 1997 auch bei DVD-Audio ein eigenes Technologiekonzept vorgelegt.

Ihrer Direct-stream-Digital- (DSD-)Technologie setzte das DVD-Forum den DVD-Audio genannten Standard entgegen. Hier steht man nach Informationen des Branchendienstes "Computergram" vor einer Einigung. Kann man sich zu einer Übereinkunft durchringen, wird Stereo künftig out sein, und das Multichannel-Verfahren zum Standard, bei dem sechs Lautsprecher mit Signalen beliefert und so Sur- round-Sound-Wiedergaben möglich werden. Sony-Presseleiter Udo Freialdenhofen sagte allerdings, verbindlich sei auch bei DVD-Audio noch nichts.

Vor allem aber bei DVD-RAM, also bei der Art und Weise, wie DVD-Scheiben immer wieder neu beschrieben werden können, herrscht nun Zwist. Im April 1997 hatte das DVD-Forum eine DVD-RAM-Norm verabschiedet, sagen die Vertreter um Toshiba, nach der die wiederbeschreibbaren Scheiben eine Kapazität von 2,6 GB haben. Sony und Philips hätten diesen Vorschlag zunächst mitgetragen. Man sei deshalb sehr überrascht gewesen, als die beiden Unternehmen bereits einen Monat später ein Gegenkonzept vorgelegt hätten, dessen Unterschied im wesentlichen eine geringe Kapazitätserweiterung auf 3 GB sei.

Klaus Petri, Pressesprecher der Abteilung Unterhaltungselektronik bei der Philips GmbH, sagte gegenüber der CW, mit ihren nicht vor Ende 1998 zu erwartenden DVD-RAM-Laufwerken werde man Audio-CDs, DVD-Videos genauso wie DVD-ROMs sowie künftige DVD-RAMs abspielen können.

Sony-Sprecher Freialdenhofen bestätigt, zwar würden heute schon DVD-ROM-Laufwerke angeboten, die DVD-ROM-, CD-ROM- und DVD-Video-Medien abspielen können. Laufwerke auf DVD-RAM-Basis aber gebe es überhaupt noch nicht. Von Sony kämen solche Geräte erst Ende kommenden Jahres heraus.

Hier ist Toshiba mit der Produktentwicklung wesentlich weiter: Bereits auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin (30.August bis 7.September 1997) stellen die Japaner unter der Bezeichnung "SD-W1001" abwärtskompatible, zweiseitig beschreibbare DVD-RAM-Laufwerke vor. Erste Modelle wurden schon im April 1997 ausgewählten Kunden präsentiert. Laut Aussage von Toshiba-Sprecherin Martina Gerhard können die als SCSI- und ATAPI-Laufwerk-Varianten ausgelegten Geräte sämtliche Arten von CD- und DVD-Scheiben (DVD-Video, DVD-R, DVD-RAM, DVD-ROM, CD-Audio, CD-ROM, CD-R und CD-RW) abspielen.

Muster des SCSI-Geräts werden im September geliefert, die Massenproduktion soll noch im Dezember beginnen. Für das ATAPI-Modell gelten analog der November beziehungsweise Januar 1998 als Liefertermine. In Deutschland wird man die Geräte im ersten Quartal 1998 kaufen können. Philips-Sprecher Petri kommentierte Toshibas Ankündigung trocken: "Was von dem versprochenen Liefertermin zu halten ist, wird sich erst noch zeigen." Problematisch ist zudem, daß Toshibas DVD-RAM-Laufwerk etwa Videodaten auf zwei Seiten speichert. Wer einen Film abspielt, müßte eine DVD-RAM-Scheibe also umdrehen. "Unzumutbar," kommentiert Petri.

Auch Hitachi kündigte unter dem Namen "GF-1000" bereits interne und externe DVD-RAM-Laufwerke an, die für rund 800 Dollar zu haben sein werden. Matsushita Electric hat im April 1997 ebenfalls DVD-RAM-Laufwerke und Medien angekündigt.

In dem erheblichen Entwicklungsvorsprung einiger Firmen wie Toshiba oder Hitachi dürfte deshalb auch der eigentliche Grund für die jetzt aufgebrochenen Streitigkeiten liegen: Sony und Philips scheinen mit ihren DVD-RAM-Produkten weit hinter der Konkurrenz herzuhinken.

Wenn es beiden Unternehmen erst in über einem Jahr möglich sein wird, DVD-RAM-Laufwerke anbieten zu können, haben sie schon zuviel Zeit gegenüber der Konkurrenz verloren. Unter Umständen sind deshalb beide Unternehmen nun daran interessiert, am Markt für Verunsicherung zu sorgen, um so Zeit für eigene Entwicklungen zu gewinnen.

Qualität von DVD-Videos noch sehr uneinheitlich

Anwender sollten bei allen Standardisierungsdiskussionen jedoch noch folgendes bedenken: Insbesondere für Heimanwender gibt es noch nicht sehr viele Anwendungen wie beispielsweise Videos, Multimedia-Applikationen oder Spiele. Deren Zahl steigt allerdings rapide.

Zweitens hängt die Qualität dieser Produkte noch stark davon ab, welches Studio DVD-Scheiben bespielt hat, also das sogenannte Mastering übernimmt. Insbesondere die bei Animationen und Filmen wegen der anfallenden riesigen Datenmenge grundsätzlich notwendige Video-Kompressionstechnologie nach dem MPEG-2-Standard ist technologisch nicht trivial. Je nach Ausführung kann dies zu qualitativ schlechten Resultaten führen. Insider nennen den Film "Twister" als Negativbeispiel für diese These.

Schließlich ist die Technologieentwicklung auf diesem Sektor noch längst nicht abgeschlossen. Unternehmen wie Hitachi - ebenfalls ein DVD-Forum-Mitglied - arbeiten an einem blauen Laser, der es ermöglichen soll, auf eine einzige Schicht einer DVD-Scheibe bis zu 14 GB an Daten aufzubringen - grob das Dreifache dessen, was heute möglich ist. Matsushita Electric hat, wie die japanische Zeitung "Nikkei Daily News" berichtete, ebenfalls einen blauen Halbleiter-Laser in der Entwicklung, der es möglich macht, pro Seite 15 GB Daten zu speichern. Die Lösung sei kompatibel zu DVD-RAM und DVD-ROM.

Der PC-Anwender muß klarstellen, daß seine Videokarten DVD überhaupt unterstützen. Auch die Installation von DVD-Laufwerken ist bislang noch keineswegs unproblematisch. Die Betriebssysteme sowohl von Microsoft als auch von Apple werden erst in künftigen Versionen DVD-Laufwerke unterstützen.

Zum Abspielen von CD- und DVD-Medien reichen heute verfügbare DVD-Player der ersten Generation übrigens aus. Der Anwender sollte sich also fragen, ob er nicht noch warten kann, bis er unter anderem seinen Videorekorder gegen ein DVD-System ersetzt. Oder er schaut sich auf der IFA Toshibas DVD-RAM-Laufwerk an, das offensichtlich bereits all das kann, was Sony und Philips noch nicht für möglich halten.

DVD was?

DVD-ROM (ROM = Read Only Memory) bezeichnet Medien, die bereits mit Daten unterschiedlicher Formate wie Grafik-, Audio- oder Videosequenzen oder alphanumerischen Daten bespielt und die nicht gelöscht oder neu beschrieben werden können.Kapazität: bis zu 17 GB.Standard: verabschiedet.

DVD-Video ist ein Medium, auf dem Filme, DVD-Audio eines, auf dem Tonsignale abgespeichert werden. Videos werden über ein DVD-Video-Abspielgerät entweder auf einem Computer oder auf einem Fernsehgerät wiedergegeben. Sollen die Videos auf einem TV dargestellt werden, muß das digitale Signal der DVD-Scheibe in ein analoges umgewandelt werden, da Fernsehgeräte bislang nur dieses Signal verarbeiten.Standard: Bei DVD-Video verabschiedet; bei DVD-Audio noch nicht, grundsätzlich soll jedoch Einigung bestehen.

DVD-R bezeichnet ein Verfahren, bei dem die DVD-Scheibe einmal, DVD-RAM die Methode, wie eine DVD-Scheibe mehrfach beschrieben werden kann.Kapazität: DVD-R: 3,95 GB; DVD-RAM: DVD-Forum-Standard 2,6 GB, Sony-Philips-Vorschlag 3,0 GB, NEC-Vorschlag 5,6 GB.Standard: Bei DVD-R verabschiedet.Bei DVD-RAM keine Einigung.

DVD-RAM-Konzepte

-Das DVD-Forum mit Ausnahme von Sony und Philips hat der European Computer Manufacturers Association (ECMA) das als DVD-RAM bezeichnete Verfahren in der Version 1.0 zur Absegnung vorgelegt. Die DVD-Medien besitzen eine Kapazität von 2,6 GB.

-Philips und Sony gemeinsam mit Hewlett-Packard wollen einen Standard durchsetzen, der noch keinen Namen trägt. Die Medien werden über 3 GB Kapazität verfügen.

-NEC wiederum stellt auf Basis seines Multimedia-Video-File-Verfahrens (MMVF) eine DVD-RAM-Technologie vor, mit der es analog der To- shiba-Lösung möglich sein soll, unterschiedliche DVD-Medien wie Audio, Video oder DVD-ROM zu verarbeiten.