Bundestagsdebatte

Streit um Digitalstrategie der Bundesregierung

23.09.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Digitalminister Volker Wissing hat seine Digitalstrategie auf den Weg gebracht und spricht von einem digitalen Aufbruch für Deutschland. Die Vorhaben seien ambitionslos und konfus, kontert die Opposition.
Im Bundestag stand die Digital- und Gigabit-Strategie der Bundesregierung zur Debatte. Ob damit endlich der erhoffte digitale Aufbruch geschafft wird, ist zweifelhaft.
Im Bundestag stand die Digital- und Gigabit-Strategie der Bundesregierung zur Debatte. Ob damit endlich der erhoffte digitale Aufbruch geschafft wird, ist zweifelhaft.
Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Trutschel /photothek

"Andere sind beim Thema Digitalisierung weiter als wir", gab Bundesverkehrs- und Digitalminister Volker Wissing unumwunden zu und sprach in der Debatte des Bundestags am 22. September von einer ernüchternden Erfahrung. "Deutschland braucht einen umfassenden digitalen Aufbruch", forderte der FDP-Politiker. Kursbuch dafür sei die Digital- und Gigabit-Strategie (PDF) der Bundesregierung. Damit würden erstmals alle digitalpolitischen Schwerpunkte der einzelnen Ministerien zusammengeführt.

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, musste für seine Digital- und Gigabitstrategie viel Kritik einstecken.
Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, musste für seine Digital- und Gigabitstrategie viel Kritik einstecken.
Foto: photocosmos1 - shutterstock.com

Wissing definierte drei Hebelprojekte, die die Grundlage für viele weitere digitale Anwendungen bilden sollen:

  1. Digitale Identitäten sollen es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, einfacher und sicherer datenbasierte Leistungen und Dienste im Netz nutzen zu können, etwa bei Online-Behördengängen und beim Online-Shopping. "Den Personalausweis beantragen, einen neuen Wohnort mitteilen oder ein neues Unternehmen anmelden", das müsse künftig in wenigen Minuten von zu Hause aus erledigt werden können, sagte Wissing. Dazu gehöre auch, dass bis 2025 Personalausweise und Führerscheine digital auf dem Smartphone verfügbar sein sollen.

  2. Internationale Standards zu folgen, die mehr Interoperabilität ermöglichen, ist Wissing zufolge ein weiterer Hebel in der Digitalstrategie. Es sei entscheidend für alle Vorhaben, dass Projekte "technisch offen und rechtlich sicher" gestaltet würden.

  3. Den Gigabit-Ausbau und eine bessere Verfügbarkeit von Daten bezeichnete der Minister als "Schlüssel für digitale Innovation". Der Ausbau der Netze müsse schneller vorangehen. Dafür sollen unter anderem die Genehmigungsverfahren gemeinsam mit den Ländern weiter vereinfacht werden.

Die Opposition sparte nicht mit Kritik an Wissings Ankündigungen. Der Strategie fehle es an Visionen, monierte Nadine Schön aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion. Digitalpolitik sei mehr als nur der Gigabit-Ausbau. "Die Ziele sind so ambitionslos, dass man sie sofort erreichen kann", sagte sie mit Blick auf das Vorhaben, bis 2025 die Hälfte der Haushalte in Deutschland ans Glasfasernetz anzuschließen. Die Abgeordnete warnte sogar vor Rückschritten, da der Bund unterm Strich zu wenig investiere.

Deutschland bleibt digitales Mittelmaß

Schön vermisst Aussagen zu den vielen anderen Herausforderungen rund um die Digitalisierung. "Wie viel mehr Fachkräfte, wie viel mehr Frauen in Digitalberufen sollen es werden?", fragte die Politikerin. Die Bevölkerung könne erwarten, dass in allen Punkten mehr Tempo aufgenommen werde. Die von Wissing angeführten Fortschritte beim Gigabit-Ausbau reklamierte Schön als Erfolg der CDU/CSU-geführten Vorgängerregierung. Dem Digitalminister warf sie vor: "Sie haben an dieser Stelle im Grunde noch nichts getan und die Dinge einfach weiterlaufen lassen!"

Deutschland in schlechtem digitalem Zustand

Wissing konterte und gab den Schwarzen Peter direkt an die CDU/CSU-Opposition zurück. "Wir haben einen Aufholbedarf", sagte Wissing, "weil Sie uns Deutschland in einem Zustand hinterlassen haben, wo wir im Digitalen in vielen Punkten erst am Anfang stehen." Der FDP-Mann nannte konkrete Ziele, an denen sich die Regierung zum Ende der Legislaturperiode 2025 messen lassen wolle:

  • Personalausweis und Führerschein digital auf dem Smartphone.

  • 80 Prozent der gesetzlich Versicherten sollen die elektronische Patientenakte nutzen.

  • Die Hälfte aller Internet-Anschlüsse basieren auf Glasfasernetzen.

  • Flächendeckender Mobilfunk.

Wissing kündigte außerdem an, dass es ein kontinuierliches Monitoring der Digitalstrategie geben werde. Die Regierung könne so rechtzeitig nachsteuern, wenn es Sand im Getriebe gebe. Der Minister zeigte sich überzeugt davon, dass die Digital- und Gigabit-Strategie der Ampel-Regierung einen digitalen Aufbruch in Deutschland zur Folge habenwerde. "Mehr Teilhabe, mehr Chancen und mehr Fortschritt für alle", warb der Digitalminister.

Konfuse Verantwortlichkeiten und zu wenig Geld

Davon kann aus Sicht der Linken-Abgeordneten Anke Domscheit-Berg jedoch keine Rede sein: Die Verantwortlichkeiten blieben konfus verteilt, kritisierte sie, an allen Ecken und Enden fehlten die Ressourcen. Domscheit-Berg fragte, was Wissing denn jetzt anders machen wolle als die vorherigen Regierungen, "die auch immer schöne Ziele formuliert, aber nie erreicht haben".

Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linken, lud Volker Wissing in die Ostprignitz ein. Dort stünden Funklöcher im Wettbewerb und nicht die Diensteanbieter.
Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linken, lud Volker Wissing in die Ostprignitz ein. Dort stünden Funklöcher im Wettbewerb und nicht die Diensteanbieter.
Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Die Bundestagsabgeordnete kritisierte die Gigabit-Strategie als ein von Wirtschaftslobbyisten ausgearbeitetes Papier - "von der ersten bis zur letzten Seite", nach dem Motto: "Der Markt soll alles richten, auch wenn dieser Markt aus Deutschland ein Land des lahmen Internets und der Funklöcher gemacht hat." Sie lud den Minister ein, in die Ostprignitz zu kommen, in der die "Funklöcher im Wettbewerb miteinander" stünden - leider nicht die Diensteanbieter. Mit der Gigabit-Strategie mache sich die Bundesregierung zudem zum "Vertriebsmitarbeiter großer Telekommunikationskonzerne", unkte die Linke und kritisierte damit vor allem die Idee, dass eingesetzte "Digitalmanager" in den Landkreisen 5G-Vorhaben mit anstoßen sollen.

Digitalstrategie darf nicht zerredet und zerrieben werden

Derweil mahnt der Digitalverband Bitkom dazu, gemeinsam anzupacken und die Streitigkeiten zu beenden. "Die Digitalstrategie des Bundes darf jetzt nicht zerredet und sie darf in der Umsetzung auch nicht zerrieben werden", sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Jetzt müsse es heißen, Tempo aufzunehmen und das digitale Deutschland aufzubauen. "Dazu müssen alle an einem Strang ziehen, nicht nur innerhalb der Bundesregierung, sondern ebenso in den Ländern, Städten und Gemeinden."

Bitkom-Präsident Achim Berg hätte sich mehr Ambitionen sowie klare Ziele und Zeitpläne von Digitalminister Volker Wissing gewünscht.
Bitkom-Präsident Achim Berg hätte sich mehr Ambitionen sowie klare Ziele und Zeitpläne von Digitalminister Volker Wissing gewünscht.
Foto: Bitkom

Zufrieden mit Wissings Ansätzen ist aber auch Berg nicht. Die Digitalstrategie markiere zwar einen wichtigen Meilenstein, "die nötige digitale Zeitenwende läutet sie allerdings nicht ein". Die Strategie setze an den richtigen Stellen Schwerpunkte, zum Beispiel beim Gigabit in der Fläche und der Verbreitung sicherer digitaler Identitäten. "Natürlich hätten wir uns mehr Ambitionen gewünscht und in vielen Bereichen fehlen klar definierte Ziele und Zeitpläne."