Der CIO von morgen - Initiator oder Erfüllungsgehilfe?

Stratege sein: Nicht ohne mein Budget

22.08.2003
MÜNCHEN (kf) - DV-Ausgaben außerhalb der IT-Abteilung nehmen zu. Gartner-Prognosen zufolge gipfelt das Abwandern der IT-Budgetverantwortung in andere Unternehmensbereiche gegen Ende dieses Jahrzehnts im strategisch orientierten "Zero-Budget-CIO". Deutsche Chief Information Officers können sich diese Rolle vorstellen - allerdings nicht ohne eigenen Haushalt.

Nach einer Erhebung von Gartner wurden im vergangenen Jahr etwa 37 Prozent der DV-bezogenen Investitionen außerhalb der IT-Abteilung getätigt. 2005 soll der Anteil "fremdgesteuerter" Technikausgaben bereits gut die Hälfte ausmachen. "Gegen Ende dieses Jahrzehnts dürfte der IT-Chef tatsächlich zum ,Zero-Budget-CIO'' werden", schlussfolgert John Mahoney, Vice President und Research Director bei Gartner. Grundsätzlich erachtet der Experte die sich abzeichnende Verlagerung der Budgetkontrolle aus dem unmittelbaren Verantwortungsbereich des CIO als positiv - vorausgesetzt, es handle sich dabei dabei um eine bewusst angewandte Firmenstrategie, die Technik als "Business Enabler" berücksichtige.

Auf Seiten der IT-Chefs erfordert die neue Mittellosigkeit nach Ansicht der Gartner-Experten allerdings ein Umdenken. "Die große Herausforderung für den CIO wird darin bestehen, sich von der bisherigen Machtquelle ,Geld'' zu verabschieden und in Richtung ,Thought-Leadership'' zu bewegen", fasst Mahoney die in seinen Augen notwendige Rollenanpassung zusammen. Der Zero-Budget-CIO, den der Gartner-Visionär insbesondere in großen, weltweit agierenden Unternehmen heranreifen sieht, werde seinen Wert demnach weniger über das Management großer Budgets oder Mammut-Teams als vielmehr durch proaktives Mitwirken bei der Strategieentwicklung auf Group- und Holding-Ebene zum Ausdruck bringen. Hierbei zieht Mahoney Parallelen zum heutigen Chief Financial Officer (CFO): Nicht selten bereits im Topmanagement angesiedelt, herrsche dieser in der Regel weder über große Geldsummen noch umfangreiche Mannschaften, nehme aufgrund seiner aktiven Rolle bei der Definition von Finanzstrategien aber eine Machtposition im Unternehmen ein.

Profilierung als Topmanager

Um jedoch mit dem eigenen Etat nicht auch die Gestaltungsmöglichkeiten einzubüßen, empfiehlt Gartner dem IT-Lenker von heute, sich um seine Glaubwürdigkeit und die firmenweite Akzeptanz als Topmanager zu bemühen. Andernfalls, so die Berater, riskierten Firmen, die Kontrolle über die eigene IT-Strategie zu verlieren. Damit ginge die im Zeitalter der vernetzten Ökonomie unerlässliche Verschmelzung der IT mit den jeweiligen unternehmerischen Zielen unweigerlich verloren.

Im Hinblick auf ihr Selbstverständnis sind die IT-Chefs hierzulande auf einen Wandel gut vorbereitet. Die von Gartner propagierte übergeordnete und aktiv-strategische Rolle des CIO ist für das Gros der IT-Verantwortlichen bereits Realität. Nur können sie sich nicht vorstellen, dieser Funktion ohne eigenen Haushalt gerecht zu werden: Eine IT-Abteilung ganz ohne Budget halten sie für handlungsunfähig.

Claus-Peter Gutt nennt die Dinge beim Namen: "Die Budgetverantwortung ist das entscheidende Instrument, wenn es um die Führung und Steuerung der Gesamt-IT geht - denn letztendlich dreht es sich um Geld." Gutt zeichnet bei der zur Ergo-Gruppe gehörigen Victoria Versicherung AG, Düsseldorf, für die Bereiche Personal, Betriebsorganisation, Informationssysteme, Zentraler Einkauf und Logistik sowie allgemeine Verwaltung verantwortlich.

Ohne die Kontrolle über entsprechende Finanzmittel sei eine Management-Funktion an der IT-Spitze überflüssig, so der Victoria-CIO, der als Mitglied des Vorstands an den Aufsichtsrat berichtet. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage zählt Gutt die proaktive Steuerung der Infrastrukturkosten, die seinen Angaben zufolge im Schnitt 75 Prozent aller IT-Aufwendungen ausmachen, zu seinen Primäraufgaben. Diese sei stets mit Standardisierungsmaßnahmen verbunden und daher nur mit dem entsprechenden Etat zu bewerkstelligen, so der IT-Chef.

Der von den Marktforschern ausgemachte Trend stellt für Gutt ein bekanntes Phänomen dar. "Derartige Wellenbewegungen zwischen einer Dezentralisierung der Budgetverantwortung - also Fachbereichen, die ihre IT-Leistung selbst einkaufen - und einer entsprechenden Zentralisierung gab es schon immer", relativiert der CIO die Gartner-Aussagen. So sei beispielsweise auch in seinem Unternehmen in den 80er Jahren eine Tendenz zur "individuellen" Datenverarbeitung, kurz: IDV, aufgekommen. Zunächst mit großem Enthusiasmus verfolgt, sei dieser Ansatz jedoch aufgrund der damit einhergehenden Kostennachteile wieder verworfen worden. "Daraufhin hat man die Zentralkompetenz wieder stärker ausgebaut", erinnert sich Gutt.

Budgetkontrolle als Initiativhebel

"Seit den 90er Jahren haben wir dieses Spannungsfeld gut im Griff", resümiert der IT-Vorstand. Heute verantwortet der Victoria-CIO ein zentrales IT-Budget, das er der vor drei Jahren gegründeten Techniktochter "IT-Ergo" zur Verfügung stellt. Die Verteilung des Budgetkuchens erfolgt im Gespräch mit den jeweiligen Fachbereichen, die dann im Sinne einer "verursachergerechten" Leistungsverrechnung belastet werden. Gutts operative Einheit, die als Schnittstelle zur IT-Ergo fungiert, sorgt - im Zusammenspiel mit dem IT-Dienstleister - für die Einhaltung der Budgets sowie reibungslose Abläufe bei Projekten und auf operativer Ebene.

Nach Ansicht des Victoria-CIO stellt die Kontrolle über das IT-Budget nach wie vor den Initiativhebel dar, doch damit sei es nicht getan: "Es genügt nicht, die Einzelbudgets aufzusammeln und zentral zu verantworten", so Gutt. Vielmehr versteht sich der IT-Chef als inhaltliche Schnittstelle zwischen dem eigentlichen Versicherungsgeschäft und dem, was an IT benötigt wird. "Das hat aus dem Geschäft heraus zu geschehen - denn schließlich sind wir ja keine T-Systems oder IBM, sondern ein Versicherungsunternehmen", stellt Gutt klar.

Bei der Sartorius AG in Göttingen hingegen kommt es durchaus zu technikrelevanten Kosten und Investitionen außerhalb der IT-Organisation. Diese müssten allerdings nach wie vor in das Gesamt-IT-Budget des international agierenden Biotechnologie-Zulieferers und Mechatronik-Herstellers eingebaut werden, so CIO Dieter Geile. Sein Unternehmen verfährt dreistufig: Während Geile, der in seiner Funktion als Konzern-CIO direkt an den Vorstand angebunden ist, ein übergeordnetes "Zentralbudget" verwaltet, kontrollieren die IT-Verantwortlichen der einzelnen Töchter und Geschäftseinheiten jeweils ihr eigenes Budget.

Darüber hinaus sind in bestimmten Fachbereichen Gelder für IT-Maßnahmen und -Projekte eingeplant. Dabei wird die erbrachte IT-Leistung entweder - ähnlich wie bei der Victoria AG - im Nachhinein auf den Leitungsempfänger umgelegt, oder die Abteilungen verfügen über ihr eigenes IT-Budget. "Ein für einen Vertriebsbereich beschlossenes CRM-Projekt wird auch direkt dort angesiedelt", nennt Geile ein Beispiel. Ein Vorteil dieser dezentralisierten Verfahrensweise ist nach Erfahrung des CIO die ungleich höhere Akzeptanz, wenn ein fachspezifisches Projekt in seiner Gesamtheit - bis hin zu den Kosten - innerhalb des "nutznießenden" Fachbereichs abgewickelt wird.

Neben der Koordination aller IT-Strategien und -Projekte läuft bei Sartorius auch die Abstimmung der Budgets über den CIO. Dies geschehe zwar nicht diktatorisch, dennoch sei er "die letzte Instanz, was die Verantwortlichkeit für IT-Budgets betrifft", beschreibt Geile die Vogelperspektive, aus der heraus er die DV-relevanten Konzernausgaben steuert.

"Einen Zero-Budget-CIO sehe ich nicht", schließt sich Geile der Meinung des Victoria-Vorstands an. Wie den Fachbereichen müsse auch der IT ihr eigenes Budget zugestanden werden, lautet seine Devise: "Über die gesamte IT-Pyramide gibt es Aufgaben und Bereiche, über die die IT aus sich heraus entscheiden muss - und zwar sowohl hinsichtlich Kosten als auch Investitionen." Dazu zählt der IT-Chef die gesamte technische Basis sowie übergreifende Infrastrukturbelange und Strategien - etwa bezüglich der Systemstandardisierung, des IT-Betriebs und der Sicherheit -, die von den Fachbereichen mangels Know-how nicht überschaut werden könnten. "An dieser Stelle sollte der CIO nicht mühsam hinter Geld herlaufen müssen", fordert der IT-Chef. In seiner übergeordneten Budgetverantwortung sieht er den Spielraum und die Flexibiltität, die er benötigt, um seinem Unternehmen wirklichen Nutzen zu bringen: "Wem nur Geld zugeordnet wird und wer sich stets Genehmigungen einholen muss, der kann sein Geschäft unmöglich aktiv gestalten."

Grundsätzlich hält es der Sartorius-CIO für seine Aufgabe, vorauszusehen, welche IT-Anforderungen auf sein Unternehmen zukommen. Seiner Erfahrung nach kann dies jedoch immer nur teilweise Technik sein - hinzu kämen Organisations- und Strukturaufgaben. "Die hierzu erforderliche Basis ist ganz klar die Kenntnis des Unternehmensgeschäfts", steht für Geile fest. Diesbezüglich hält er es mit dem alten "Hase-Igel"-Spiel. "Gut bin ich, wenn ich so vorgearbeitet habe, dass ich weiß, was an Bedürfnissen von den Fachbereichen an mich herangetragen werden wird", erläutert der CIO sein Leitprinzip. Eine vom operativen Technikgeschehen losgelöste, rein strategische IT-Abteilung hält er allerdings für wenig nützlich: "Eine Strategie muss ja einen Zweck erfüllen."

IT-Chefs brauchen Bewegungsfreiheit

"Ohne eigenes Budget hat die IT-Abteilung keine andere Funktion, als den durch willkürliches Agieren der Fachabteilungen entstehenden Gesamtschaden in Grenzen zu halten, und damit gerät sie letztendlich zur Farce", schmettert Robert Pfeifer, Hauptabteilungsleiter Organisation bei der Bausparkasse Mainz, die Gartner-Vision ab. Ein IT-Chef ohne Bewegungsfreiheit könne weder für eine einheitliche IT-Ausrichtung im Unternehmen sorgen noch die Kosten unter Kontrolle halten.

Pfeifer, als IT-Chef direkt dem Vorstand unterstellt, erarbeitet zunächst einen Budget-Forecast für die jeweils nächste Periode und "entlässt" diesen in einen übergeordneten Planungsprozess. "Ich verfüge dann über die genehmigten Projektkostensummen", beschreibt der CIO das in seinem Unternehmen gängige Prozedere. Die einzelnen Fachbereiche der Bausparkasse finanzieren angeforderte IT-Leistungen nicht aus eigener Tasche. "Anhand von Erfahrungswerten lässt sich abschätzen, welche Wünsche die Fachkollegen in welchem Kostenrahmen im Lauf eines Jahres entwickeln", erläutert Pfeifer die pragmatische Vorgehensweise. Zu diesem Zweck gebe es bei der Bausparkasse eine eigene Budgetposition: Bis zu einer bestimmten Kostengrößenordnung werden die Individualwünsche der Fachbereiche befriedigt, "was darüber hinaus geht, wandert zur Vorlage an den Vorstand".

Um im Hinblick auf die Budgetverantwortung in der Unternehmenshierarchie keinen Neid zu provozieren, ist es für Pfeifer jedoch Regel Nummer eins, die Mittelverwendung transparent zu gestalten und bei der Vergabe eng mit den Fachbereichen zu kooperieren. "Man darf die Ausgaben nicht in einer stillen Kammer für sich alleine definieren und positionieren", warnt der Hauptabteilungsleiter. Diejenigen, die man mit den Mitteln letztendlich beglücken wolle, müssten die Chance zur Mitsprache erhalten.

Pfeifer, in dessen Person sich die Zuständigkeiten für die Bereiche Datenverarbeitung und Organisation vereinen, sieht sich ebenfalls als Bindeglied zwischen dem eigentlichen Unternehmensgeschäft und der Technik: "Die IT kann dabei lediglich Mittel zum Zweck sein und muss dem bankspezifischen Prozessauftrag und nicht etwa übergeordneten technischen Überlegungen folgen."

Dezentralisierte Mittelverwaltung

Auch bei dem Nähgarnhersteller Amann & Söhne GmbH & Co. im schwäbischen Bönnigheim werden die IT-Ausgaben nicht mehr ausschließlich von der DV-Abteilung bestimmt. "Für den Ausbau eines Zentrallagers oder Investitionen in Einkaufs- oder CRM-Systeme sind die einzelnen Fachbereiche bereit, selbst Geld auf den Tisch zu legen", schildert Hubert Dörner, Leiter Informationssysteme bei dem Kurzwarenproduzenten, die Sachlage. In diesen Fällen liege auch die letzte Verantwortung bei den Initiatoren, während die IT als neutrale Instanz fungiere, die die Projekte lediglich in Sachen Technik und Wirtschaftlichkeit zu beurteilen habe.

Dennoch obliegt Dörner, der in seiner Funktion als CIO an die kaufmännische Geschäftsleitung berichtet, die Verwaltung des gesamten Amannschen IT-Budgets. Er ist es, der die fachspezifischen Budgetanträge bündelt und diese in die Gesamtinvestitionsplanung für alle IT-Fragestellungen integriert. Das von Dörner geschnürte Investitionspaket geht zur Beurteilung an die Geschäftsführung. "Nach den üblichen Streichrunden wird dort entschieden, welche Projekte mit dem verbleibenden Umfang umgesetzt werden", so der IT-Leiter des international agierenden Mittelständlers. Im Prinzip werden alle IT-Anforderungen im Unternehmen konsolidiert und dann auf die Kostenstellen der verursachenden Bereiche umgelegt.

Eine DV-Organisation ohne eigenes Geld vermag sich jedoch auch Amanns IT-Spitze nicht vorzustellen. "Über Infrastruktur und das gesamte technische Fundament eines Unternehmens wird stets der CIO die Oberhand haben", so Dörner. Und dazu benötige dieser nun einmal einen entsprechenden finanziellen Rahmen, sprich: das klassische IT-Budget.