Meßwertverarbeitung an hydraulischen Turbinenversuchsständen:

Störungen hauptsächlich auf der Analogseite

29.04.1983

In der Versuchsanstalt "Brunnenmühle" der Maschinenfabrik J. M. Voith GmbH in Heidenheim werden Modellversuche und Abnahmeprüfugen an hydraulischen Maschinen durchgeführt. Vier Versuchsstände sind an ein automatisches Meßwerterfassungs- und -auswertungssystem mittels Prozeßrechner angeschlossen: ein Hochdruck-Kreislauf, ein Niederdruck-Kreislauf ein 1,5-MW-Versuchsstand und ein Universal-Hochdruck-Versuchsstand für Pumpen und Turbinen.

Der Einsatz von Prozeßrechnern im Versuchsbetrieb von hydraulischen Maschinen erfordert eine genaue Analyse des Versuchsablaufs und der Genauigkeit der Meßwerterfassung. Durch die Forderung, die Einzelmeßgrößen mit einer maximalen Meßunsicherheit von +/- 0,1 Prozent und den Wirkungsgrad mit einem maximalen Fehler von +/- 0,3 Prozent und einer Reproduzierbarkeit von +/- 0,15 Prozent zu erfassen, werden an die peripheren Geräte, insbesondere an die Meßgeräte und die Meßverfahren hohe Anforderungen gestellt.

Um die Meßwerte schnell, exakt und rationell erfassen und auswerten zu können, ist ein Prozeßrechensystem installiert. Das Meßwerterfassungssystem muß dabei in der Lage sein, über eine vorgewählte Meßdauer eine hohe Anzahl von Einzelwerten von jeder Meßstelle aufzunehmen. Hauptforderung von Voith war, daß an mehreren Versuchsständen gleichzeitig und unabhängig voneinander gemessen werden kann.

Wie weit das System in seinen einzelnen Elementen zentral oder dezentral aufzubauen war, ergab sich aus Gründen der Sicherheit (zum Beispiel gegen Einstreuung von Störsignalen auf die Datenübertragungsleitungen), der Wirtschaftlichkeit und des Versuchsablaufs. Die Steuerung der Maschinen erfolgt dezentral durch die Versuchsingenieure an den Versuchsständen im "Open-loop-Betrieb". Die Computerleistung des Erfassungs- und Auswerterechners wird über die Bedienterminals an den Versuchsstand gebracht.

Abgleich der Meßstellen

Jeder Versuchsstand ist an eine Meßwertanpassung und -aufbereitung angeschlossen. Sie dient vor allem zur Spannungsversorgung der analogen Meßumformer, zur Verstärkung der Meßsignale, zur Aussiebung störender Frequenzen und zum manuellen und automatischen Nullabgleich der einzelnen Meßstellen.

Die Meßwerterfassung im Online-Betrieb hat zur Folge, daß der Versuchsingenieur lediglich den zu messenden Betriebspunkt der Anlage einzustellen braucht und Beginn und Dauer der Messung bestimmt. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit beim Versuchsablauf, kann er während der Dauer der Messung den Meßvorgang hinsichtlich Beharrung des Betriebspunktes und Schwankung der Meßgrößen nur schwer verfolgen.

Deshalb wird direkt im Anschluß an die Messung des Betriebspunktes vom Rechner für jede Meßstelle die Standardabweichung als der mittlere quadratische Fehler der Einzelbeobachtungen berechnet. Daraus läßt sich zur weiteren Beurteilung der mittlere zufällige Fehler des Wirkungsgrades ableiten.

Im Prinzip gibt es zwei verschiedene Meßbetriebsarten: "dynamische" Messungen eines Betriebspunktes (das Meßsignal ändert sich stark in der Zeiteinheit), die mit sehr hohen Meßraten arbeiten und bei denen die Daten auf einem Analogbandgerät zwischengespeichert werden (zur späteren Auswertung mit dem Rechner), sowie "statische" Messungen eines Betriebspunktes (es handelt sich um weitgehend stationäre Vorgänge), die mit etwas niedrigeren Meßraten arbeiten und bei denen die Daten direkt vom Rechner übernommen werden.

Alle "statischen" Meßwerte, die ursprünglich analog vorliegen, werden nach Durchlaufen der Anpassungs- und Aufbereitungselektronik einer ebenfalls am Versuchsstand installierten Interface-Einheit zugeleitet. Im Interface werden die analogen Werte über einen Meßstellenumschalter (Scanner) nacheinander im Zeitmultiplex-Verfahren auf einen Analog-Digital-Konverter geschaltet, digitalisiert und zum Rechner übertragen.

Der Vorteil der dezentralen Meßwerterfassung und -aufbereitung liegt darin, daß die Länge der Kabel zwischen analogen Meßwertgebern und Anpassungseinheit verhältnismäßig kurz gehalten werden kann. Die Gefahr der Störeinstreuung besteht hauptsächlich auf der Analogseite und ein Fehler kann dort kaum erkannt werden.

Die in der Versuchsanstalt von Voith unvermeidlichen großen Entfernungen (Kabellängen 60 bis 80 Meter) bei permanent hohem Störpegel werden daher auf der Digitalseite nach dem Interface überbrückt. Durch Paritäts- und Plausibilitätskontrollen können dennoch auftretende Störungen rechnerseits mit hoher Sicherheit erkannt und zurückgewiesen werden.

Wahlweiser Eingang

"Dynamische" Meßwerte werden parallel zum Online-Versuchsbetrieb auf dem zweiten Rechner vom Analogband eingelesen. Vor Beginn einer Datenübernahme können am Bedienterminal Übernahmeparameter wie zum Beispiel Bandgeschwindigkeit, Start- und Stopzeit der Aufnahme, Kanalbelegung, Abtastrate und auszuführende Berechnungen gewählt werden. Das Analogband wird über ein Datum-Steuergerät mit Hilfe der ebenfalls auf dem Band gespeicherten Uhrzeit (Zeitcode) betrieben.

In Verbindung mit dem Zeitcode-Übersetzer sucht die Bandsucheinheit die vorgewählte Bandstelle auf. Der eigentliche Datentransfer erfolgt über einen Analog-Digitalumsetzer zusammen mit einem Kanal-Multiplexer, der die Analogkanäle wahlweise auf den Rechnereingang schaltet.

Kern des Turbinen-Versuchsbetriebs ist eine Sperry Univac-V77-Doppelprozessor-Computeranlage. Dieses System kann als zentrale Einheit die Meßwerte aller Versuchsstände online erfassen und verarbeiten sowie die Auswertung der dezentral aufgenommenen Analogbänder mit dynamischen Daten durchführen. Das Doppelrechnersystem benützt einen gemeinsamen Peripherie-Bus, so daß bei Ausfall eines Rechners der andere die Meßwerterfassung im Backup-Betrieb übernehmen kann. Für dieses Prozeßrechnersystem wurde ein eigenes Betriebssystem (Realtime-Monitor) entwickelt.

Gemeinsamer Bus

Das Betriebssystem umfaßt die simultane Datenerfassung aller Versuchsstände, Meßwertverarbeitung Ausführung von Vordergrund- und Hintergrundauswertungsprogrammen, Hauptspeicherverwaltung, Steuerung des Analogbandgerätes für "dynamische" Daten über eine Bandsucheinrichtung (Tape Search Unit) und einen Zeitcode-Generator E/A-Verwaltung auf dem gemeinsamen Bus sowie das Bediensystem für die Versuchsingenieure.

Die Betriebssoftware gewährleistet die unabhängige Steuerung sämtlicher Verarbeitungsvorgänge im Versuchsablauf. Ein spezielles Interrupt-System gestattet die Ausführung nach vorgegebenen Prioritäten, wobei die Meßwerterfassung vorrangig behandelt wird. Die zeitliche Bearbeitung eines Interrupts ist so ausgelegt, daß keine Meßwerte bei gleichzeitigem Betrieb mehrerer Versuchsstände verloren gehen.

* Werner Ettinger, Geschäftsführer der Ettinger Software Partner GmbH, München