Stiefkind Mikrofilm?

05.11.1976

Walter Scheffel Scheffel'sche Verlagsbuchhandlung, Langenfeld

Ganz zweifelsohne wächst die Mikrofilm- und COM-Anwendung, und zwar mit Zuwachsraten, die sich mancher EDV-Hersteller wünschen würde. Die Kenntnis über COM verbreitet sich, und die COM-Qualitäten als schneller Drucker sind wohl unumstritten. COM hat nur einen Nachteil, COM erstellt Mikrofilm.

Mikrofilm - und schon sehe ich einige von Ihnen die Nase rümpfen. Warum eigentlich? Für die Informationsorganisation gibt es drei Medien: Papier, Magnetspeicher und Mikrofilm. Papier ist so selbstverständlich, daß man nicht darüber spricht, höchstens über Kosten, im Zusammenhang mit OCR und vielleicht auch über Formulargestaltung. Magnetspeicher und EDV, ja das lohnt die Diskussion. Die Speicherkapazität wird höher und höher, die Kosten sinken, die Zugriffsgeschwindigkeit wird kürzer und kürzer, die Übertragung in alle Ecken der Welt wird möglich, was soll man da mit Mikrofilm.

So müssen viele denken, die sich mit EDV beschäftigen und die in der EDV-Industrie arbeiten, und darum ist Mikrofilm für viele ein Stiefkind, das man auf der Seite liegen läßt und bei dem man gar nicht bemerkt, wie es wächst und gedeiht und welche Fähigkeiten in ihm stecken.

Worum geht es eigentlich? Information ist etwas Ganzes. Ein Informationssystem ist nur so gut und so schnell, wie es alle benötigten Informationen zur Verfügung stellt. Sicher sind Nanosekunden für 60 oder 90 Prozent der benötigten Informationen ein schöner Erfolg für den überwiegenden Teil, aber Minuten, Stunden oder gar Tage für die restlichen 40 oder 10 Prozent sind ein erheblicher Hemmschuh für das Gesamtsystem und lassen den Erfolg nicht mehr so schön aussehen. Wenn man berücksichtigt, daß der Mikrofilm nicht nur verkleinert, und damit Raum- und Transportprobleme löst, sondern auch den schnellen, automatischen Zugriff ermöglicht, ließe sich das Gesamtsystem entscheidend verbessern. Die mikrofilm-gespeicherten, ergänzenden Originalinformationen könnten in der Nähe des Datenterminals zur Verfügung stehen. Der Rechner weist die Fundstelle nach und sekundenschnell ist auch die ergänzende Originalinformation zur Auswertung bereit.

Nicht nur die Leistung eines Systems ist entscheidend, wichtiger ist das Preis-/Leistungsverhältnis. Nicht nur das technisch Erreichbare ist wichtig, verwirklicht wird nur das wirtschaftlich Realisierbare. Und so bleiben manche wirklich hervorragende Systeme unvollendetes Stückwerk.

So geht es mit manchen Real-Time-Systemen und mit manchen Terminal-Systemen, die nicht an der technischen Lösung, sondern an den Kosten scheitern müssen.

Real-Time-Enough-Systeme oder Offline-Terminal-Lösungen, die der Mikrofilm mit COM bieten kann, sind vielleicht nicht so attraktiv, aber fast so effektiv bei wesentlich geringeren Kosten. Speicherinhalte könnten zugriffsgerecht über COM ausgegeben und dezentral zur Verfügung gestellt werden. Der Zugriff könnte zusätzlich mit Mikrofilm-Retrievalgeräten gegebenenfalls kombiniert mit Kleinrechnern zusätzlich unterstützt werden. Die Mikrofilm-Industrie bietet entsprechende Systeme, mit denen in Sekunden ein bestimmtes Bild, sprich Datenseite, gefunden werden kann. Suchkriterien oder -begriffe gehören auf einen Magnetspeicher, vielleicht Floppy-Disk? Zur Auswahl gehört ein Rechner, aber ganz sicher genügt ein Mini. Ob man Mikrofilm- und EDV-Einheit verbindet oder den Location-Code aufzeigt und manuell eingibt, ist Ansichts- und Kostensache. Viele Detailprobleme könnten überzeugend gelöst werden, wenn EDV und Mikrofilm-Hersteller zusammenarbeiten.

Genug davon - dieser Kommentar soll sich ja schließlich mit der COM-Situation befassen. Vielleicht ist aber deutlich geworden, daß die COM-Situation mit der Mikrofilm-Situation eng zusammenhängt und daß die entscheidenden Innovationen weder aus einer einseitigen Mikrofilm- noch einer einseitigen EDV-Sicht kommen können.

COM ist ganz zweifelsohne auf dem Vormarsch. Nur geht es vielfach nicht mehr allein darum, Papierberge zu reduzieren oder Druckerengpässe zu beseitigen, sondern um die Nutzung der echten COM- und Mikrofilm-Vorteile und -Möglichkeiten, die jedoch P(..)nung und Software erfordern und damit eine Vorbereitungszeit brauchen. Die Zahl der Firmen, die COM-Service anwenden und bei denen Anwendung und Volumen allmählich zunimmt, zeigt deutlich das Potential. Wenn Sie bedenken, daß allein im COM-Service 1975 über 800 Millionen Druckseiten über COM ausgegeben wurden, und daß es insgesamt bereits 1975 wohl über 2 Milliarden Seiten waren, so wird die Bedeutung der COM-Systeme deutlich, und eine Zuwachsrate, die von den Experten auf 20-30 Prozent pro Jahr geschätzt wird, dürfte dies noch unterstreichen