Steuersoftware macht wieder Ärger

08.02.2008
In den Berliner Finanzämtern kämpfen die Beamten mit der neuen "Evolutionär orientierten Steuersoftware" (Eoss).

Die Berliner werden in den kommenden Monaten länger auf ihre Steuerbescheide warten müssen als in den zurückliegenden Jahren. "Steuerpflichtige müssen mit deutlich längeren Bearbeitungszeiten rechnen", heißt es von Seiten der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Auch Rückerstattungen würden damit erst später angewiesen.

Grund für die Verzögerungen ist die neue Steuersoftware Eoss, mit der die 23 Berliner Finanzämter seit Anfang des Jahres arbeiten. Im Zuge der Umstellung wurden rund 7500 Arbeitsplätze mit dem System ausgestattet. 6,4 Millionen Steuerkonten und etwa 36 Millionen Datensätze aus den vergangenen zwölf Jahren seien in das Eoss-System eingepflegt worden. Am 18. Januar meldete der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin Vollzug. Die Umstellung auf Eoss sei planmäßig verlaufen. Mit dem neuen System versprach der SPD-Politiker mehr Effizienz in der Steuerverwaltung. Jede Steuererklärung werde innerhalb von höchstens sieben Wochen bearbeitet.

Davon seien die Finanzämter jedoch weit entfernt, die Zusagen könnten nicht eingehalten werden, moniert Klaus Wilzer, Chef des Gesamtpersonalrats. Mit der neuen Software habe sich der Aufwand für die Beamten erhöht. Die Programme liefen nicht ohne Komplikationen. Die Rechner stürzten häufig ab und reagierten langsamer als bei dem alten System. Außerdem sei die Arbeit mit den elektronischen Vordrucken beschwerlich. Wilzer kritisiert darüber hinaus, dass Funktionen für einzelne Steuerverfahren schlichtweg fehlten. Demnach könnten seit Wochen Grunderwerbs-, Erbschafts- und Schenkungssteuer nicht festgesetzt werden. Dem Land entgingen dadurch wichtige Einnahmen. Doch auch die Bürger hätten unter den Mängeln zu leiden. Aussetzung, Stundung und Erlass von Steuern ließen sich momentan ebenfalls nicht bearbeiten.

Gewerkschafter und Personalrat werfen dem Finanzsenator vor, die Probleme verharmlost zu haben. Sarrazin habe die Öffentlichkeit auf Kosten der Finanzbeamten im Unklaren gelassen. Diese bekämen nun den Ärger der Bürger ab. Die Beschäftigten fühlten sich mit ihren Problemen allein gelassen, schimpft Wilzer.

Der Berliner Finanzsenator weist die Vorwürfe als überzogen zurück, berichtet der "Tagesspiegel". Mittlerweile seien die Arbeitsrückstände, die Eoss verursacht habe, so gut wie aufgeholt. Zwar habe die Systemumstellung die Finanzbeamten belastet, so dass es im Einzelfall Verzögerungen gegeben habe. Durch das Engagement der Mitarbeiter liege die Finanzverwaltung aber wieder voll im Plan.

Auch andere Bundesländer haben Probleme mit Eoss

Berlin ist das elfte Bundesland, in dem Eoss eingeführt wurde, und nicht das erste, in dem es Probleme gegeben hat. Auch Schleswig-Holstein meldete Mitte Januar bei der Bearbeitung von Steuerfällen Verzögerungen aufgrund der Eoss-Einführung. Der Dienstbetrieb werde erheblich beeinträchtigt.

In Hamburg verlief der Umstieg ebenfalls nicht reibungslos. Seit Mitte 2007 arbeiten die Finanz-ämter der Hansestadt mit Eoss. Benötigten die Beamten für die Bearbeitung einer Steuerakte früher rund sechs Wochen, dauert es mit Eoss etwa zwei Wochen länger. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es für die Steuerpflichtigen keine Fristverlängerungen gebe, während die Finanzverwaltung selbst im Rückstand liege, kritisierten die Hamburger Steuerberater. Die Einführung von Eoss sei das größte und komplexeste Projekt der Hamburger Steuerverwaltung, begründeten die Behörden die Verzögerungen. Da gebe es die eine oder andere Kinderkrankheit.

Die Schatten des Fiscus-Debakels reichen weit

Die Finanzbehörden versuchen bereits seit Jahren, die Steuerverfahren zu modernisieren und bundesweit zu vereinheitlichen - bislang jedoch mit mäßigem Erfolg. 2005 scheiterte nach 13 Jahren Entwicklungsarbeit das Fiscus-Projekt. Rund 400 Millionen Euro verschlang das Vorhaben, ohne verwertbare Ergebnisse vorweisen zu können. Im Juni 2005 hatten sich die Finanzminister der Bundesländer darauf verständigt, auf Basis des Eoss-Verbundes (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saar-land, Sachsen, Sachen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) ein neues Verfahren zu entwickeln. Dabei sollte sich jedes Land um bestimmte Fachverfahren kümmern.

Doch die Mühlen mahlten langsam. Erst 2006 wurden die Verhandlungen für das Verwaltungsabkommen "Koordinierte neue Softwareentwicklung der Steuerverwaltung" (Konsens) abgeschlossen. Zum 1. Januar 2007 trat es in Kraft. Damit haben sich alle Länder dazu verpflichtet, die einheitlich entwickelte Software einzusetzen.

Droht ein weiteresEntwicklungsdesaster?

Kritiker zweifeln allerdings am Erfolg des Vorhabens. Bereits mit Fiscus sei der Versuch einer auf die Bundesländer verteilten Softwareentwicklung gescheitert. Auch die Bemühungen, das Projekt in einer GmbH zu bündeln und damit zu retten, schlugen fehl. Das Grundproblem einer einheitlichen Steuersoftware liege in den länderspezifischen Besonderheiten. Obwohl die Steuerverfahren fast identisch sind, habe jedes Bundesland über die Jahre hinweg spezifische Prozesse und Abläufe ausgebildet. Diese könnten in dem neuen System aber nur noch sehr begrenzt abgebildet werden. Die Länder müssten im Notfall ihre Aufbau- und Ablauforganisation ändern, um mit der neuen Software arbeiten zu können. Allerdings sind Prozessveränderungen im Behördenumfeld in aller Regel nicht einfach. Darüber hinaus täten sich viele Behörden schwer, diszipliniert an einem Softwareentwicklungsprojekt zu arbeiten, kritisieren Insider. Vor allem die Neigung, eigene Besitzstände zu wahren, behindere behörden-übergreifende Vorhaben.

Die Suppe auslöffeln müssen die Beamten in den Finanzämtern. In einem Leitantrag der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG) aus dem vergangenen Jahr wurden zwar die Ziele von Konsens begrüßt. Immerhin deckten sich diese mit Forderungen, die die Gewerkschaft seit Jahren erhebe. Angesichts des Debakels von Fiscus sei ein striktes Kosten-Controlling unter Beteiligung der Rechnungshöfe notwendig, um das Projekt nicht erneut gegen die Wand zu fahren.

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