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Schon mehr als 600.000 Klicks

Steinmeier wird zum Hit auf YouTube

21.05.2014
Deutschlands Außenminister, wie man ihn nicht kennt: Gegen "Kriegstreiber"-Vorwürfe setzt sich Frank-Walter Steinmeier brüllend zur Wehr. Im Internet wird der SPD-Wahlkampfauftritt nun zum Hit.

Bei all der Konkurrenz hat man es als Politiker auf Youtube nicht leicht. Frank-Walter Steinmeier kennt das. 76 Klicks, 142 Klicks, 232 Klicks - das sind Zahlen, mit denen der Außenminister bei seinen Internet-Videos normalerweise zufrieden sein muss. Das Video im offiziellen Kanal der Bundesregierung ("Das Kabinett stellt sich vor: Der Außenminister") sahen sich seit Mitte März lediglich 3500 Nutzer an. Trost konnte er bislang daraus schöpfen, dass die Kollegen auf noch weniger kamen: CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt verharrt bei 109 Klicks.

Jetzt allerdings hat sich ein Steinmeier-Video auf Youtube zum Hit entwickelt. Der Mitschnitt von einem SPD-Wahlkampfauftritt am Montagabend auf dem Berliner Alexanderplatz wurde seither bald eine halbe Million Mal angeklickt. In dem 2:02-Minuten-Clip ist der fürs Diplomatische zuständige SPD-Mann zu sehen, wie man ihn ansonsten nicht kennt: Zeigefinger links, Zeigefinger rechts, in voller Lautstärke, mit rotem Kopf und kurz vorm Explodieren.

Es ist das Ende eines langen Tages, schon um 08.30 Uhr hatte Steinmeier mit Europa-Spitzenkandidat Martin Schulz ein Plakat vorgestellt, das beide als Europas Friedensbotschafter preist. Dann Empfang seiner moldauischen Kollegin Natalia Gherman, später noch Eröffnung einer David-Bowie-Ausstellung. Alles angenehme Termine. Nun sitzt er um 19.30 Uhr vorne auf einer Bierbank und wartet auf seinen Wahlkampfauftritt auf dem Alex, wie die Berliner den Platz nennen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit muss sich gerade eines Pfeifkonzerts erwehren. "Europa emotionalisiert, und ich finde, das ist auch gut so", meint er etwas hilflos. Dann betrittt Steinmeier die Bühne.

Während unter der weißen Zeltdachkonstruktion SPD-Anhänger sitzen, grölen drumherum Demonstranten. Per Flashmob haben sich zum einen die Gegner des Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP) organisiert, einige sind verkleidet als Chlorhühnchen. Und dann sind da Dutzende russlandfreundliche Demonstranten. "Stoppt die Nazis in der Ukraine", "Kiewer Junta tötet eigenes Volk", steht auf weißen Pappschildern. Sie schreien Steinmeier "Kriegstreiber, Kriegstreiber" entgegen. Der Außenminister, der seit Monaten im Ukraine-Konflikt zu vermitteln versucht, gerät mächtig in Rage.

Also brüllt er zurück. "Ihr solltet Euch überlegen, wer hier die Kriegstreiber sind! Wer eine ganze Gesellschaft als Faschisten bezeichnet, der treibt den Krieg, der treibt den Konflikt! Ihr habt kein Recht!" Es seien Leute wie die da hinten, die Europa kaputt machen würden. Steinmeier reagiert wohl auch deshalb so genervt, weil es von anderer Seite genau die umgekehrte Kritik an ihm gibt. Bei Außenministertreffen musste er sich in den vergangenen Wochen gegen den Verdacht zur Wehr setzen, ein "Russland-Versteher" zu sein und zuviel Rücksicht auf Moskau zu nehmen. Auch in den Kommentaren kam er nicht mehr so gut weg.

So schreit er auf dem Alexanderplatz weiter: "Der Sozialdemokratie muss man nicht sagen, warum wir für Frieden kämpfen! Nicht der deutschen Sozialdemokratie!" Und, direkt an die Demonstranten gewandt: "Weil wir den Frieden wollen, dürfen wir es Euch nicht so einfach machen: Die Welt besteht nicht nur auf der einen Seite aus Friedensengeln und auf der anderen Seite aus Bösewichten! Die Welt ist leider komplizierter!"

Bei der SPD, in deren Europa-Wahlkampf Steinmeier erst eine untergeordnete Rolle spielte und nun zum "Zugpferd" aufgestiegen ist, zeigten sie sich sehr überrascht ob der starken positiven Resonanz über Steinmeiers "klare Kante". Aber auch erstaunt, wie statt der eigentlichen Themen nun ein Video den Wahlkampf prägt.

Das Auswärtige Amt, in Sachen Internet seit einer Weile ziemlich aktiv, verzichtete hingegen darauf, das Video in seinen Internet-Auftritt einzubetten. Zur Begründung war zu hören, es habe sich schließlich um einen Auftritt des Ministers im Rahmen der SPD-Europawahlkampagne gehandelt. So fein kann die Trennung sein. (dpa/tc)