Siemens stiehlt Siemens die Schau:

Statt Offensiv-Taktik - Mitbewerber-Kompatibilität

03.11.1978

MÜNCHEN - Vom 22 500-Mark-Bürocomputer bis zum superschnellen 16 MB-Größtrechner, zwischen MDT und Fujitsu: Siemens ließ in der vergangenen Woche die mit Spannung erwarteten Hardware-Überraschungen raus (CW-Nr. 44 vom 27. 10. 1978, Seite 1: "Großoffensive von Siemens").

Doch als Günter Leonhard, Leiter des Siemens-Geschäftsbereiches "Basisinformationssysteme", am 26. 10. 78 mit der Vorstellung der auf dem Prozeßrechner 300 basierenden Kleincomputer-Familie 6000 den offiziellen Start der Münchner ins MDT-Rennen bekanntgab, hatten ihm "Freund und Feind" die Schau gestohlen: Der firmeneigene DV-Vertrieb mit der Freigabe neuer Großrechner-Reihen (7.700/7.800) - und IBM mit der Kölner Weltpremiere des Systems /38 (siche nebenstehenden Bericht) Erster Eindruck: Beim

Siemens-Debüt im Bürocomputer-Markt hätte man sich eine stärkere Aktion vorstellen können. So standen die Großrechner-Ankundigungen des Geschäftsbereiches "Datenverarbeitung" im Vordergrund: Das System 7.000 wird jetzt mit den vier neuen Zentraleinheiten 7.761, 7.762. 7.770 und 7.780 nach oben ausgebaut und ab sofort unter der Bezeichnung System 7.700 angeboten. In den neuen Zentraleinheiten werden von Siemens entwickelte Chips verwendet, die 65 536 Informationseinheiten auf nur 3,6 x 7,0 Millimeter Fläche speichern. Die hochintegrierten LSI-Schaltkreise weisen - nach Siemens-Angaben - Schaltzeiten von weniger als einer milliardstel Sekunde auf. Die vichtigsten Systemkomponenten des Systems 7.700 sind das Betriebssystem BS2000, das komplexe Hardware-/Software-Paket "Transdata" für die Datenfernverarbeitung, Verbundbausteine für den Rechner-RechnerTeilnehmerbetrieb (File Transfer, Remote Job Processing) sowie das Datenbank/Daten-Kommunikationssystem UTM/UDS.

Zu der nach oben erweiterten Produktlinie 7.700 kommt noch die neue Systemfamilie 7.800 mit ebenfalls vier Modellen, die sich durch "hohe Mitbewerber-Kompatibilität auszeichnen" (Siemens-Aussage) - kein Wunder, handelt es sich doch um die Fujitsu-Jumbos M-180 und M-200. Die Zentraleinheiten 7.870, 7.872, 7.880 und 7.882 - so lauten die Siemens-Modellbezeichnungen decken den Leistungsbereich von zirka 2,4 bis 9 Millionen Operationen pro Sekunde ab (siche Grafik). Die Modelle 7.872 und 7.882 sind

mit jeweils zwei Kanal- und zwei Verarbeitungs-Prozessoren ausgestattete Multiprozessor-Versionen der Modelle 7.870 und 7.880.

Das System 7.800 wird von dem OS/ VS2-OS/MVS-kompatiblen Betriebssystem BS3000 unterstützt. Dazu Werner Poschenrieder, Leiter des Siemens-Geschäftsbereiches Datenverarbeitung: "Wir garantieren die IBM-kompatible Weiterentwicklung des Systems".

Im BS3000 sind lokale Batchverarbeitung, Remote-Batch-Betrieb, Dialogverarbeitung und "Transaction Processing" möglich. Für den Aufbau und Betrieb von Datenbanken steht das Advanced Information Management System AIM zur Verfügung.

Als Alternative zu IBMs SNA (Systems Network Architecture) offeriert Siemens das Datenfernverarbeitungssystem FNA (Future Network Architecture), in das alle DFV-Komponenten - Hardware Software und Datenübertragungs-Verfahren - integriert sind.

Mit dem zur 7.700er-Reihe inkompatiblen System 7.800 (Verträglichkeit wird angestrebt) zielen die Münchner auf (IBM-)Ablösegeschäfte. Poschenrieder: "Der Bedarf an Großrechnerleistung steigt überproportional."

Vermittelte die Präsentation der neuen Großrechner den Eindruck, daß Siemens "Streit sucht" (her mit den dicken IBM-Kunden!), so wirkte der Einstand der MDT-Truppe eher flau. Wer eine Offensiv-Taktik gegen Nixdorf, Kienzle und Philips hatte, kam

nicht auf seine Kosten. Formulierte Leonhard vorsichtig: "Wir sind überzeugt, in einigen Jahren zu den führenden Anbietern in Westeuropa zu gehören."

Liegt's an der Hardware?

Einstiegsmodell des Systems 6000 ist der Bildschirm-Computer 6.610 - einsetzbar für kommerzielle wie für technisch-wissenschaftliche Anwendungen, als autonomes Einzelsystem oder für die Datenvorverarbeitung und die komfortable Datenerfassung im Verbund mit anderen Systemen. Das aus einer Bildschirmeinheit mit eingebauter Steuerung und Floppy-Disk-Laufwerk sowie frei beweglicher Tastatur bestehende Gerät hat auf jedem Schreibtisch Platz.

Im Grundausbau ist dieses floppydisk-orientierte Dialogsystem wahlweise mit einem Hauptspeicher von 16 KB oder 48 KB lieferbar, die 16-KB-Version ab 22 500 Mark Kaufpreis.

Die schreibtischgroßen Bürocomputer 6.620 und 6.640 sind plattenorientierte Dialogsysteme. Das Modell 6.640 unterscheidet sich vom Modell 6.620 durch eine 2,7-fach höhere interne Leistung, erweiterte Anschlußmöglichkeiten für periphere Geräte sowie im Preis, der für das Modell 6.620 bei zirka 70 000 Mark und für das Modell 6.640 bei zirka

95 000 Mark beginnt.