Startup-Szene in Deutschland: Der Boom ist vorbei, die Realität hält Einzug

09.08.2001
Von Gabriele Müller
Nach dem Absturz vieler Dotcoms überwiegt bei vielen der Entrepreneur-Szene Pessimismus. Doch es gilt, aus den Fehlern der Pioniere zu lernen – und anschauliches Lehrmaterial bietet sich reichlich. Auf lange Sicht wird sich eine solide Gründerszene durchsetzen, deren Erfolgsrezept aus gründlicher Vorbereitung, guten Geschäftsideen, langem Atem und realistischer Einstellung geprägt ist.

Die Schar der Berater für die Startup-Szene wächst ständig. Böse Zungen spotten schon, dass auf einschlägigen Veranstaltungen mehr Venture Capitalists und Berater zu sehen sind als Gründer. Seriöse Helfer mit langjähriger Erfahrung im harten Geschäft wie Kammern, Verbände oder öffentliche Einrichtungen bleiben gelassen: Nach dem Boom kommt jetzt die Ernüchterung, heißt es. Dann bleibt letztlich eine bodenständige Gründerszene übrig, die ihren Weg machen wird, weil sie gut vorbereitet und realistisch eingestellt ist.

„Die Zahl der Anfragen bei uns ist im Vergleich zum letzten Jahr schon deutlich zurückgegangen“, weiß Andreas Gillhuber, Business Coach in München bei der Siemens AG. Sein Job ist es, Siemens-Spinoffs ebenso wie externe Startups zu analysieren und in der Wachstumphase der eigenen Firma zu beraten und zu unterstützen. Gillhuber ist nicht pessimistisch. Im Gegenteil: „Diejenigen, die sich jetzt auf das Wagnis entlassen, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen, sind besser vorbereitet und oft nicht mehr so blauäugig“, hat er erfahren. Wer als angehender Unternehmer den Konzern mit seinem Konzept überzeugt, bekommt seine Chance.

In der Nähe des Münchner Flughafens, im Center of E-Excellence, sorgt der „Business Accelerator“ für ein passendes Umfeld für die Anfangsphase von Jungunternehmen: Es gibt je nach Wunsch eine Bürolandschaft, IT-Infrastruktur und Büroservice, Know-how in Marketing, Vertrieb, PR, Personalentwicklung und Zugang zum Siemens-Netzwerk. Und natürlich auch die Vermittlung von Finanziers. Dass soviel Hilfe nicht uneigennützig ist, versteht sich von selbst. „Natürlich fördern wir diejenigen bevorzugt, von deren Konzept wir nicht nur überzeugt sind, sondern die auch das E-Business bei Siemens ein Stück weiter voran bringen können“, heißt die Devise.

Für die 27 jungen Firmen, die zur Hälfte Konzern-Ausgründungen, zur Hälfte externe Neugründungen sind, kann das zum Beispiel so aussehen: Die jungen Firmenchefs erhalten gegebenenfalls nicht nur Anschubfinanzierung, sondern auch Aufträge und damit Referenzen, die es erleichtern, die ersten Hürden zu nehmen. „Damit wollen wir ein solides Gründertum fördern, bei dem nicht der Börsengang das Hauptziel ist, sondern der Aufbau eines funktionierenden Unternehmens“, bringt es Gillhuber auf den Punkt. Partnerschaft mit einem Big Player als Hilfe für Neulinge im Geschäft – diese Idee ist nicht neu – und auch nicht ganz unumstritten. Denn ein starker Partner, zum Bespiel in Gestalt eines Business Angels kann durchaus auch den Kurs bestimmen. Der kann in eine ganz andere Richtung gehen als ursprünglich gedacht.

Das weiß auch Oliver Höck, Mitbegründer der Yagma AG in Düsseldorf, die sich mit Elektronikprodukten vom kleinen Start up zum Mittelständler entwickelt hat. „Vor allem unabhängig bleiben“, heißt deshalb einer seiner eisernen Regeln, die er auch anderen Entrepreneuren in spe mit auf den Weg gibt. Das gilt nicht nur für die Wahl der Geschäftsform, sondern auch für die Firmenpolitik. „Wer eine AG gründet, muss wissen, dass es noch einen Aufsichtsrat gibt, der mitbestimmen will“, warnt er. Da heute aus seinem ehemaligen Startup ein florierendes E-Commerce-Unternehmen geworden ist, kann Höck gelassen auf seine Anfänge zurückschauen. Für alle, die sich mit dem Thema Existenzgründung beschäftigen, hat er vier Tipps bereit. „Unbedingt an die eigene Idee glauben, sich gründlich vorbereiten, von Anfang an klare Strukturen und Zuständigkeiten schaffen und das wichtigste Ziel immer im Auge behalten: Umsatz machen.“

Partnerschaften, strategisch geplant und gewählt, bei denen sich die Gründer das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen, können aber durchaus hilfreich sein. Viele E-Commerce-Experten erwarten zum Beispiel, dass Konzepte, die Bricks and Clicks, also traditionellen Handel und Internet-Geschäft miteinander kombinieren, sehr erfolgreich sein werden. Beispiele für solche Zusammenarbeit von Old und New Economy gibt es schon: Etwa bei buch.de und der Buchhandlung Phoenix oder bei justbooks. Die Düsseldorfer setzten von Anfang an erfolgreich auf Kooperationen mit herkömmlichen Antiquariaten, holten sich starke Mitstreiter wie Hubert Burda Medien, BOL oder Booxtra ins Haus. Auch Höck, Vorstand der Yagma AG, kann zufrieden sein: Sein Unternehmen ist jetzt Teil des britischen Kingfischer Elektronik-Imperiums und weiter auf Expansionskurs.