Starke Bindung bringt Kunden um Vorteile Outsourcing: DV-Kompetenz muss im Unternehmen bleiben

16.06.1995

Die Angst vor Abhaengigkeit haelt viele Unternehmen davon ab, sich auf Outsourcing-Projekte einzulassen. Andererseits sind Geschaeftsbeziehungen, in denen die Partner einander grundsaetzlich misstrauen, kaum denkbar. Eberhard Schott* und Anja Schaefer* diskutieren in ihrem Beitrag, was von der Abhaengigkeit vom IT- Dienstleister zu halten ist.

Eine Studie des Frankfurter Marketing-Lehrstuhls ueber Outsourcing in Deutschland (veroeffentlicht in einem gleichnamigen IDC-Report, siehe Abbildung) belegt, dass die Abhaengigkeit vom Anbieter fuer wahrscheinlich gehalten und gefuerchtet wird. Diese Einschaetzung ist vor dem Hintergrund verstaendlich, dass das genannte Argument in der Fachpresse haeufig pauschal als Nachteil der Auslagerung angefuehrt wird.

Abhaengigkeit in einer Geschaeftsbeziehung bedeutet, dass Entscheidungen und Aktivitaeten des Partners die eigene Situation und Entwicklung beeinflussen. Ein wichtiger Grund dafuer sind unvollstaendige Vertraege und eine unzureichende Rechtsordnung. Je weniger vertraglich geregelt wird und je schwieriger sich die Einhaltung von Vertraegen im Konfliktfall durchsetzen laesst, desto groesser ist die Abhaengigkeit vom fairen Verhalten des Partners. Genau dieses Problem ist im Falle des Outsourcings gegeben.

In Outsourcing-Vertraegen kann nicht von vornherein die Leistung des Anbieters und seine Entlohnung ueber den gesamten Vertragszeitraum festgelegt werden. Die Langfristigkeit der Vertraege erschwert eine exakte Festschreibung des erforderlichen Inputs sowie der gewuenschten Leistung. Viele zukuenftige Entwicklungen - zum Beispiel Fortschritte in der Informationstechnik oder der aus dem Geschaeftserfolg des Nachfragers sich ergebende Bedarf an IV-Dienstleistungen - sind fuer die naechsten fuenf bis zehn Jahre nicht zu bestimmen. Auch stoesst eine exakte Kostenermittlung in der IV auf erhebliche Probleme.

Ausserdem ist zu bedenken, dass komplexe Vertragswerke aufwendig und teuer sind. Fuer die Durchfuehrung von Ist- und Soll-Analysen sowie den Einsatz von Bewertungs- und Kontrollmechanismen fallen erhebliche Kosten an. Erfahrungsgemaess stoesst der Einsatz entsprechender Instrumente schnell an eine Effizienzschwelle. Mit anderen Worten: Bessere Vertraege mindern zwar die Gefahr einer Abhaengigkeit, sind aber organisatorisch aufwendig und teuer.

Aufgrund der genannten Probleme und der Tatsache, dass die Parteien sich erst im Laufe der Geschaeftsbeziehung richtig kennen- und einschaetzen lernen, koennen fuer das IV-Outsourcing keine "vollstaendigen", alle Eventualitaeten beruecksichtigenden Vertraege geschlossen werden. Eher bietet es sich an, eine Art Rahmenabkommen zu treffen, das genuegend Spielraum fuer Anpassungen laesst. Solche nachtraeglichen Modifikationen bieten Partnern in einer Abhaengigkeitssituation zahlreiche Moeglichkeiten, das Ungleichgewicht der Geschaeftsbeziehung zu ihren Gunsten auszunutzen.

Eine weitere typische Eigenschaft von Outsourcing-Beziehungen ist der Einsatz spezifischer Ressourcen. Der Anbieter fuehrt Investitionen durch, die speziell auf das Partnerunternehmen zugeschnitten sind. Wichtig daran ist die Tatsache, dass diese ihren vollen Wert nur entfalten und behalten, solange die Geschaeftsbeziehung andauert. Eine Vertragskuendigung kann die spezifischen Ressourcen ganz oder teilweise wertlos machen. Damit laeuft jeder, der in einer Geschaeftsbeziehung spezifische Ressourcen bereitstellt, Gefahr, diese zu verlieren, falls der Partner die Beziehung aufkuendigt. Je groesser die in diesem Fall auftretenden Verluste, desto hoeher ist der Grad der Abhaengigkeit.

Fuer ein Outsourcing-Projekt stellt ein externer Anbieter unter Umstaenden neue Mitarbeiter ein, schafft Hard- und Software an, richtet Standleitungen ein, schult seine Mitarbeiter, kauft oder mietet Raeume. Ein erheblicher Teil dieser Investitionen wird mit Bezug auf ein bestimmtes Projekt vorgenommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Mitarbeiter, Hard- oder Software durch den Outsourcing-Anbieter uebernommen werden.

Die so erworbenen Ressourcen kann der Anbieter oft nur in der Beziehung mit dem jeweiligen Nachfrager optimal verwerten. Dies gilt selbst unter Beruecksichtigung des Arguments, dass nach dem Outsourcing die bisher nur intern genutzten Ressourcen Dritten angeboten werden sollen. Die meisten der uebernommenen Ressourcen werden auch weiterhin fuer den alten (vormals internen) Kunden eingesetzt.

Schliesslich ist das Wissen um die spezifischen Belange des Kunden eine wichtige Ressource. Die Kenntnis von Personen, Orten und Geschehnissen zaehlt ebenso dazu wie spezifisches Wissen ueber Unternehmensziele, Organisation, Entscheidungsstrukturen, Unternehmensentwicklung, Ausrichtung und Strategien des Informations-Managements.

Andererseits investieren natuerlich auch die Nachfrager in die Beziehung mit dem Anbieter. Beispielsweise kann ein neu aufgebautes IS-Controlling auch fuer die Zusammenarbeit mit anderen Partnern oder intern eingesetzt werden. Ausserdem entsteht ein spezifisches Wissen um die Qualifikation des Anbieters, seine Staerken und Schwaechen, seine Fairness und Zuverlaessigkeit.

Es gibt jedoch neben dem Verlust spezifischer Ressourcen eine Reihe weiterer Aspekte, die einen Partnerwechsel erschweren. Konkurrierende Anbieter muessten mit ausreichenden Vorkenntnissen ueber die Kundensituation versorgt werden. Dies erweist sich als sehr zeitaufwendig und verursacht erhebliche Kosten, die bei einer weiteren Zusammenarbeit mit dem alten Partner nicht anfallen wuerden. Der bisherige Outsourcing-Anbieter kann die gewuenschte Leistung am schnellsten und kostenguenstigsten erbringen - eine Situation, in der der Kunde quasi abhaengig ist von dessen Kenntnissen ueber das Unternehmen. Ueber die Wettbewerbsnachteile konkurrierender Anbieter ergibt sich eine monopolartige Stellung des Outsourcing-Anbieters.

Diese wird noch durch technische und organisatorische Probleme unterstuetzt, die bei einem Partnerwechsel auftreten koennen. Vor dem Hintergrund, dass mehr als 92 Prozent der vom Lehrstuhl befragten grossen und mittelgrossen Unternehmen moegliche Stoerungen des Betriebsablaufs bei der Uebergabe von IV-Funktionen als ein wichtiges Problem wahrnehmen, duerfte die Neigung zum Partnerwechsel eher gering sein.

Dual Sourcing verringert Abhaengigkeit

Hinzu kommt, dass der Outsourcing-Kunde mit dem neuen Anbieter noch keinerlei Erfahrungen gemacht hat, waehrend er beim bisherigen Partner Schwaechen und Staerken genau kennt. Eine Moeglichkeit, diesem Problem zu begegnen, liegt darin, einen Teil der Aufgaben an einen weiteren Anbieter zu vergeben. Ein solches "Dual Sourcing" verringert die Abhaengigkeit, fuehrt aber haeufig zu erheblichen Koordinationsproblemen und -kosten.

Es zeigt sich also, dass beide Partner voneinander abhaengig sind. Eine gegenseitige oekonomische Bindung entsteht. Deren Vorteil liegt darin, dass gegenseitige Abhaengigkeiten kaum einseitig ausgenutzt werden koennen. Nur vor einem solchen Hintergrund koennen (relativ) risikolos spezifische Investitionen getaetigt und Verbindungen mit monopolistischen Anbietern eingegangen werden. Wenn allerdings bei einer so engen Kooperation einer der Partner - aus welchen Gruenden auch immer - in Schwierigkeiten geraet, ist der andere fast immer mitbetroffen.

Teilweise haengen die Partner unterschiedlich stark voneinander ab. So ist der Anbieter der Gefahr einer Kuendigung ausgesetzt, die fuer ihn den Verlust seiner spezifischen Investitionen bedeuten wuerde. Um dem entgegenzuwirken, enthalten die meisten Vertraege Kuendigungsregeln in Form von Kauf- oder Ruecknahmeverpflichtungen durch den Kunden. Dadurch verschiebt sich die Symmetrie der Abhaengigkeit zugunsten des Anbieters. Er koennte aufgrund des fehlenden Wettbewerbs ebenfalls versuchen, jede Nachverhandlungssituation so weit zu seinen Gunsten auszureizen, dass der Vertrag gerade noch nicht gekuendigt wird.

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich gute Geschaeftsbeziehungen nur auf fairem Geschaeftsgebaren auf- und ausbauen lassen. Der Anbieter moechte zusaetzliche Auftraege an Land ziehen, und dies wird er nur erreichen, wenn er ein einmal aufgebautes Vertrauensverhaeltnis und seinen guten Ruf nicht einer einmaligen "Ausbeutungsgelegenheit" opfert. Der Aufbau einer stabilen Geschaeftsbeziehung liegt also durchaus im Interesse des Anbieters, sofern dieser langfristig denkt.

Unfaires Verhalten kaum kalkulierbar

Mag auch ein unfaires Verhalten nicht ueblich sein, so besteht hier doch ein Risiko, das der Nachfrager in sein Kalkuel ueber die Outsourcing-Entscheidung und der Anbieter in sein Marketing einbeziehen sollte. Letzteres ist besonders schwierig, da es wegen der fehlenden Marktdaten kein "hartes" Kriterium fuer unfaires Verhalten gibt. Vor diesem Hintergrund kann leicht ein unberechtigter Ausbeutungsverdacht entstehen. Der Anbieter muss im Vorfeld und im Kooperationsalltag das Vertrauen schaffen, dass er eine solche Strategie nicht anwenden wird.

Die Risiken eines offenen unfairen Verhaltens des Anbieters sind also eher gering. Es besteht jedoch die Moeglichkeit, dass der externe Dienstleister aufgrund seines Informationsvorsprungs auf verstecktem Wege eigene Interessen gegenueber seinem Kunden durchsetzen will.

Der Kunde geht davon aus, dass der externe Dienstleister als DV- Spezialist aktuelle Trends und Marschrichtungen frueher kennt als er selbst und diese qualifizierter umsetzen kann. Nun koennte der Anbieter mehr investieren als notwendig und dabei weniger die Kundenbeduerfnisse als seine eigenen Vorteile im Auge haben. Vielleicht will er sinnvolle Strategien etwa hinsichtlich der Standardisierung oder Zentralisierung seiner IV-Funktionen auf Kosten des Kunden durchsetzen.

Dies ist allerdings kein unloesbares Problem. Es zeigt auf, dass im Nachfragerunternehmen die DV-Kompetenz auf jeden Fall erhalten werden muss. Entscheidungs- und Ueberwachungsaufgaben sind auch weiterhin intern zu erfuellen. Outsourcing braucht ein starkes Informations-Management beim Kunden.

Die unterschiedlichen Interessen von Unternehmensleitung und externem Dienstleister sind in einigen Punkten mit den Konflikten vergleichbar, die zwischen Unternehmensleitungen und internen DV- Abteilungen bestehen. So kann auch ein interner DV-Manager seinen Wissensvorsprung ausnutzen. Viele Manager haben laengst das Gefuehl, dass ihre IV-Abteilungen nicht mehr adaequat zu steuern und zu kontrollieren sind.

Diese Erfahrungen mit der internen DV-Organisation sind die wesentliche Ursache fuer die aktuelle Outsourcing-Diskussion. Von der Zusammenarbeit mit externen Anbietern erhoffen sich die Vorstaende eine groessere Disziplin bei der Planung und Abwicklung von Projekten sowie die Moeglichkeit, anhand der Rechnungslegung Ausgaben besser verfolgen und zuordnen zu koennen.

Die Probleme einer internen Informationsverarbeitung sind oft komplex und schwer loesbar. Sie koennen die Gefahren des Outsourcings sogar uebertreffen, da die Integration in das Unternehmen die wohl staerkste Form der Bindung ist. Es waere jedoch voreilig, Outsourcing ausschliesslich positiv zu sehen. Das ist kaum angemessen bei einer Dienstleistung, deren individuelle Qualitaet und Effizienz zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung nicht ueberschaubar ist und in der man sich auf eine dermassen starke gegenseitige Bindung einlaesst. Es ist sehr genau zu ueberlegen, ob eine solch enge Zusammenarbeit, die den Wettbewerb ausschliesst, wirklich zu effizienten Strukturen fuehrt oder sich langfristig dieselben Probleme wie bei einer internen IV-Abteilung ergeben.

Diplomkaufmann Eberhard Schott ist wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl fuer Marketing der Johann Wolfgang Goethe-Universitaet Frankfurt am Main. Diplomkauffrau Anja Schaefer ist Einkaeuferin bei der Deutschen Gesellschaft fuer Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH.