IT im Marketing/Füller oder Kugelschreiber?

Standortoptimiertes Sortiment von Herlitz

04.05.2001
Der Tante-Emma-Laden kannte die Vorlieben seiner Kunden auswendig, wusste, welche Produkte er wie zu positionieren hatte. Den heutigen Supermarktfilialen fehlt dieses Wissen, sie haben die Übersicht verloren. Deshalb setzen Großketten wie Wal-Mart Data Mining ein. Die Herlitz AG variiert dieses Verfahren. Von Stephanie Freese*

Die Herlitz AG, Berlin, hilft ihren Partnern, das Kaufverhalten der jeweiligen Kunden gezielt auszuwerten und mit diesem Wissen über Produkte, Standorte und regionale Besonderheiten die optimale Positionierung für einen Artikel zu finden. Davon profitieren sowohl der Anbieter als auch der Käufer: Das Unternehmen kann seine Kunden gezielter ansprechen und das Risiko, sich mit teuren Ladenhütern zu belasten, erheblich mindern. Umgekehrt präsentiert sich den Kunden die Ware übersichtlich und leicht erreichbar.

Intelligentes Space-ManagementDie Herlitz AG gehört zu den führenden Herstellern von Papier-, Büro- und Schreibwaren (PBS) in Europa und verfügt über zwanzig Jahre Erfahrung im Space- und Category Management. Orientiert an den individuellen Wünschen seiner europäischen Handelspartner, bietet das Unternehmen maßgeschneiderte Lösungen für die Sortiments- und Layoutoptimierung von PBS-Artikeln im weiteren Sinne in Selbstbedienungsmärkten an. Ziel ist es, durch umfassende Kenntnisse der Verkaufsfaktoren und Kundenbedürfnisse den Absatz zu steigern. Analysen über das Produktimage, das Sortiment und regionale Standortunterschiede bringen hier Licht ins Dunkel. Dabei lautet die Leitfrage stets: Welche Einflussgrößen bewirken einen überdurchschnittlichen Absatz eines Artikels?

Vor zwei Jahren setzte Herlitz erstmals auf ein Data-Mining-Tool, um eine solche Einflussgrößen-Analyse durchzuführen. Das erste Projekt, im Oktober 1998 gestartet, lieferte bereits wichtige Hinweise für ein standortoptimales Sortiment. Angesichts der ständigen Veränderung der Einflussgrößen war jedoch schnell klar, dass eine solche Analyse auf regelmäßiger Basis automatisiert durchgeführt werden muss.

Dem Haus schwebte ein Data-Mining-Instrument vor, mit dem sich der gesamte Datenstrom - im Sinne einer Automatisierung - abbilden, modellieren und optimieren lässt. Voraussetzung war gleichzeitig eine gute Bedienbarkeit der Software. Weiter musste sie den Ansprüchen in Sachen Navigationslogik, Preis-Leistungs-Verhältnis sowie Erfahrung des Softwarepartners im Bereich der Datenanalyse gerecht werden.

Drei Produkte kamen in die engere Auswahl: der Intelligent Miner von IBM, der Enterprise Miner von SAS Institute sowie Clementine von SPSS. Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten von SPSS aus, und das aus gutem Grund: Das Produkt überzeugte durch Übersichtlichkeit, die Möglichkeit, umfangreiche Datenmengen in einem Schritt auswerten und die Auswertungsergebnisse zur Weiterverarbeitung in andere Systeme exportieren zu können, sowie seinen Preis. Ein zusätzlicher Pluspunkt: Schon in früheren Analysen kamen SPSS-Lösungen bei Herlitz zum Einsatz.

Die Aussagekraft einer Analyse kann nur so hoch wie die Qualität der Daten sein, auf denen sie basiert. Den ersten Schritt auf dem Weg zum standortoptimalen Sortiment lenkte Herlitz also in Richtung Datenaufbereitung. Dazu wurden Informationen aus dem internen Data Warehouse bereinigt und durch Fremddaten ergänzt. Konkret heißt das: Herlitz trug sämtliche Daten über die Abverkäufe eines jeden Artikels aus dem aktuellen Sortiment in allen Verkaufsstellen zusammen.

Um nicht nur interne Informationen über den Abverkauf zu verwerten, sondern Bezüge zur Region, soziodemographischen Zusammensetzung, zum Wettbewerbsumfeld oder zu regionalen Besonderheiten zu berücksichtigen, verwendete man die bestehenden Daten mit Informationen über das Umfeld einer Verkaufsstelle. Statt auf statistische Samples zurückzugreifen, wurden sowohl alle Artikel als auch alle Verkaufsstellen einzeln aufgeführt. Die Datensätze umfassten im Durchschnitt 4000 Fälle mit etwa 30 Variablen. Die Daten fanden dann in Form einer Excel- oder ASCII-Datei ihren Weg in die Data Mining Workbench von SPSS.

Die Datenauswahl und ihre Anreicherung mit Fremddaten bildete die Grundlage für den nächsten Schritt, die Erstellung eines Prozess-Flow-Diagramms. Innerhalb dieses Vorgangs wurden die Daten weiter für die eigentliche Auswertung aufbereitet, indem einzelne Datentöpfe zu einer Analysedatei zusammengefasst, Zielvariablen berechnet und in unter- und überdurchschnittliche Abverkäufe klassifiziert wurden. Als Analyseverfahren wählte das Team ein Entscheidungsbaumverfahren, das mit Hilfe der Clementine-Sprache automatisiert wurde.

Storetests liefern den BeweisDie eigentliche Auswertung der Daten lief in einem viertägigen Analysedurchgang auf einem Pentium-II-Rechner unter Windows NT ab. In 96 Stunden konnten die angefragten Zusammenhänge geliefert werden; sie wurden in Ergebnisdateien im C-Code abgespeichert und auf ein externes Laufwerk zur weiteren Verarbeitung übertragen.

Auf der Grundlage der so erarbeiteten Ergebnisse ließ sich dann für 4420 von 6441 analysierte Artikel mindestens eine Regel generieren, die besagt, wann sich ein Artikel über- oder unterdurchschnittlich gut verkauft. Für jede einzelne Filiale wurde dann mit Hilfe eines von Herlitz selbst entwickelten Tools jenes Sortiment ermittelt, das unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des jeweiligen Standorts den optimalen Ertrag verspricht.

Angefangen bei der Strategieentwicklung über Test- und Auswahlphasen bis hin zur tatsächlichen Analyse investierte die Herlitz AG zwei Jahre in das Projekt der standortoptimalen Sortimentsplanung. Storetests liefern inzwischen den Beweis für den Erfolg der Methode: Der Rohertrag innerhalb der Verkaufsstellen, auf welche die Ergebnisse der optimierten Sortimentsplanung übertragen wurden, steigt im Jahresmittel enorm an.

Automatisierte AnalyseDie logische Konsequenz: Um ständig auf aktualisiertes Wissen über das optimale Warenangebot und seine Platzierung zurückgreifen zu können, werden derzeit die vorhandenen IT-Strukturen auf die Analyseeinheiten abgestimmt, sodass die Informationen automatisiert erstellt werden. Die umfangreiche Einflussgrößenanalyse muss dazu jährlich erneut durchgeführt werden. Das ausgewählte Produkt erwies sich hierbei als leicht zu bedienendes Instrument, das eine automatisierte Analyse zulässt und die Ergebnisse in einer für eine weitere Programmierung zulässigen Form ausgibt.

Besonders Marketing und Vertrieb profitieren von den so bereitgestellten Informationen, die ein gezielteres Produkt-Management ermöglichen - so wie es Tante Emma einst vorgemacht hat.

*Stephanie Freese ist Diplomkauffrau bei der Herlitz AG in Berlin.