Gut zwei Dutzend Mini-Hersteller tummeln sich auf dem Markt:

Standardsoftware als conditio sine qua non

23.09.1983

Lohnt sich der Mini-Einsatz im kommerziellen Bereich? Paradoxerweise könnte man locker antworten: "selbstverständlich ja ebenso wie "selbstverständlich nein" - wobei die zweite Antwort wahrscheinlicher klingt, sobald die Begriffe "Mini" und "kommerziell" beleuchtet und zum Softwareangebot in Relation gesetzt sind. Mikro, Mini und Mainframe scheinen die Hauptkategorien zu sein, mit denen der potentielle kommerzielle Interessent, der nach DV -Leistung lechzt, von der Branche konfrontiert wird. Der Schein trügt.

Kaum hat sich der Interessent mit einer der drei Großenkategorien gedanklich indentifiziert, wird ihm von Anbieterseite anhand der Termini: Super-Mikro, Super-Mini, Mega-Mini, General Purpose Computer, Dialogcomputer, Arbeitsplatzcomputer, Small Busineß-System, MDT, Basis-DV, Datenbankcomputer, Textsystem, Einplatzsystem, Mehrplatzsystem, etc., die Orientierung erschwert.

Früher gängige Begriffe im unteren Leistungsbereich (wie zum Beispiel Abrechnungssystem , Magnetkontencomputer ) verschwinden technologiebedingt vom Markt und andere (zum Beispiel "MDT") scheinen sich irgendwohin zu emanzipieren - sie sind nicht mehr "in" .

Innerhalb dieser (für den Nicht-DV-Insider = Interessent) babylonischen Nomenklaturvielfalt ist die Eingangsfrage zu beantworten.

Versuchen wir zunächst, den Begriff "kommerzieller Bereich" vom technisch/wissenschaftlichen ( = Domäne der Minis), im Sinne der Fragestellung, brauchbar abzugrenzen.

Als "klassisch kommerzielle Anwendungen" können wohl angesehen werden: Finanzbuchhaltung, Kostenrechnung, Auftragsabwicklung/ Fakturierung, Auskunftsbereitschaft aus der Kundenkartei (= Datei), Lohn/Gehalt, Lagerbewirtschaftung, Disposition, Kalkulation, Textverarbeitung, Statistiken. Als klassisch kommerzielle (im Sinne der Datenverarbeitung) können die vorgenannten Anwendungen insofern definiert werden, weil sie -zumindest branchenbezogen- weitgehendst mit Standardsoftware versorgt werden können. Problematischer ist die Einbeziehung der Anwendung Fertigungswirtschaft in den (DV-relevanten) kommerziellen Bereich. In den Grenzgebieten (zum Beispiel CAD/ CAM, Betriebsdatenerfassung, Qualitätssicherung, Steuerung) überschneiden sich kommerzielle und technisch/wissenschaftliche Anwendungen.

Weitgehendst dem "kommerziellen Bereich" werden zugerechnet: Stücklistenauflösung, Arbeitsplan, Materialwirtschaft, Brutto/Nettobedarf, Kapazitätsterminierung, Zeitwirtschaft/Lohnfindung und ähnliches. Als extrem branchenspezifisch können kommerzielle Anwendungen wie zum Beispiel C + C, Point of Sales, Mietabrechnung, Baulohn, Bank- und Versicherungswirtschaft etc. angesehen werden.

Die Abgrenzung der Minis von Mikros und Mainframes ist anhand verschiedener Kriterien möglich, nämlich zum Beispiel nach: Preisgrößenklassen, bevorzugtem Anwendungseinsatz, Systemsoftware.

- Preisgrößenklassen

Bezüglich Preisgrößenklassen könnte man eine Hardwarekonfiguration ab 50 000 Mark bis etwa 700 000 Mark Kaufpreis für typisch und somit zwischen Mikro und Mainframe liegend ansehen.

- Bevorzugter Anwendungseinsatz

Als Domäne der "klassischen" Minis gilt eindeutig die technisch/wissenschaftliche Datenverarbeitung und die Datenkommunikation. Auf diesem Felde verbuchen die klassischen Minis mit ihren ausgeprägten guten Real-Time-Eigenschaften und

Prozeßschnittstellen überragende Erfolge - in einträchtiger Koexistenz mit Mikros und Mainframes.

- Systemsoftware

Die Betriebssysteme typischer - für den technisch/wissenschaftlichen Einsatz konzipierter- Minis sind weitgehend Multi-Taskingorientiert; die Echtzeiteigenschaften sind ausgeprägt gut, die Batch-Eigenschaften eher schwach (kommerzielle Anwendungen sind nach wie vor ein Mix aus Online und Batch).

Die für den kommerziellen Einsatz unerläßlichen Funktionen:

- komfortable Dateizugriffsmethoden (zum Beispiel ISAM)

- Zeichen-String-orientierte Sortpakete

- Generieren von Listen-Outputs

- Spool

fehlen zumeist. Die Cobol-Subsets, die angeboten werden, lassen Druck- und Sort-Moduln oft vermissen

Soweit - in Stichworten - die Hauptmerkmale der von gut zwei Dutzend Herstellern (vorwiegend US - Provenienz) in der Bundesrepublik angebotenen, "typischen" Minis.

Ein Teil dieser zwei Dutzend Hersteller operieren (erfolgreich) ausschließlich im technisch/wissenschaftlichen Bereich, einige von ihnen drängen (zusätzlich zum technisch/wissenschaftlichen) ungestüm auf den kommerziellen Markt (zu meist mit mäßig erfolgreichen Marketingkonzepten)

Und dort - auf dem kommerziellen Markt in der Preisgrößenkategorie der Minis -agieren zwei "Super-Erfolgreiche" und einige "abgestuft" erfolgreiche Anbieter, deren

Hardware in diesem Marktsegment die typischen Leistungsmerkmale der klassischen Minis aufweisen.

"Super- und abgestuft Erfolgreiche"

Denn es besteht wohl kein ernsthafter Zweifel, daß zum Beispiel die beiden hierzulande mit Abstand erfolgreichsten "Kommerz-Minis", nämlich Nixdorfs 8870 und IBMs/34, im Grunde genommen Minis sind!

Die Hardwarekonzeption dieser beiden Kommerz-Minis ist bezüglich Peripherieleistung den kommerziellen Erfordernissen angepaßt, die Prozeßschnittstellen sind bewußt verkümmert, ihre Betriebssysteme und Compiler unterstützen konzeptionell die Erfordernisse kommerzieller DV, ihr Softwareumfeld ist auf "Problemlösung mit Standardsoftware" ausgerichtet.

Gemäß Diebold-Statistik waren zum 1. Januar '83 allein in der Bundesrepublik 7830 Nixdorf-8870-Systeme und 5200 IBM /34-Systeme installiert; zusammen also rund 13 000 Systeme dieser zwei Hersteller.

Das Geheimnis dieses Markterfolges der Kommerz-Minis ist alles andere als geheim; es lautet etwa:

- Verfügbare, gut dokumentierte Standardsoftware,

- Branchenlösungen,

- Softwarekataloge,

- Literatur in deutscher Sprache (!),

- Wertschöpfung aus Hardware und Software,

- Vertriebsleute, betriebswirtschaftlich orientiert,

- Kooperation mit kommerziell orientierten Softwarehäusern.

Summa summarum: Marketing für den kommerziellen Bereich via Anwendungssoftware!

Demgegenüber herrscht bei den meisten "klassischen" Miniherstellern bezüglich kommerzieller Standardsoftware ohrenbetäubende Stille - Lärm entsteht nur, wenn ihre Top-Manager und VBs die Stühle rükken und hurtig fluktuieren. Auf Pressekonferenzen zu erklären, daß man "nun" in den kommerziellen Markt "will", ist eben noch kein Marketingkonzept.

Erfolgreiche Kommerz-Minihersteller bieten in ihren Angeboten primär die Problemlösung mittels (lizenzpflichtiger) Standardanwendungsprogramme an; die für die Problemlösung geeignete Hardware wird nur am Rande erwähnt - wenige Worte über Bits und Bytes, Zykluszeiten und ähnliches.

Demgegenüber preisen die meisten klassischen Minihersteller in ihren Angeboten dem kommerziellen Interessenten noch immer 19-Zoll-Schränke, Einschübe, Stromversorgungen, Kabel, Register, Befehlsausführungszeiten und ähnlichen Kram an - dafür wenige Worte über Standardanwendungssoftware!

Einige Worte noch zu den "Super-Minis", die mit 32-Bit-Architekturen (und zugegebenermaßen exzellenten HW-Leistungsdaten) den Mainframes - in den Preisgrößenklassen von etwa 500 000 Mark bis 1,5 Millionen Mark- im kommerziellen Bereich Marktanteile abjagen sollen.

Domäne des Industriestandards

Nun ist dieser Markt bezüglich Softwareumfeld bekanntlich eine Domäne des "Industriestandards" sprich die Welt der DOS/VSE- und Nidos/VSE-User bis hin zu OS bis MVS. Eine Welt der "Kompatiblen", die über die prachtvollen Hardwareeigenschaften der Super-Minis (sofern diese zum Industriestandard in kompatibel sind) nur nachsichtig grinsen können. Welcher User investiert schon in die Reimplementierung seiner unter DOS/VSE und Nidos/VSE laufenden Anwenderprogramme zum Beispiel1 Million Mark, um eventuell 2D0 000 Mark Kaufpreisunterschied bezüglich Hardwareleistung einzutauschen? Wer in diesen Markt eindringen will, muß schon bis auf die Knochen kompatibel sein. Ein Blick in den Isis-Katalog oder ähnliche Publikationen beweisen dies auch bezüglich des Angebots der Softwarehäuser an kommerzieller Software.

Eine (für die Marktpartner) günstigere Entwicklung - bezüglich Softwareumfeld - zeichnet sich in der Mikro-Welt ab - die Portabilität der Software!

MS-DOS, CP/M und Unix sowie DFÜ-Kompatibilität zu Mainframes sind für Mikro-Anbieter die Brücken, wenn sie am Softwaremarkt für Anwenderprogramme partizipieren wollen.

Zusammenfassend kann die Titelfrage salomonisch wie folgt beantwortet werden: selbstverständlich ja, sofern der gewählte Mini glaubwürdig Zugang hat zum Marktangebot an kommerzieller Standardsoftware und selbstverständlich nein, wenn dies nicht zutrifft.

Die moderne Dramaturgie einer DV-Auswahl sollte wohl lauten:

- Aufgabenstellung/DV-Bedarf im Pflichtenheft fixieren,

- Softwaremarkt evaluieren und Standard-Software auswählen,

- dazu passende Hardware suchen,

- Ausbaufähigkeit des SW/HW-Systems mit Betriebswachstum in Relation bringen,

- Seriösität, Kundendienst und Preis der Anbieter prüfen,

- Personal-Ressourcen beschaffen,

- Bestellen.

Nicht wenige User machens anders.

Ladislaus Kovats ist Geschäftsführer der Explora GmbH, Institut für Industrieberatung und Marktforschung, Wettersteinplatz 1, 8000 München 90.