Workflow/Das Investitionsrisiko durch Interoperabilität mindern

Standards für offene Systeme: Workflow Management Coalition

17.05.1996

Workflow-Produkte sind sehr unterschiedlicher Herkunft. Während einige Produkte als reine Workflow-Lösungen konzipiert wurden, liegt der Ursprung anderer Produkte in Image-, Dokumenten-Management- oder E-Mail-Systemen. Manche sind direkt aus relationalen oder objektorientierten Datenbanksystemen hervorgegangen.

Mit der Entwicklung reiner Workflow-Lösungen waren nicht nur neue Begriffsbildungen, sondern auch neuartige Benutzeroberflächen und Schnittstellen verbunden. Produkte, die hingegen auf der Basis anderer Technologien weiterentwickelt wurden, haben deren Terminologie und Oberflächen oft übernommen. Jeder dieser Ansätze hat seine speziellen Stärken, die der Anwender im Falle einer Standardisierung seinen Bedürfnissen entsprechend zu einer integrierten Lösung kombinieren könnte.

Die Workflow Management Coalition, gegründet im August 1993, ist ein internationaler Zusammenschluß von über 100 Workflow-Anbietern, Anwendern und Beratern und das wichtigste Standardisierungsgremium in diesem sich enorm schnell entwickelnden Softwaremarkt. Die Mitgliedschaft ist für alle Interessenten, die sich mit der Entwicklung, Analyse oder Installation von Workflow-Systemen beschäftigen, offen. Das Ziel der Koali- tion ist die Schaffung von Softwarespezifikationen und Standards, um so die Voraussetzungen für die Interoperabilität verschiedener Workflow-Produkte und -komponenten in unterschiedlichen Umgebungen zu erhalten.

Auf diese Weise sollen der Investitionswert gesteigert und das Risiko bei der Beschaffung von Workflow-Systemen vermindert werden. Dadurch will die WfMC außerdem zum Wachstum dieses Marktsegments beitragen. Zur Verbreitung der Standards beabsichtigt die Koalition, stärker mit anderen Industriezweigen zusammenzuarbeiten.

Die Workflow Management Coalition gliedert sich in zwei Hauptkomitees, ein technisches und ein Leitungskomitee. In jedem gibt es mehrere Arbeitsgruppen. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Entwicklung eines Referenzmodells für Workflow-Management-Systeme.

In diesem Referenzmodell hat die Arbeitsgruppe allgemeine Charakteristiken, Funktionen und Schnittstellen von Workflow-Systemen beschrieben.

Das Modell zeigt fünf Kategorien von Standard-Interfaces, die die Interoperabilität und Kommunikation verschiedener Workflow-Produkte und -komponenten gewährleisten sollen und die Arbeitsschwerpunkte der übrigen Arbeitsgruppen bilden.

Der Workflow Enactment Service ist zentrales Element des Referenzmodells. Er kann ein oder mehrere Workflow-Engines beinhalten und stellt die Runtime-Umgebung für die Prozeßausführung zur Verfügung. Der Enactment Service unterscheidet sich also von den Applikationen und Endanwender-Tools, die benutzt werden, um die eigentlichen Arbeitsschritte auszuführen.

Am Workflow Enactment Service ist das Interface Nummer eins für die "Process Definition Tools" vorgesehen. Zur Analyse, Modellierung und Beschreibung von Geschäftsprozessen sollen sich verschiedene Tools verwenden lassen. Jene zur Prozeßdefinition sind im allgemeinen für eine bestimmte Workflow-Management-Software entwickelt. Das Interface soll hier für eine größere Flexibilität sorgen. Dieses "Process Definition Import/Export Interface" stellt ein allgemeines Austauschformat für folgende Informationsarten bereit:

-Bedingungen für Prozeßstart und -ende

-Prozeßaktivitäten mit den dazugehörigen Applikationen und Daten

-Identifizierung von Datentypen und Zugriffspfaden

-Definition von Bedingungen und Regeln sowie

-Zuteilung von Ressourcen.

Zur Bereitstellung eines kompletten Workflow-Systems sind oft mehrere standard- oder applikationsspezifische Tools in den Enactment Service zu integrieren. Dies geschieht über die Schnittstelle für "Workflow Client Applications" und das "Invoked Application Interface".

Über das Workflow Client Application Interface arbeitet die Workflow-Engine mit den Applikationen zusammen. Die Workflow-Client-Anwendung präsentiert dem Endbenutzer eine Worklist mit den auszuführenden Tätigkeiten. Sie kann Programme mit den dazugehörigen Daten aufrufen, die der Benutzer bei seiner Arbeit braucht, wonach alles an den Enactment Service zurückgegeben wird. Bei den Workflow-Client-Applikationen kann es sich um Teile des Workflow-Management-Systems, um separate Produkte, zum Beispiel eine E-Mail-Komponente, oder um individuelle Anwendungen handeln.

Über das Invoked Application Interface aktiviert die Workflow-Engine bestimmte Programme. Typischerweise ist diese Integration Server-basiert und geschieht ohne Eingriff der Benutzer, so beispielsweise die Weitergabe von Daten an das Host-System.

Workflow-Systeme müssen mit verschiedenen Services wie etwa für Fax, Dokumenten-Management und E-Mail oder anderen Anwendungen in Verbindung stehen. Hier sieht die Koalition "Tool Agents" vor, die über das Invoked Application Interface die Schnittstelle zur Anbindung solcher Anwendungen bereitstellen. Darüber hinaus könnte es sinnvoll sein, mehrere APIs zu entwerfen, die die Entwicklung von Programmen ermöglichen, die sich direkt von der Workflow-Engine aufrufen lassen.

Das vierte Interface erlaubt die Einbindung weiterer Workflow Enactment Services. Hier läßt sich die Runtime-Umgebung ausbauen, indem weitere Workflow-Engines zugeschaltet werden, was die Systeme insgesamt flexibler macht.

Eine fünfte Schnittstelle der Workflow Management Coalition soll die Zusammenarbeit der Administrations- und Monitoring-Tools eines Herstellers mit der Workflow Enactment Service Engine eines oder mehrerer anderer Hersteller gestatten. Eine standardisierte Schnittstelle würde die komplette Aufzeichnung des Arbeitsflusses durch die gesamte Organisation ermöglichen, unabhängig davon, mit welchen Systemen gearbeitet wird. Darüber hinaus könnte der Anwender das für seine Anforderungen am besten geeignete Tool zur Kontrolle und Überwachung der Arbeitsabläufe wählen.

Workflow-Produkte gibt es in diversen Ausprägungen, jedes hat dabei seine spezifischen Stärken. Das Angebot erstreckt sich von Ad-hoc- bis zu Production-Workflow, bei dem die Prozesse genau vorhersehbar und durch Regeln klar definierbar sind. Die Interoperabilität der verschiedenen Workflow-Systeme reicht von einer einfachen Weiterleitung von Aufgaben bis hin zum kompletten Austausch von Prozeßdefinitionen und allen Workflow-relevanten Daten.

Der höchste Integrationsgrad wird wohl nicht zu erreichen sein, da er eine Zusammenarbeit der Hersteller mit einer Offenlegung sämtlicher Formate und Schnittstellen voraussetzen würde. Die Koalition unterscheidet daher mehrere Ebenen der Interoperabilität:

"Level 1 - Coexistence": Verschiedene Workflow-Produkte basieren auf derselben Hard- und Software-Plattform.

"Level 2 - Unique Gateways": Spezielle Workflow-Systeme können untereinander Arbeit austauschen.

"Level 2A - Common Gateway API": bezeichnet eine Erweiterung der Unique Gateways.

"Level 3 - Limited Common API": Eine Untermenge der Workflow-Funktionalität wird in einem offenen Application Programming Interface zusammengefaßt.

"Level 4 - Complete Workflow API": Alle Aspekte von Workflow-Systemen sind in einem offenen API enthalten.

"Level 5 - Shared Definition Format": Workflow-Produkte können zur Laufzeit dieselben Prozeßdefinitionen benutzen.

"Level 6 - Protocol Compatibility": Alle APIs, die die Übertragung von Definitionen, Arbeitsschritten und Recovery beinhalten, sind standardisiert.

"Level 7 - Common Look and Feel": Die Komponenten von Workflow-Systemen lassen sich beliebig miteinander kombinieren.

Ende 1995 hat die WfMC ihre ersten Spezifikationen für ein "Workflow Application Programming Interface" (WAPI) zur Anbindung der Workflow-Client-Applikationen veröffentlicht. Dieses Workflow-Client-API bezieht sich auf Interface 2 des Referenzmodells und gestattet es, Anwendungen von verschiedenen Anbietern auf standardkonforme Workflow-Plattformen aufzusetzen.

Die WAPI-Spezifikationen sind für alle Hersteller einfach und in kurzer Zeit zu implementieren. Sie gelten nicht als abgeschlossene Verfahren, sondern sind offen und erweiterbar. Die WfMC hat die Spezifikationen anhand verschiedener Prototypinstallationen überprüft. Die WAPI-Aufrufe werden zur Laufzeit, das heißt während der Prozeßausführung verwendet. Sie lassen sich sowohl von einer Applikation als auch von einer Workflow-Engine für die Zusammenarbeit mit anderen Produkten benutzen.

Kurz & bündig

Die Workflow Management Coalition (WfMC), gegründet im August 1993, hat zum Hauptziel die Definition von Standards, die den Austausch von Daten oder ganzen Teilprogrammen zwischen den Workflow-Systemen erlauben. Über Interfaces würden sich die verschiedenen Stärken der Systeme miteinander koppeln lassen. Softwarehäuser hätten die Möglichkeit, spezielle Applikationen für eine große Zahl von Workflow-Plattformen zu entwickeln und zu vertreiben, sofern die Systeme standardkonform sind. Die Autoren erläutern die Organisation der WfMC, ihr Referenzmodell für solche Systeme und die bisherige Arbeit des Gremiums.

*Dr. Ulrich Kampffmeyer ist Geschäftsführer und Barbara Merkel Beraterin bei der Projekt Consult GmbH in Hamburg.