Serie: Downsizing, offene SystemeTeil 2

Standards für den Aufbau von heterogenen Systemwelten

11.10.1991

"Die beste Neuigkeit für alle, die einen technischen Standard suchen: Es gibt so viele, daß man auswählen muß." Mit leicht sarkastischem Unterton skizzierte das angesehene britische Wirtschaftsmagazin "Economist" im November 1989 die Lage in der DV-Landschaft. Unix oder SAA, OSI oder SNA, TCP/IP oder LU6.2 - eine Fülle von einander in ihrer Funktionsweise überlagernden Standards steht dabei in Konkurrenz zueinander.

An dieser Wettbewerbssituation der Normen und Normierer hat sich bis heute nichts geändert. Doch eine wesentliche Veränderung liegt zwischen 1989 und 1991: In zunehmendem Maße folgen die Anbieter heute den Standards. Dadurch stehen dem Anwender standardkonforme Lösungsangebote zur Verfügung, aus denen er problemorientiert auswählen kann .

Getragen wird diese große Zahl an Konfigurationsoptionen von der Vision einer völlig geöffneten DV-Welt. Doch Wohl und Wehe liegen hier dicht beieinander: Den Alptraum nämlich, in den diese unüberschaubare Flut an Standards münden kann, faßte im

Juni 1991 das amerikanische Wochenblatt "Business Week" in zwei Worte: "Computer Confusion".

Diskussion versperrt oft die Sicht oft Anwendungen

Diese Klage wird von allen Beteiligten - aus welchem Lager sie auch immer stammen - vorgetragen. Bei Anbietern wie Anwendern, bei Analysten wie Kolumnisten herrscht gleicher maßen Verwirrung darüber, welche Standards nun tatsächlich die "richtige Wahl" darstellen. Das geht so weit, daß die Diskussion um offene Standards mitunter die Sicht auf die Anwendungen versperrt, denen diese Normen eigentlich dienen sollen.

Die IBM hat unter dem Begriff "IBM Open Enterprise" ein Rahmenwerk geschaffen, das einerseits Standards berücksichtigt, andererseits offen ist, neue Technologien zu integrieren Ausgehend von der IBM System Anwendungs-Architektur (SAA) und der SAA/AIX-lnteroperabilität können heterogene Systeme eingebunden werden. Damit bekennt sich die IBM zu der Herausforderung, im Sinne ihrer Kunden Standards auszuwählen und die Funktion eines Integrators zu übernehmen.

Offen für die Zukunft: Die Auswahl geeigneter Standards findet vor allem unter dem Aspekt der Zukunftssicherung statt. Dem liegt die berechtigte Hoffnung zugrunde, eine einmal getroffene Investitionsentscheidung möge über eine hinreichend große Zeitspanne hinweg gültig und tragbar bleiben. Damit erhält Offenheit eine strategische Dimension. Zukunftsorientierte Investitionen müssen jedoch sicherstellen, daß vorhandene und neue Systeme durchgängig in einer Umfrage, die die in Newton, Massachusetts, angesiedelte Business Research Group unter den Fortune-1000-Anwendern vornahm, verfügen knapp 50 Prozent der Befragten über SNA-orientierte Netzwerke. Zwar glauben 40 Prozent der DV-Manager, daß OSI-Standards in den kommenden zwei Jahren für sie an Bedeutung zunehmen werden, doch nur jeder dritte ist auch Willens, in diesem Zeitrahmen neue Protokolle zu implementieren.

Mehr noch: Von jenen Fortune-1000-Anwendern, die neue Protokolle implementieren wollen, bevorzugen die meisten TCP/IP gegenüber OSI. Grundsätzlich wird aber die Erwartung geäußert, daß Netzwerke sich an Standards orientieren und interoperabel gestaltet werden.

Offen für Verantwortung: Moderne unternehmensweite und anforderungsgerechte Lösungen müssen das gewachsene und damit nicht selten heterogene Rechnerumfeld berücksichtigen und gleichzeitig die Durchgängigkeit der Daten, Informationen und Anwendungen über alle Unternehmenshierarchien und Rechnerstrukturen hinweg erlauben. Offene Systeme sollen dabei die freie, lösungsorientierte Wahl der Anwendungen und Systeme ermöglichen und ein Höchstmaß im Integration sicherstellen.

Das riecht nach einer willkürlich und wechselhaft gestaltbaren DV-Landschaft. Doch Willkür ist nicht gleichzusetzen mit freier Wahl; Herstellerunabhängigkeit ersetzt keine dauerhafte Partnerschafts- heterogene und offene Systemwelten machen eine

umfassende Systemverantwortung nicht überflüssig. "Offene Systeme, ja - doch wer übernimmt die Verantwortung", unter diesem Thema mit - im Vergleich zu den Vorjahren - völlig gewandeltem Zungenschlag stand die jüngste Tagung der German Unix User Group (GUUC).

Offen für Partnerschaft: Die Erkenntnis setzt sich immer stärker durch, daß nur ein permanenter Abstimmungsprozeß zwischen allen Teilnehmern im Markt dauerhaft Offenheit gewährleistet. Mehr noch: Dieser Abstimmungsprozeß selbst muß in aller Offenheit und Gleichberechtigung erfolgen.

Und das ist die dritte Nuance, die im Begriff "Offenheit" anklingt. Sie bezieht sich auf die Art und Weise, wie Organisationen und Unternehmen miteinander kommunizieren: Anbieter und Anwender, Hersteller und Lieferanten, Fachabteilungen und DV Organisation.

Die Anerkennung dafür, diese Diskussion um "offene Systeme" in den achtziger Jahren auf die Tagesordnung gebracht zu haben, gebührt unzweifelhaft einem großen Teil der Unix-Szene. Hier hatte allerdings die Standardisierungsdebatte einen Hang zum

Dogmatischen, der vor allem im Markt etablierte Standards zu diskreditieren versuchte. Getragen wurde dies sowohl von einer emotionalen als auch einer obrigkeitlichen Komponente. Beide wurden erst zu Beginn der neunziger Jahre überwunden. Der emotionale

Ansatz bestand in der Unterstellung, Offenheit sei gleichzusetzen mit Unix, während Betriebssystem-Welten, deren Name nicht auf -ix endete, von vornherein als geschlossen abgewertet wurden. Proprietär und offen bildeten somit einen Widerspruch, der so nie existiert hat. Offenheit durch Unix - da schwang die Illusion einer Revolution von unten mit.

Die hierarchische Komponente wiegt möglicherweise noch schwerer: Die Entscheidung darüber, welche Standards nun den Anspruch der Offenheit erfüllten, sollte höchstamtlich von Normungsgremien und Behörden postuliert werden. Nicht aus dem Markt heraus, sondern von oben herab sollten Standards durchgesetzt werden. Offenheit durch OSI- da schwang die Illusion einer Revolution von oben mit.

Diktatur der Normen

Beide Ansätze reklamierten für sich, Offenheit sei nur durch die Einhaltung der von diesen Gruppen sanktionierten Standards erreichbar. Der Prozeß selbst, in dem Standards bewertet und ausgewählt wurden, war damit alles andere als offen. Hier liegt auch der tiefe Widerspruch, der den Normungsgremien lange Zeit die nötige Marktakzeptanz verwehrte. Ihre Normen verhielten sich in ihrem Anspruch diktatorischer aIs die, die sie ersetzen sollten.

Offenheit erfordert jedoch im Gegensatz dazu mehr und mehr die ordnende Hand am Marktgeschehen orientierter herstellerübergreifender (nicht unbedingt herstellerunabhängiger) Gremien, wie zum Beispiel X/ Open, Posix, aber auch die Open Software Foundation (OSF). Sie definieren zwar in einem offenen Abstimmungsprozeß Betriebssystem-Schnittstellen und Funktionen für Anwendungen und "Portable Operating Systems". Doch herstellerunabhängige Gremien können keine Garantien geben. Hier sind die Anbieter

in der Pflicht.

Bei der Diskussion offener Systeme sollte nicht unerwähnt bleiben, daß Posix Standardschnittstellen und Funktionen festlegt, die nicht nur auf Unix spezialisiert sind.

Der im Juni 1990 veröffentlichte Draft zur Definition offener Systemumgebungen - Posix (1003.0) - durch die IEEI, erkennt dies auch eindeutig an. Danach ist eine offene Systemumgebung "ein umfassender und abgestimmter Satz an internationalen IT-Standards sowie funktionalen Standards, über die Schnittstellen, Services und Formate spezifiziert werden, um somit Interoperabilität und Portabilität von Anwendungen, Daten und Anwendern zu erreichen".

Dies zeigt: Offenheit ist weder ein Privileg von Unix noch von OSI. Offenheit aber ist das erklärte Ziel aller großen internationalen Anbieter, ohne daß sie damit gleichzeitig ihre proprietären Unterscheidungsmerkmale aufgekündigt haben. Und dies ist auch ganz im Sinne von Client-Server-Architekturen.

Ziel eines solchen Modells ist es schließlich, daß in einer offenen Systemumgebung Rechnerdienste zur Verfügung gestellt werden und damit das System, das für eine Aufgabe am besten ausgelegt ist, diese auch erledigt. Offenheit läßt also genügend

Entfaltungsmöglichkeiten für den Aufbau von Differenzierungspotential.

Vorgaben für Schnittstellen

Die wesentliche Herausforderung besteht somit darin, wohldefinierte Standards als Basis für heterogene, aber dennoch durchgängige Systemumgebungen zu nutzen. Ihnen liegen Schnittstellen zugrunde, die einige grundsätzliche Bedingungen erfüllen:

- Sie müssen in ihrer Funktion und ihrem Verhalten eindeutig definiert sein; das heißt, daß ein eindeutiger Input stets den zu erwartenden Output erzeugt.

- Sie müssen unabhängig von einer spezifischen Plattform existieren und darüber hinaus so wohl kombinierbar als auch austauschbar sein.

- Und sie müssen veröffentlicht worden und damit zugänglich sein.

Um einerseits die bisher getätigten Investitionen ihrer Kunden in komplexe Anwendungen zu schützen und andererseits die Entwicklung neuer Applikationen zu unterstützen, hat die IBM 1987 die System Anwendungs-Architektur (SAA) angekündigt und veröffentlicht. SAA beinhaltet ein umfangreiches Regelwerk für die Entwicklung und Benutzung konsistenter Anwendungen auf den unterstützten Plattformen. Die von SAA unterstützten hardware- und anwendungsoptimierten Plattformen sind die AS/400 mit OS/400, die /370- und /390-Systeme mit VM und MVS sowie das PS/2 mit OS/2 EE.

SAA ist als Bausteinmodell implementiert. Die einzelnen Blöcke haben eindeutig definierte Schnittstellen zueinander. Diese Schnittstellen werden durch den Entwickler in neue SAA-konforme Anwendungen eingebunden beziehungsweise stehen dem Benutzer für die Präsentation und beim Dialog mit Anwendungen über den Presentation Manager (PM) zur Verfügung.

Die veröffentlichten Schnittstellen umfassen folgende funktionale Bereiche:

- Common User Access (CUA) definiert die einheitliche Benutzerunterstützung,

- Common Programming Interface (CPI) beschreibt die einheitliche Anwendungsunterstützung und

- Common Communication Support (CCS) legt die einheitliche Kommunikationsunterstützung inklusive OSI fest.

Mit AIX, Version 3, für ihre RS/6000 folgt die IBM seit 1990 dem sogenannten XPG3. Dieser Portability Guide von X/Open definiert Schnittstellen und Funktionen für das Common Application Environment (CAE). Auch dieses Gremium trägt - bezogen auf Unix - dazu bei, daß mit dem Beginn der 90er Jahre standardkonforme Betriebssysteme und Anwendungssoftware erstellt und angeboten werden können. Eine Leistung, die die IBM durch ihre aktive Unterstützung anerkennt.

Mit der seit Februar I990 eingeleiteten Interoperabilität zwischen der System- Anwendungs-Architektur- und der AIX-Familie wird - ganz nach der Posix Definition für offene Systeme - ein gemeinsamer Satz an Schnittstellen und Standards etabliert. Damit stellt IBM sicher, daß sowohl SAA als auch AIX ein Höchstmaß an Offenheit bereitstellen: im Innenverhältnis, also zum Beispiel über die vier von SAA unterstützten Plattformen hinweg, im Zwischenverhältnis, also Interoperabilität zwischen SAA und AIX, und im Außenverhältnis, nämlich über Standard-Schnittstellen mit anderen Unix- oder proprietären Welten.

Mit Funktionen gemäß dieser Ankündigung werden folgende Kategorien des Zusammenwirkens von SAA und AIX und darüber hinaus in einem heterogenen Systemverbund abgedeckt: Advanced Program-to-Program-Communication (APPC), also die gleichberechtigte Behandlung aller Systemknoten, wie sie durch die SNA-Schnittstelle LU6.2 (Logical Unit) definiert wird, stellt die IBM auf allen SAA- und AIX-Systemen zur Verfügung. LU6.2 ist darüber hinaus veröffentlicht, allgemein zugänglich und wird als De-facto-Standard akzeptiert.

Gleichzeitig wird das Netzwerkprotokoll TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol) von allen SAA- und AIX-Systemen aus genutzt. Ebenfalls gibt es eine klare Zusage für alle SAA- und AlX-Systeme zur Unterstützung von OSI. Dabei ist sowohl OSI Support als auch LU6.2 und TCP/IP von allen SAA- und AIX-Systemen aus auf Token Ring, Ethernet und X.25 realisiert.

Das als De-facto-Standard etablierte Network File System (NFS) von Sun Microsystems wird grundsätzlich von allen SAA- und AIX-Systemen aus unterstützt - und zwar als Client und Server auf allen AIX-Systemen, als Server auf OS/400, VM und MVS und

schließlich als Client auf OS/2. Unternehmensweites System-Management kann mit Systemview und OSF/DME (Distributed Management Environment) sowohl durch SAA- als auch für AIX-Systeme erfolgen.

Praxis der Open Software Foundation (OSF) ist es, ihre Spezifikationen nicht aus eigenem Hoheitsanspruch zu formulieren, sondern aus bestehenden und akzeptierten Technologien auszuwählen. Man kann deshalb davon ausgehen, daß OSF/DME eine breite Zustimmung im Markt erfährt.

Grundsätzlich gilt: Der OS/2-basierte Presentation Manager realisiert die einheitliche Sicht auf die unternehmensweit verteilten Anwendungen und Daten. Über die im Presentation Manager geöffneten Fenster können die Vorgänge gesteuert und verfolgt werden, die auf den SAA-Plattformen unter MVS, VM und OS/400 (Host) oder OS/2 ablaufen.

Darüber hinaus unterstützt die IBM auf ihren AIX-Systemen X-Windows beziehungsweise AIX-Windows mit ihren Client-Server-Funktionen, wo bei die Technologie von OSI / Motif zugrundegelegt wird. Damit kann von AIX-Windows aus über X-Protokoll auf Anwendungen und Daten unter OS/2 EE, AIX für PS/2, AIX-Version 3, für RS/6000, OS/400 sowie MVS, VM und AIX/ESA zugegriffen werden.

Bei der Konzeption und Spezifikation von Verbundanwendungen legt die IBM Wert auf SAA-Konformität, wie sie durch den Presentation Manager als Bestandteil von OS/2 und LU6.2 vorgegeben ist. Gleichzeitig sind auch hier X-Windows und AIX-Windows mit ihren Client-Server-Funktionen wesentlich, Träger-Standards für verteilte Anwendungen .

Als Element des von der OSF ausgeschriebenen Standards DCE (Distributed Computing Environment) werden Remote Procedure Calls (RPC) unter stützt. Insgesamt will die IBM OSF/DCE für ihre Plattformen anbieten.

Die IBM stellt darüber hinaus ihren Transaktions-Monitor CICS, der bereits jetzt für die Betriebssysteme MVS VM VSE und OS/2 existiert zukünftig sowohl unter OS/400 als auch in einer AlX-basierten Version zur Verfügung. Auf der Basis von OSF/DCE

will die IBM - zusammen mit Partnerunternehmer wie Hewlett-Packard Co., Stratus Computer Inc. Ingres Corp. oder Informix Software Inc. - das von der Transarc Corp. vorgestellte Konzept eines Transaktions-Monitors unterstützen und realisieren. Damit wird

es möglich, OLTP-Anwendungen (Online Transaction Processing) über heterogene Systeme unter Einbindung der gesamten CICS-Umgebung zu verteilen.

Die IBM hat im Rahmen von SAA und AIX die Datensprache SQL (Structured Query Language) als verbindlichen Standard definiert. Sowohl ANSI- als auch X/Open und SAA SQL werden hier realisiert. SQL wird unterstützt von den eigenen relationalen Datenbank-Management-Systemen DB2 SQL/DS, OS/400-Datenbank und Database Manager von OS/2.

Für verteilte Datenbanken wird die IBM - aufbauend auf der Kommunikationsschnittstelle LU6.2 und mit dem Ausbau von DRDA (Distributed Relational Database Architecture - also einer umfassenden systemübergreifenden Architektur für verteilte relationale Datenbank-Management-Systeme der IBM und anderer Hersteller) - ihre Datenbanksysteme für verteilte Umgebungen optimieren.

Für DB2 und SQL/DS ist dies bereits erfolgt. Mit OS/400- und OS/2-integrierten Datenbanken ist noch in diesem Jahr zu rechnen. Die Ankündigung einer relationalen Datenbank unter AIX mit DRDA Support ist für 1992 geplant. Auf dieser Basis ist auch die Einbindung von relationalen Datenbank-Management-Systemen Dritter möglich. Erste Zusagen hierzu liegen bereits vor.

DRDA repräsentiert einen Satz an Spezifikationen über die sich - auf der Basis von SQL Statements - verteilte relationale Datenbanksysteme auf heterogenen Hardware- und Systemplattformen betreiben lassen. In der ersten Stufe werden Remote Units Of Work (RUOW) unterstützt womit bestimmte Zugriffsfunktionalitäten unter Berücksichtigung der Konsistenz möglich werden. Damit können Anwendungen mehrere SQL-Statements als RUOW ausführen und zwar gegenüber allen relationalen Datenbanken mit DRDA-Support DRDA erfüllt sämtliche Forderungen an eine offene Architektur. Zudem ist DRDA auch beim amerikanischen Normungsbüro ANSI eingereicht.

Keiner kann alle Standards unterstützen

Der mit der Umsetzung dieser Standards ermöglichte Grad an Offenheit ist die Voraussetzung dafür, das Allgemeingültige um das Besondere zu ergänzen und der Norm die Individualität aufzusetzen. Gerade hiermit befanden sich die Bemühungen der Unix-Szene um Standardisierung lange Zeit im deutlichen Gegensatz zu Kundenanforderungen. Vor allem in den Fachabteilungen nämlich wurden und werden in erster Linie DV-Systeme mit Blick auf die gebotene Funktionalität und erst nachrangig unter dem Gesichtspunkt der Integrationsfähigkeit erworben. Typisches Beispiel ist hier die Konstruktionsabteilung, bei der die Konnektivität zur unternehmensweiten lnformationsverarbeitung zweitrangig ist.

Aus der Sicht der Abteilung ist die Effektivität der Datenverarbeitung mit dem Aufbau von Insellösungen durchaus erreicht. Erst wenn übergeordnete Bereiche, ja über das Unternehmen hinaus auch Lieferanten und Kunden mit in den Informationsprozeß

einbezogen werden sollen, wächst der Bedarf an Übereinstimmung. Das erfordert zumeist den Aufbau neuer Anwendungsarchitekturen, wie sie mit Verbundanwendungen und Client-Server-Modellen diskutiert werden.

Dabei gilt jedoch einschränkend: Niemand kann alle Standards zur selben Zeit unterstützen - weder Anwender noch Anbieter. Es muß der freien Entscheidung aller Teilnehmer im Markt überlassen bleiben, welchen Satz an Standards sie unterstützen wollen. So entstehen Rahmenwerke, in die eine ganze Reihe von einander ergänzenden und unterstützenden Produkten eingebunden wird.

Die IBM formuliert in offener Diskussion mit ihren Partnern eine ganze Reihe von Funktionsstandards, die auf den offenen Architekturstandards SSA, SAA und AIX aufbauen, und faßt sie in einzelnen Rahmenwerken zusammen Gleichzeitig ermuntert sie Mitbewerber wie Kooperationspartner, ihr Produktangebot in solche umfassenden Rahmenwerke einzubinden.

Rahmenwerke dieser Art entstehen mit AD/Cycle für das Aufgabengebiet Computer Aided Software Engineering (CASE), mit Officevision für die Bürokommunikation oder mit Systemview für das System-Management. Sie sind offen, da sie eingebunden sind in

das mit IBM Open Enterprise vorgestellte Integrationsangebot der IBM. So ist auch aus der Sicht der Anwendungen eine Potentialerweiterung durch die Integration heterogener Systeme gegeben Moderne Konzepte wie Client-Server-Modelle oder Verbundanwendungen über unterschiedliche Systeme hinweg können somit in einem auf IBM Open Enterprise aufbauenden Rahmenwerk verwirklicht werden.

Ein aus einem solchen Rahmenwerk generiertes offenes System kann dabei unterschiedliche Ausprägungen annehmen: Es kann auf einem Host residieren, in einem Netz eng verknüpfter Rechner operieren oder unternehmensübergreifend in einem System temporär aufgebauter Leitungsverbindungen wirken.

Daran muß sich die Auswahl offener Standards orientieren, wie dies mit IBM Open Enterprise angeboten wird. Denn Client-Server-Konzepte, die das Resource-Sharing über den gesamten unternehmensweiten Rechnerpark hinweg ermöglichen sollen, gehen in

ihrer Zielsetzung weit über Standardwerke wie OSI hinaus. OSI definiert eine Trägerschicht. Zuvor aber stellt sich die Frage nach den eingesetzten Methoden, mit denen unternehmensweit Ressourcen wie Datenbestände, Anwendungsprozessoren, hochwertige Peripheriegeräte oder Kanäle zur Verfügung stehen. Sie werden nach der benötigten Funktionalität ausgewählt.

Auswohl richtet sich nach der Funktionalität

So lassen sich zum Beispiel Datenbank-Zugriffe, Flat Files oder Drucker-Spools völlig ausreichend mit Remote Procedure Calls (RPC) bewerkstelligen. Auch mit Message Queues für den asynchronen Verbindungsaufbau können Ressourcen abgefragt werden.

In dem Maße aber, in dem Ressourcen auf einer höheren Ebene zwischen Anwendungen verlangt werden, empfehlen sich Methoden wie die SNA-Schnittstelle LU6.2 für Advanced Program-to-Programm-Communications, mit denen der Aufbau sogenannter Conversational Nodes möglich ist. Die Methodenauswahl richtet sich ausschließlich nach der geforderten Funktionalität und ist unabhängig von dem zugrundeliegenden Netzwerk.

Dagegen rücken Funktionsstandards zum Beispiel für Datensicherheit oder Netzwerk-Management immer stärker in den Mittelpunkt der strategischen Entscheidungen. So müssen offene Systemumgebungen darauf ausgelegt sein, Gefahren wie Viren-Befall zu bannen oder ein hohes Maß an Zugriffssicherheit zu gewähren. Dabei müssen zentrale Instanzen existieren, die zum Beispiel den Zugriff von einem mit der Sicherheitseinstufung A1 (nach dem Orange Book des US Departement of Defense) versehenen Rechner auf Systeme mit Sicherheitsstufe B1 verhindern.

Mehr Bedarf on Integrations-Dienstleistung

Aufgaben, wie die entzweite Verteilung einheitlicher Softwarelizenzen und damit die Wahrung der Softwarekonsistenz, sind ebenfalls zentrale Management-Aufgaben, die in offenen Systemen verstärkt anfallen und gelöst werden müssen .

Damit wird aber auch ein verstärkter Bedarf an Integrations-Dienstleistung angesprochen. Denn gerade in einer offenen, dezentral strukturierten DV-Welt, in der die Ressourcen auf unterschiedliche Prozessoren verteilt sind, wird der Bedarf an Verantwortung für die im Netz ablaufenden Vorgänge deutlich.

Mit Systemview definiert die IBM unter Beteiligung von Kooperationspartnern ein offenes Rahmenwerk für das Management heterogener Netze. Wichtiger Bestandteil dieses Rahmenwerkes ist das bestehende SNA-orientierte Netzwerk-Management-Werkzeug Netview der IBM.

Durch die Einbeziehung von CMIP (Common Management Interface Protocol) als Grundlage für den Nachrichtenaustausch liegt die Betonung aber auch auf OSI. In diesem Zusammenhang wird Systemview SNMP (Simple Network Management Protocol) unterstützen, das bereits in Teilen realisiert ist - für MVS und VM, die es unter Netview arbeitenden Hosts erlauben, SNMP-Netz werke zu verwalten. Die Einbindung von Produkten Dritter soll dabei nach strenger OSI-Konformität erfolgen.

Das im September 1989 vorgestellte Rahmenwerk für den kompletten Anwendungsentwicklungszyklus AD/Cycle hat von Anfang an sowohl auf die Unterstützung von Standards als auch auf die Unterstützung durch Softwarehäuser gezielt. So wird zum Beispiel

das mächtige Repository in wichtigen Teilen den von der amerikanischen Normungsbehörde ANSI formulierten Richtlinien für Information Resource Dictionary Systems (IRDS) unter X3.I38-1989 entsprechen. Hier befindet sich die IBM in einer offenen Diskussion. IBMs Partner in diesem Bereich sind zum Beispiel Bachmann, Knowledgeware, Synon oder Easel, deren als De-facto-Standards anzuerkennende Beiträge damit AD/ Cycle vollends zu einem offenen Konzept erheben. Auch IBMs Angebot für die Bürokommunikation, die

alle von SAA unterstützten Systemplattformen ein bezieht, ist ein offenes Rahmenwerk. Auf der Basis der mit SAA veröffentlichten Standardschnittstellen sind auch die Angebote Dritter in dieses Gesamtkonzept integrierbar.

So wird die Office-Automation-Software "Notes" von Lotus, mit dem Informationen gemeinsam von mehreren Anwendern über vernetzte PCs genutzt werden können, das IBM Angebot der Officevision-Familie ergänzen.

Selbiges gilt für das E-Mail-Produkt CC:Mail der von Lotus übernommenen CC:Mail Inc., ein auf LANs basierendes elektronisches Postsystem mit rund einer Million Nutzer weltweit. Zu der Officevision-Familie, die ständig weiter ausgebaut wird, gehören Officevision/2 LAN, Officevision/400, Officevision/VM und Officevision/MVS. Die Integration der Anwendungen erfolgt über APIs (Application Programming Interfaces).

Diese von der IBM initiierter anwendungsbezogenen Rahmenkonzepte machen deutlich daß sich der Ansatz "offener Systeme" über alle Facetten der Informationsverarbeitung erstrecken muß. Der Grad der Offenheit mißt sich damit nicht an der Tasache, ob eine zugrundegelegte Architektur proprietär oder nicht-proprietär ist. Er mißt sich vielmehr an der Frage, inwieweit es möglich ist, andere Systeme über in ihrer Funktionsweise klar definierte, veröffentlichte und frei verfügbare Schnittstellen einzubinden. Ein wahrhaft offenes System muß demnach in vier Systembereichen "offen" sein.

- Benutzerschnittstelle: Hier sind die Standards zur Ausprägung der Benutzeroberfläche, aber auch der funktionalen Abläufe der Anwendungssoftware betroffen .

- Kommunikationsschnittstelle: Hier werden Standards für den physischen und logischen Aufbau von Netzwerken und seiner Prozeduren (Log-In) ebenso gefordert, wie für das Netzwerk-Management und die Netz-Sicherheit.

- Datenschnittstelle: Erwartet werden hier Sprachstandards für den einheitlichen Datenzugriff und das umfassende Daten-Management.

- Systemschnittstelle: Hier werden Standards für den Zugang zum Betriebssystem und die zugrundeliegende Hardware benötigt.

Die Summe dieser technischen Interfaces, wie sie sowohl der System Anwendungs-Architektur der IBM zugrundeliegen aber auch Richtschnur für die SAA/AIX-Interoperabilität sind, bilden die Grundlage jener offenen Anwendungslösungen, wie sie die IBM mit ihren Rahmenwerken aufbaut. Sie sind zugleich die Aufforderung zur partnerschaftlichen Weiterentwicklung. Mit einer Vielzahl von Kooperationsvereinbarungen

- von denen das noch nicht geschlossene Abkommen mit der Apple Computer Inc. zur Forcierung objektorientierter Systemsoftware als das spektakulärste gilt - sollen diese Rahmenwerke erweitert und ausgebaut werden.

Hier erreicht der Begriff "Offenheit" schließlich seine faszinierendste Dimension. Die neunziger Jahre werden dominiert von Organisationen, die in der Lage sind, ihre Ideen zu kommunizieren und sich der Ideen anderer zu öffnen. Dies ist ein langwieriger Prozeß, der ein Unternehmen als ganzes wie auch jeden einzelnen Mitarbeiter betrifft. Dabei sind DV-Anbieter im doppelten Sinn gefordert. Sie müssen Informationssysteme bereitstellen, die diese offenen Strukturen der organisationsübergreifenden Zusammenarbeit unterstützen. Sie müssen diesen Wandlungsprozeß darüber hinaus aber auch selbst vollziehen.

Die IBM weist diesen Weg mit IBM Open Enterprise. Es ist dies ein Angebot an alle Anbieter, zu einer gemeinsamen informationstechnischen Infrastruktur zu gelangen. Dies stellt einen tiefgreifenden Wandel im Verständnis vom Markt und seinen Bedingungen dar. Nicht die Konfrontation der Standards und ihrer Befürworter steht hinter diesem Integrationsansatz. Es ist vielmehr die Kooperation innerhalb heterogener Systemwelten, auf die die IBM Open Enterprise abzielt.

Die IBM bekennt sich damit zu der Herausforderung, aber auch zu der Verantwortung, die hinter diesem Integrationsangebot steht.