Vermeintliche Nachteile entpuppen sich als Pluspunkte:

Standardisierung mit Rationalisierungseffekt

25.07.1980

Herr Krusebusch, fiktiver Erstanwender-Unternehmer in der Werbung eines namhaften Kleincomputerherstellers, würde das Ansinnen einer Software-Eigenentwicklung vermutlich entrüstet von sich weisen - und mit ihm sicher viele seiner Kollegen aus der Realität. Gerade für sogenannte EDV-Einsteiger, und hierzu zählen auch die Umsteiger vom Rechenzentrum auf eine eigene Anlage, verliert der Gedanke an etwas "Eigenes" sehr schnell an Reiz, sofern er überhaupt in Betracht gezogen wurde.

Sehr oft hat man die Entscheidung monate- oder jahrelang vor sich hergeschoben; aber ist sie einmal gefallen, "dann muß das Ding morgen schon laufen". Dies und die hohen Erstellungskosten bei Eigenentwicklung im Verhältnis zu den bekanntermaßen fallenden Hardwarepreisen lassen schnell den Ruf nach Standardsoftware laut werden.

Am anderen Ende des Spektrums ist insbesondere angesichts gutsortierter EDV-Stäbe die Bereitschaft geringer, Standardsoftware einzusetzen. Dabei sind gerade Verfügbarkeit und Kosten Kriterien für den Einsatz von Standardsoftware, die jeder potentielle Anwender bei der Auswahl berücksichtigen müßte, gleichgültig, ob es sich um eine Mini- oder Großanlage handelt.

Reibungsverluste bei Eigenentwicklung

Eigenentwicklung und Standardsoftware sind - dies als Anmerkung - nicht die einzigen Möglichkeiten, Softwareplanungen erfolgreich zu realisieren. Häufig werden Programme in Auftrag gegeben. Zwischen solcher fremdentwickelten Individualsoftware und einer Eigenentwicklung bestehen in Gegenüberstellung zum Kauf von Standardsoftware kaum Unterschiede. Zwar treten bei Eigenentwicklung in der Regel Reibungsverluste durch problemfremde, aber firmenspezifische Eigenheiten auf, die Kosten sind sehr viel schwerer abgrenzbar, und man hängt unmittelbar von Gesundheitszustand und Arbeitslaune der eigenen EDV-Mitarbeiter ab. Andererseits können etwaige Mißverständnisse durch die größere Firmennähe von vornherein vermieden werden.

In dieser Betrachtung wird zwischen beiden Spielarten der Individualsoftware auch deshalb nicht unterschieden, weil weite Teile der EDV-Anwender mit echter Eigenentwicklung überfordert wären. Herr Krusebusch hat keine eigene EDV-Abteilung; und es ist auch nicht sehr sinnvoll, für die Erstellung und Installierung von Programmen, deren potentielle Anwendung ;zeit die Erstellungszeit um ein Vielfaches übertrifft, feste Kapazitäten durch Einstellung von Fachpersonal zu schaffen.

Unter dieser Prämisse gibt es einige wenige Nachteile, die gegen - und eine ganze Reihe handfester Argumente, die für den Kauf von Standardsoftware sprechen. (Das gilt sowohl für Systemsoftware als auch für den gesamten Anwendungsbereich.)

An Nachteilen wäre zu nennen:

1) Die Prüfung des Kaufobjektes auf seinen Leistungsumfang und seine Anpaßbarkeit auf die firmeninternen Bedürfnisse ist schwierig durchzuführen.

2) Wird die Software nicht vom Hardwarelieferanten angeboten, kann es zum Hin- und Herschieben der Verantwortung für Fehlerbehebung kommen.

3) Häufig müssen betriebliche Abläufe geändert werden.

Das mögliche Auftreten dieser Fälle soll nicht wegdiskutiert werden, aber man muß doch darauf hinweisen, daß die notwendige vergleichende und intensive Beschäftigung mit zur Auswahl stehenden Produkten als Nebeneffekt wertvolle Arbeitsergebnisse über die Organisation im eigenen Betrieb und mögliche Verbesserungen liefert (dies zu Nachteil 1).

Vielleicht stellt sich dann heraus, daß die Änderung betrieblicher Abläufe sinnvoll und wertvoll ist (dies zu Nachteil 3).

Die Trennung von Hard- und Softwarelieferanten schlägt in der Praxis auch zum Vorteil aus, da zu der normalen Bindung Kunde - Lieferant die zusätzliche Verbindung zwischen Hard- und Softwarelieferant hinzukommt; für den einzelnen Lieferanten steht mithin mehr auf dem Spiel als der einzelne Anwender. Bei Nichtfunktionieren ist der gemeinsame zukünftige Umsatz gefährdet (dies zu Nachteil 2).

Diesen doch recht einsichtig zu entkräftenden Nachteilen stehen gegenüber:

1) Sofortige Verfügbarkeit des Produktes.

2) Kostenersparnis gegenüber Eigenentwicklung.

3) Know-how-Transfer.

4) Große Stabilität gegenüber Programmfehlern, da das gleiche Programm bereits mehrfach eingesetzt ist.

5) Geringere Wartungskosten.

Für die Anwender, denen echte Eigenentwicklung möglich wäre, kommen noch hinzu:

6) Umgehung vorhandener Personalengpässe.

7) Vermeidung der Ausweitung der Personalfixkosten .

Es gibt Prognostiker, die meinen, das eigentliche Massengeschäft mit der EDV stehe uns in den 80er Jahren noch bevor. Eine solche Entwicklung ist aber eben wegen der genannten Vorteile ohne Standardsoftware gar nicht denkbar.

Diese Meinung hat sich auch im Hause Polydata durchgesetzt und dazu geführt, daß beispielsweise für IBM Serie/1 ein Anwendungssystem (SIP) für Schweizer Apotheken geschaffen wurde - oder auch ein Abrechnungssystem (BAM) für Molkereien auf einer Nixdorf 8870/1, ferner ein Anwendungspaket "Omtex" für kleinere und mittlere Textilunternehmen auf Olivetti-Systemen und diverse andere Branchenlösungen auf Anlagen verschiedener Hersteller.

Das am Markt angebotene Sortiment an Standardsoftware ist zahlenmäßig sehr groß; man braucht dazu nur einmal den ISIS-Katalog aufzuschlagen. Das wirft freilich die Frage nach der Qualität von und nach Auswahlkriterien für Standardsoftware auf. Standardsoftware hoher Qualität - und nur für solche gelten alle aufgezählten Vorteile uneingeschränkt besteht eben nicht nur aus einem oder mehreren Programmen mit wohldefinierten Funktionen.

Standardsoftware verdient diesen Namen nur, wenn eine generelle Einsatzfähigkeit oder doch mindestens eine Mehrfachverwendbarkeit möglich ist. Wesentlich ist außerdem eine variable Steuerung von Formularausgaben, Texten und vielleicht sogar Verarbeitungen in den Programmen durch Tabellen, Parameterdateien oder ähnlichem. Schließlich wird damit die Bandbreite der möglichen Variationen verbreitert und auch der in der Praxis sehr häufige Anpassungsaufwand verringert. Gerade um das letztgenannte Ziel zu erreichen, sollten die Programme nach den Regeln modularer und strukturierter Programmierung erstellt sein. Selbstverständlich muß ein Standardsoftwarepaket zu einem Festpreis angeboten werden.

Kriterium Vertragsklarheit

Klare Vertragsregelungen bezüglich Installation, Dokumentation, Wartung sowie Gewährleistung sind unverzichtbare Bestandteile eines Softwarekaufvertrages. Allerdings sind solche Vereinbarungen im seriösen Softwaregeschäft auch im Nichtstandardbereich üblich Das Gleiche gilt für Absprachen hinsichtlich der Einweisung und Schulung für das gekaufte Softwareprodukt.

Abschließend sollte nicht unerwähnt bleiben, daß der Einsatz von Standardsoftware insbesondere im Anwendungsbereich nicht für alle Aufgabenbereiche gleichermaßen sinnvoll ist. So haben Untersuchungen ergeben, und auch der ISIS-Katalog belegt es, daß von den klassischen Anwendungsgebieten Finanzbuchhaltung, Lohn-/Gehaltsabrechnung, Auftragsbearbeitung/Fakturierung und Lagerverwaltung/Materialbewirtschaftung relativ häufig die ersten beiden mit Standardsoftware gelöst werden, während sonst eher individuelle Lösungen bevorzugt werden.

Es darf als sicher gelten, daß mit dem Vordringen der EDV in immer weitere Bereiche unseres Wirtschaftslebens die Akzeptanz steigen wird, Standardprogrammpakete auch für Bereiche einzusetzen, in denen heute noch jeder auf die eigene, individuelle Lösung schwört. Der Genosse Trend jedenfalls signalisiert schon seit Jahren eine stetige Zunahme des Anteils von Standardsoftware am gesamten Softwaremarkt.

* Dipl.-Math. Fritz Wiebel ist Mitarbeiter in der Vertriebsleitung Standardsoftware der Züricher Polydata AG (Niederlassungen in Konstanz, München, Pforzheim, Wiesbaden, Graz und Wien).