Stand der Anwendung von Prognosen und Informations-Systemen

18.08.1978

Dr. Rudolf Lewandowski*, Marketing Systems GmbH, Essen

Der Bundesverband Deutscher Marktforscher hatte zu seiner Jahrestagung 77 die Prognose und Simulation von Marktabläufen zum Gegenstand der Überlegungen gewählt.

Diese Wahl erschien um so vernünftiger, als eine "Führung des Unternehmens vom Markte her", die in der Literatur immer wieder als Quintessenz des Marketing-Gedankens gefordert wird, ohne umfassende Kenntnis der zukünftigen Entwicklung und der Reaktion des Marktes undenkbar ist.

Um so verwunderlicher ist, daß die Fundamente für eine solche "Führung vom Markte her", die Untersuchung der, Marktreaktionen und -entwicklungen und ihre Prognose in 95 Prozent der Unternehmungen immer noch mit fast den gleichen Instrumenten gelegt werden, die schon vor Jahrzehnten aktuell waren. Dies ist gerade angesichts der Tatsache erstaunlich, daß der Marketing-Gedanke die Betriebswirtschaftslehre seit Jahren beherrscht, und daß das zeitgemäße Handwerkszeug für qualitativ gute Marktuntersuchungen schon zur Verfügung steht.

Man übertreibt gewiß nicht, wenn man feststellt, daß schlechte Prognosen jährlich mit Milliarden von Mark zu Buche schlagend. Wir sind deshalb nicht wenig erstaunt zu sehen, daß zu Zeiten, in denen die Verschwendung von Energie und Rohstoffen in aller Munde ist, die tägliche Verschwendung von Arbeit und Kapital durch Prognosen - erstellt mit unzureichenden Instrumenten - wie selbstverständlich hingenommen wird.

Seit 1974 sind die großen Orientierungslinien der Marktentwicklung gebrochen. Das regelmäßige Wachstum fast aller Märkte vereinfachte in früheren Jahren eine Reihe von Problemen für die Unternehmensführung und führte sogar dazu, daß die Marketing- und Marktforschungsfunktion in bestimmten Sektoren nur eine untergeordnete Rolle spielte.

Heute und in den kommenden schweren Jahren muß die Marketingfunktion mit Hilfe einer effizienten Marktanalyse und -prognose in allen Unternehmen den entscheidenden Platz einnehmen, der ihr in der Literatur schon lange eingeräumt ist.

Anforderungen an ein Analyse- und Prognose-System:

Ein Analyse- und Prognosesystem, das zum Kernstück der Unternehmenspolitik werden soll, muß folgende Anforderungen erfüllen: - - Es muß alle für die Unternehmenspolitik relevanten Daten speichern und in der Lage sein, sie zur Behandlung anstehender Probleme in zweckmäßiger Weise zu transformieren.

Allein durch die rationelle Art der Bewältigung der auf das moderne Unternehmen hereinbrechenden Datenflut kann ein- solches System zur Erhöhung der Entscheidungssicherheit und -geschwindigkeit des Managements beitragen.

- Das System muß so flexibel sein, daß es zur Analyse und Prognose (Bestimmung der Marktgesetze/ Wachstumsgesetze) verschiedenster Märkte und unterschiedlichster Marktsituationen angewandt werden kann. So muß zum Beispiel auch eine Analyse von den einem eigentlich interessierenden Markt nachgelagerten Märkten ohne Änderung des Systems möglich sein.

- Bei all dem ist darauf zu achten, daß die Benutzersprache des Systems nicht nur vom EDV-Fachmann, sondern vor allem vom Marktforschere dem Marketing-Manager und den Verantwortlichen der Unternehmensplanung nach kurzer Zeit verstanden und angewendet werden kann.

Der Stand der Anwendung von integrierten Prognose- und Informations-Systemen in Europa

Obwohl die Mehrzahl der Unternehmen schon einige Erfahrungen mit Prognosesystemen gemacht hat, ist die Zahl der Gesellschaften, die sich kontinuierlich und zu ihrer Zufriedenheit eines solchen Systems bedienen, noch sehr klein.

Wir sind der Auffassung, daß ein Prognosesystem nur integriert in ein geschlossenes und ausgereiftes Prognose- und Informationsystem die Erwartungen erfüllen kann.

Die Ursache der vielfältigen Frustration, die bei den "Anwendern der ersten Stunde" aufgetreten ist, liegt unseres Erachtens hauptsächlich in den Schwierigkeiten des Aufbaues eines komplexen Systems, das zur Anwendung wirklich fundierter Methoden notwendig ist. Der Aufbau und die Installation eines solchen Systems dürfen nicht amateurhaft und improvisiert erfolgen.

Wir möchten alle diejenigen, die vielleicht nicht ohne Grund diesen neuen Prognosemethoden noch reserviert gegenüberstehen, darauf aufmerksam machen, daß schon seit 1971 in einer Reihe europäischer Unternehmen die oben beschriebenen komplexen Analyse- und Prognosesysteme Anwendung finden. Als Beispiele mochte ich hier nur das Verlagshaus Axel Springer in Hamburg, Gervais Danone in Paris oder Fiat in Turin anführen. Heute, sechs Jahre nach diesen ersten Installationen, bedienen sich ständig mehr als 30 führende europäische Unternehmen der Leistungen dieser Systeme.

Es wird für viele von Ihnen von Interesse sein, daß die angesprochenen Prognosesysteme durchaus kein "Luxus" sind, den sich nur einige Konzerne leisten können. Die Systeme werden auch in mittleren Unternehmen rentabel angewandt. Während eine Reihe von Großunternehmen bei der Analyse von Prognose ihrer Märkte vor großen Schwierigkeiten steht, werden gleichartige Probleme in deren Tochtergesellschaften oft schon mit Hilfe komplexen Analyse- und Prognosesysteme gelöst.

Der heutige Stand der Anwendung der Systeme beweist ihre Verwendbarkeit auf unterschiedlichsten Märkten; auf Konsumgütermärkten wie dem Waschmittel-, dem Bier-, dem Erfrischungsgetränkemarkt, dem Markt für Zahnpasta etc. ebenso wie auf Investitionsgütermärkten wie zum Beispiel dem Kugellager- und dem Lkw-Markt.

Zusammenfassung:

Es ist unübersehbar, daß in den vergangenen fünf Jahren eine rapide Entwicklung der effizienten Anwendung integrierter Prognose-Informations-Systeme stattgefunden hat.

Sowohl das dargestellte kurzfristige Analyse- und Prognosesystem als "Frühwarnsystem" als auch das mittelfristige Informations-, Simulations-, und Prognosesystem entsprechen den an sie gestellten Anforderungen.

Die Standardisierung führte dazu, daß sie - trotz enorm hoher Entwicklungskosten - auch für mittlere Unternehmen erschwinglich sind. Die jährlichen Kosten für eine integrierte Analyse und Prognose der Absatzdaten eines Unternehmens liegen bei weniger als DM 100 000,-.

Die genannten Tatsachen machen uns überaus optimistisch, was die Entwicklung der Anwendung integrierter Prognose-Informationssysteme betrifft. In der Tat ist die wissenschaftliche Prognose unverzichtbares Element der Führung, sei es im industriellen Bereich, im Bereich des Handels, oder gar der Politik. An den auf diesem Gebiet bestehenden Möglichkeiten vorbeizugehen heißt, die eigenen Ressourcen verschwenden.

Der sich verschärfende Konkurrenzkampf wird eher als in der Vergangenheit dazu führen, daß falsche Maßnahmen bei der Unternehmensführung den Bestand der Unternehmung gefährden. ,

Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung, besonders aber auch in den der Marketingleitung, dem Problem der Prognose die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm gebührt.

Denn der Satz gilt mehr den(...) Diriger c'est prevoir!

*Kurzfassung des Referates, veröffentlicht in den Mitteilungen des BVM "Interview und Analyse", Heft 5, Mai 1977