Stärkere Berücksichtigung offener Systeme bei öffentlichen Beschaffungen:BMFT und ZVEI propagieren OSI - Migrationsplan

22.08.1986

BONN/FRANKFURT - Die öffentlichen Hände sollen bei DV-Beschaffungen endlich mehr Gewicht auf OSI-Standards legen. Wenn es nach dem Bundesforschungsministerium geht, beinhalten Ausschreibungen künftig einen Migrationsplan, der die anbietende Industrie verpflichtet, ihr Equipment anzupassen, sobald die entsprechenden OSI-Normen vorliegen.

Die Idee, über einen Migrationsplan mehr "OSI-Bewußtsein" bei den öffentlichen Beschaffern zu wecken, kam den Ministerialien des Hauses Riesenhuber, nachdem zwei spektakuläre DV-Entscheidungen für negative Schlagzeilen gesorgt und die erklärte Absicht der Bundesregierung, sich an OSI-Normen zu orientieren, konterkariert hatten: Der Auftrag der Gelben Post an IBM zur Lieferung von 8100-Maschinen für ihr internes Netz und die Festlegung der baden-württembergischen Landesregierung auf die DCA/DIA-Standards des Marktführers im Rahmen ihres Landessystemkonzepts .

Um künftig derartigen Entscheidungen vorzubeugen, braucht das BMFT freilich die Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI), das generell für das gesamte öffentliche Auftragswesen zuständig ist. Bislang vertrat man dort mit dem Hinweis auf die Haushaltsordnungen in Bund, Ländern und Gemeinden, den Grundsatz, bei Beschaffungen von DV- und Kommunikationsequipment müsse nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgegangen werden. In der Regel führte dies, insbesondere bei Folgeaufträgen, angesichts der notorisch knappen öffentlichen Kassen allerdings dazu, daß man sich auf lange Sicht aus Kostengründen nur noch innerhalb einer Herstellerarchitektur bewegte.

Allem Anschein nach deutet sich jetzt im Wirtschaftsministerium zumindest eine modifizierte Haltung in puncto "Wirtschaftlichkeit" und Orientierung an OSI-Normen an. Man habe, so heißt es vorsichtig aus Bonn, angesichts der "Besonderheiten des DV-Marktes" und der Dominanz eines großen Herstellers darüber nachzudenken begonnen, "ob der Bereich der Kommunikationsanwendungen nicht ein so spezieller Fall sei, daß sich auch die öffentlichen Anwender aus eigenem Interesse verstärkt dieser Normen für offene Systeme bedienen."

Bei diesem Prozeß des Nachdenkens mochte sich das Wirtschaftsministerium nicht allein von den vom Forschungsressort propagierten Migrationsplan inspirieren lassen. So wurden die beiden Industrieverbände VDMA und ZVEI um Stellungnahmen zum Thema "Bindung an Normen bei der öffentlichen Beschaffung" angegangen.

Beide Interessenvertretungen der informationstechnischen Industrie - im VDMA überwiegend die DV-Hersteller, im ZVEI die Telekom-Anbieter - äußerten sich grundsätzlich positiv - allerdings mit einem gewichtigen Unterschied: Der VDMA möchte nur die OSI-Normen zur Grundlage der öffentlichen Beschaffung machen, die bereits durch ISO und CCITT international abgesegnet wurden. Der ZVEI dagegen plädiert dafür, auch die bereits durch die europäischen Standardisierungsgremien CEN/CENELEC verabschiedeten "Europäischen Normen zur versuchsweisen Einführung (ENV)" und "Europäischen Normen (EN)" verbindlich festzuschreiben.

Dabei beruft er sich auf die Brüsseler EG-Kommission, die genau diese

Normen - die eine Auswahl der wesentlichen OSI-Standards darstellen - für alle öffentlichen Beschaffer in der europäischen Gemeinschaft rechtlich verbindlich machen will.

Bisher allerdings scheiterte diese Initiative am Einspruch der Bundesregierung beziehungsweise am Wirtschaftsministerium als deren Vertreter im EG-Industrieministerrat. Im September soll das Thema jedoch neuerlich zur Sprache gebracht und diskutiert werden.

Die ZVEI-Stellungnahme könnte hier Ansatzpunkte für einen Kompromiß auf EG-Ebene wie im nationalen Bereich liefern. Neben dem Grundsatz, für Kommunikationsanwendungen künftig EN oder ENV zum Gegenstand von öffentlichen Ausschreibungen zu machen, enthält das dreiseitige Papier auch fünf Regelungen für Ausnahmefälle. Diese sind vertretbar:

a) Wenn es sich lediglich um Ersatz für Erzeugnisse nach älteren Spezifikationen handelt. Eine entsprechende Begründung ist in die Ausschreibungsunterlagen aufzunehmen.

b) Wenn die zu installierenden Kommunikationsanwendungen mit bereits vorhandenen und in Betrieb befindlichen Anwendungen eng korreliert sein werden. Eine entsprechende Begründung ist in den Ausschreibungsunterlagen anzugeben.

c) Wenn sich nach sorgfältiger Prüfung des Marktes zeigt, daß kein Angebot zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen auf Basis der verabschiedeten Funktionsnormen zu erwarten ist. In diesem Fall sind die Gründe der Beschaffungsentscheidung aktenkundig zu machen.

d) Wenn zum Ausschreibungszeitpunkt die Funktionsnormen noch nicht verabschiedet sind und ihre Fertigstellung auch bis zum Beschaffungszeitpunkt nicht zu erwarten ist. In den Ausschreibungsunterlagen ist zu fordern, daß ein Migrationsplan aufgestellt wird, der beschreibt, bis wann und mit welchen Mitteln der Übergang zu einer Lösung vollzogen wird, die den in Aussicht befindlichen Funktionsnormen entspricht. Ein solcher Migrationsplan ist auch in den anderen, vorstehend genannten Fällen - soweit möglich - anzustreben.

e) Wenn im Rahmen der geplanten Anwendung nur eine individuelle Problemlösung denkbar ist. Eine entsprechende Begründung ist in den Ausschreibungsunterlagen anzugeben.

Die speziellen technischen Bedingungen sollen - soweit irgend möglich - im Rahmen des OSI-Beschreibungsmodells spezifiziert werden.