Sprachlos ins Informationszeitalter

19.05.1995

Hadi Stiel PR-Manager, Telemation Gesellschaft fuer Datenuebertragung mbH, Oberursel

Als die Keilschrift den alten Aegyptern bildhaft von Gott und der Welt erzaehlte, rueckte wohl jedem Zeitgenossen die Botschaft plastisch vor Augen. Mit Altgriechisch und Latein erreichte man dann spaeter, dass fast nur noch innerhalb der Wissenschaften schriftlich kommuniziert werden konnte. Heute koennen wir sagen: Wir haben es geschafft. In den meisten Fachmedien der Informationstechnik wird so geschrieben, dass nur noch Auserwaehlte sich verstehen und der Rest der Welt vor einem Buch - Entschuldigung, vor einem Heft mit sieben Raetseln sitzt.

Wie war dieser Fortschritt zu einem elitaeren Spezialistenslang nur moeglich? Ganz einfach: Man nehme Elemente der englischen Sprache und mische sie beliebig mit deutschen Begriffen: "Cascade Communications hat fuer den Multiservice-WAN-Switch B-STDX 9000 ein Switched Megabit Data Service (SMDS) Data Exchange Interface (DXI) Switching-System vorgestellt." Und weil auch in der Sprache kuenstlerische Ambitionen hoch gefragt sind, sollten englische Begriffe, so adaptiert, natuerlich kraeftig gebeugt, gebridgt, gemanagt, gebootet, geswitcht und accountet werden: "Ebene-3- Protokolle koennen geroutet und Ebene-2-Protokolle parallel gebridgt werden, geraeteintern werden alle Pakete schnell durchgeswitcht." Eines ist klar: Zwar mag der direkte Weg zumeist zum Ziel fuehren, der indirekte macht das Sprachgebraeu jedoch viel interessanter. Wen interessiert es schon, dass auch Corporate Networks durch den Bannkreis des eigenen Unternehmens begrenzt sind und schlicht Unternehmensnetze heissen koennten? Corporate Networks - und schon weht der Duft der grossen weiten Systemwelt.

Die Wuerze fuer einen gelungenen Sprachcocktail, der nur begnadeten Eingeweihten schmeckt, sind die Kuerzel. Sie sagen kurz und buendig, was in den seltensten Faellen eine Botschaft wert ist. So heisst CSTA zwar Computer Supported Telecommunications Application, aber nichts anderes wie: das Telekommunikationsprogramm laeuft auf einem Computer - welcher Fortschritt!

Nichts wird scheinbar so schnell geboren wie ein neues Kuerzel. Wer bei dieser Geburtenexplosion am Ball, das heisst am Buchstaben, bleiben will, hat alle Hirnwindungen voll zu tun - kann aber dann als absoluter Spezialist gelten.

Dabei muessen Kuerzel nicht immer kurz sein. Der intellektuelle Reiz verhaelt sich proportional zur zunehmenden Laenge. Wer koennte schon der Herausforderung widerstehen, "Super TCP/NFS 4.0 fuer Windows ist ein 32-Bit-, VxD-, TCP/IP-, NFS- und NetBIOS-Produkt, das optimale Performance bietet", ein fuer allemal zu entschluesseln und in Volltext zu wandeln.

Viele solche Raetsel bleiben und bieten ausreichend Platz fuer Profilierung und weitere Ausgrenzung. Beispielsweise waere zu ergruenden, wieso unsere Epoche eigentlich Informationszeitalter heisst, wenn vorwiegend mit Sprachhuelsen und Fragmenten hantiert wird. Einige preschen vor und halten das Kommunikationsmedium bereits fuer die Botschaft - damit ist die Informationsproblematik natuerlich vom Tisch. Unverbesserliche der alten Schule, die die Medien partout immer noch als Foren fuer ihre Produkte und Dienstleistungen sehen wollen, koennten freilich auch darueber sinnieren, ob die Sprache ueberhaupt den Markt findet.

Noch tummeln sich teure Anzeigen zwischen mehr oder weniger verstaendlichen Beitraegen. Die Inserate koennten anzeigen, dass Hersteller und Dienstleister mit dem Fachmedium immer noch die Breite des Marktes suchen.

Argwohn steigt auf. Vielleicht sind es doch die Unverbesserlichen, die recht damit haben, dass Kolumnen und Magazinseiten nicht als Profilierungsarena fuer Systemspezialisten, sondern tatsaechlich als Informationsforum fuer die Leserschaft dienen sollten?

Gruende fuer eine verstaendlichere Botschaft gaebe es genug. So wuerde gern auch das Unternehmens-Management mitreden respektive -lesen, wenn ihm Entscheidungen immer groesseren Ausmasses in bezug auf die Informationstechnik abverlangt werden. Wie, wenn Siegfried Voegele, Studienleiter an der Bayerischen Akademie fuer Werbung, auch fuer den redaktionellen Teil recht behalten sollte? Er hat mit einer Augenkamera beobachtet, dass der Betrachter bei der grundsaetzlichen Auswahl der Informationen maximal zehn Haltepunkte auf einer Seite fixieren kann, auf denen er jeweils nur 0,3 Sekunden verweilt. Derweil der Systemeu-

phoriker davon ausgeht, dass sich der Leser im deutschen Blaetterwald muehselig durch unverstaendliche Kuerzelkolonnen, deutsch-englischen Sprachwirrwarr und unueberwindliche Schachtelsaetze seitenabwaerts zwaengt - ob er in der Praxis nicht nach dem dritten Haltepunkt frustriert aussteigt? Wenn die Theorie von Professor Voegele stimmt, dann sagt vor allem auch jeder potente Manager mit mehr oder weniger prall gefuelltem Budget dem Zeitungsangebot schnell ade.

Wenn es das ist, was wir wollen, sollten wir so weitermachen.