Spielerisch Stress abbauen

24.06.2008
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Noch immer im Büro? Dann ab zum Joggen. Hilfe in Sachen Entspannung und Work-Life-Balance können sich Gestresste jetzt bei einem virtuellen Coach holen.

Berater und Softwareentwickler leiden im Vergleich zum durchschnittlichen Arbeitnehmer bis zu viermal so häufig unter psychosomatischen Beschwerden wie chronische Müdigkeit, Nervosität, Schlafstörungen und Magenbeschwerden. Das ergab ein Gesundheitsreport des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung an der Rhein-Ruhr-Universität Essen und Duisburg.

Wer den Stress bekämpfen will, muss selbst die Initiative ergreifen und kontinuierlich an sich arbeiten. Antonella Lorenz, Chefin der Freisinger Softwarefirma Lorenzsoft, weiß aber, dass das nicht so einfach ist: "Natürlich gibt es viele Bücher über Stressabbau. Die kann man lesen, ist aber damit allein gelassen. Man kann sich auch von einem persönlichen Coach beraten lassen, was jedoch sehr teuer ist." Viele Unternehmen, die sich mit Gesundheits-Management befassen, stellen im Intranet Material zu Stress und Stressabbau zur Verfügung, gut angenommen werden die Angebote selten. Darum hat sich Lorenz mit ihrer Mannschaft und unter fachlicher Begleitung des Münchner Psychologieprofessors Engelbert Fuchtmann ein Softwareprogramm (www.stress-ecoaching.de) ausgedacht, das spielerisch mit dem Thema umgeht und mit den Gestressten in einen Dialog tritt.

Am Anfang von Relaxx, so der Name des virtuellen Stress-Managers, steht nicht die Information, sondern die Tat. Die Teilnehmer wählen tägliche, wöchentliche und monatliche Übungen aus, um ihren Stress abzubauen. Eine tägliche Übung könnte eine "Blitzentspannung" am PC sein: Man schließt die Augen und ruft positive Bilder aus dem Gedächtnis ab. Als wöchentliche Aufgabe könnte man sich Joggen, als monatliche Aufgabe einen Theater- oder Konzertbesuch vornehmen. Der Mitarbeiter protokolliert, was er getan hat. "Wenn er dann zum Beispiel nie Joggen geht, obwohl er es sich vorgenommen hat, liefert ihm das Programm eine Wissenseinheit, was Sport bringt", erklärt Lorenz. Zu jeder Information wird auch ein kleines Quiz angeboten, der virtuelle Stresscoach gibt regelmäßig per Mail oder SMS Feedback. Zudem können sich die Teilnehmer in einem Chat-Raum austauschen. Eine "Kompetenzkurve" zeigt an, was der Teilnehmer über Stress weiß. Eine "Befindlichkeitskurve" verdeutlicht dem Teilnehmer, wie es ihm geht.

Da sich Stress nicht von heute auf morgen abbauen lässt, ist das Programm auf mindestens drei Monate angelegt. Damit die Teilnehmer über diesen Zeitraum dranbleiben, kann man auch mit Belohnungen arbeiten. "Eine Belohnung muss nicht materiell sein", sagt Antonella Lorenz. Die Pilotgruppe, die Relaxx vor der Marktreife testete, freute sich über ein Bild auf dem Handy, sobald ein Meilenstein erreicht war. So ist für den einen die Fahrt im Porsche, für den anderen ein Ausflug mit der Familie erstrebenswert. "Die Unternehmen können Belohnungen reinstellen und sich dafür Sponsoren suchen", so Lorenz.

Ein wichtiger Punkt ist laut Lorenz, dass Mitarbeiter anonym und auch von zu Hause aus den virtuellen Stresscoach nützen können. Das Unternehmen, das das Programm einsetzt, erhält nur statistische Auswertungen auf Abteilungsebene, die Einzelergebnisse verbleiben beim Mitarbeiter. Eine Grenze zieht Lorenz auch in Sachen Zielgruppe: "Der virtuelle Stresscoach kann nicht bei Burnout oder in anderen schweren Fällen helfen." Sie warnt auch vor der Hoffnung auf schnellen Erfolg: "Nach dem Stressabbau ist vor dem Stressabbau. Das ist ein kontinuierliches Thema."

Dazu kommt, dass viele Mitarbeiter nicht auf den ersten Blick erkennen können, was sie belastet. Der Münchner Psychologe Engelbert Fuchtmann spricht hier von verkannten Stressoren am Arbeitsplatz. So können Kränkungen oder die Angst vor dem eigenen Versagen viel mehr an die Nieren gehen als etwa eine rein körperliche Belastung durch zu viele Überstunden. Für Fuchtmann ist es entscheidend zu erkennen, was einen körperlich oder seelisch belastet. Erst dann könne man versuchen, dagegen vorzugehen. Genau hier setzt auch das Stressprogramm an: Es soll dem Mitarbeiter Orientierung geben, "den Gestressten sehend machen und in die Lage versetzen, allein wieder aus dem Labyrinth herauszufinden".

Was im Job am meisten stresst

Überstunden ohne Ende, Druck durch den Chef. Stress kann klare Ursachen, aber auch nicht sichtbare Auslöser haben. Hier die wichtigsten verkannten Stressoren am Arbeitsplatz.

Angst vor Versagen

Wer sich überfordert fühlt, ist angespannt. Wenn geforderte Leistung und eigenes Leistungsvermögen auseinanderklaffen, gelingt es den wenigsten, das Ganze im positiven Sinne als Herausforderung zu begreifen. Vielmehr wächst die Angst vor Misserfolg, Versagen und letztlich vor beruflichem Rückstand. Psychologen sprechen hier von der Defizitfalle.

Beachtungssucht

Während die einen ihr Licht unter den Scheffel stellen, sind die anderen süchtig danach, dass sie und ihre Leistung beachtet werden. Bei Führungskräften kommt das nicht selten vor. Zugrunde liegt eine unrealistische Bewertung des Selbst: Betroffene idealisieren die eigene Person, sind narzisstisch, überschätzen sich oder haben Minderwertigkeitsgefühle. Auch äußere Ursachen spielen eine Rolle: Man erwägt den Nutzen für die eigene Karriere, getreu dem Motto "Wer im Licht steht, kommt vorwärts."

Kränkung

Kränkungen und Missachtungen können an den Nerv der Person gehen, weil sie die innere Balance gefährden. Kränkungen stellen einen Entzug von Fremdbeachtung dar, der unmittelbar die Selbstachtung der Person angreift. Es kommt dabei häufig zu Reaktionen wie Traurigkeit, Wut, Aggressivität und Feindseligkeit.

Fremdbestimmung

Der eigene Handlungsraum kann empfindlich eingeengt werden, etwa durch unrealistische Vorgaben des Vorgesetzten. Allerdings sollte man den eigenen Spielraum im Kontext mit den Spielräumen anderer sehen, um keinen übertriebenen Ansprüchen in Sachen Selbstbestimmung anzuhängen.

Gestresste Mitarbeiter haben schlechte Chefs

Wer gestresst ist, fühlt sich oft ausgeliefert. Dabei können Mitarbeiter einiges an ihrer Lage verbessern, ist Professor Engelbert Fuchtmann, der an der Fachhochschule München Psychologie lehrt, überzeugt.

CW: Wie entsteht Stress?

FUCHTMANN: Es gibt äußere Umstände, aber Stress entsteht im Kopf. Der Mensch bewegt sich selbst in die Stressgeschichte hinein.

CW: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

FUCHTMANN: Wenn ein Mitarbeiter hohe, eigentlich unerfüllbare Zielvorgaben erfüllen muss, denkt er sich "Das kann ich gar nicht schaffen" und hechelt diesen Forderungen immer hinterher, was den Stress noch vermehrt. Falsch ist es, wenn so jemand mit niemandem über das Problem spricht und alles in sich hineinfrisst. Stattdessen sollte er das Gespräch mit seinem Chef suchen und gemeinsam überlegen, was man tun kann, um die Vorgaben zu erreichen. Kann man zum Beispiel die Verkaufsbedingungen oder andere äußere Faktoren verbessern? Aber leider findet eine solche Analyse in den wenigsten Firmen statt. Die Abteilungsleiter wälzen die ganze Last auf den Mitarbeiter ab, nach dem Motto "Du hast es allein in der Hand." Die Folge ist, dass der Mitarbeiter die Probleme nur bei sich sucht und das Ganze nicht mehr kontrollieren kann.

CW: Was machen gute Manager anders?

FUCHTMANN: Gute Führung entlastet Mitarbeiter. Sie gewinnen dadurch wieder Handlungsraum und die Kontrolle über ihr eigenes Tun. Wichtig ist auch der soziale Rückhalt im Team: Zu sehen, dass die anderen auch nur mit Wasser kochen oder gestresst sind, ist tröstlich.

CW: Wie können Coaching-Programme Gestressten helfen?

FUCHTMANN: Coaching gibt den Mitarbeitern Fäden an die Hand, um aus dem Labyrinth herauszufinden. Ziel ist es, dass der Mitarbeiter die Arbeitswelt anders sieht und besser wahrnimmt, was ihn körperlich und seelisch belastet. Manchmal heißt die Konsequenz auch: Der Job überfordert mich. Viele Leute geraten auch deshalb in Stress, weil sie ihre Arbeit nicht routiniert genug machen, weil ihnen der Überblick fehlt. Wenn ein Mitarbeiter seine Arbeit besser zu organisieren vermag, kann er sich Pufferzeiten erwirtschaften.

CW: Was raten Sie Menschen, die ihren Stress am Arbeitsplatz trotz aller Anstrengungen nicht reduzieren können?

FUCHTMANN: Diese Menschen sollten sich fragen, ob nicht weniger mehr ist. Welchen Preis zahle ich für den Job? Muss ich immer die Prämien bekommen? Wo ist der Mehrwert? Oft liegt dieser nicht in noch mehr Geld.