Was ist dran am Superprogramming?

Spezielle Denkweisen en zum SW-Produktionsgewinn

06.04.1990

Durch einen optimierten Gebrauch des menschlichen Gehirns ist die Produktivität in der Software-Entwicklung massiv steigerbar. Superprogramming nutzt die funktionelle Zweiteilung des menschlichen Großhirns sowie verschiedene Disziplinen der Arbeitsmethodik.

Was aber ist Superprogramming? Auch Sie kennen wahrscheinlich Geschichten wie diese: Ein Programmierer setzt sich eines Abends an sein Terminal und gerät plötzlich in einen Zustand phänomenaler Leistungskraft. Nicht nur eine Nacht lang, sondern über Wochen und Monate bringt dieser Mensch eine beachtliche Leistung. Er ist zehnmal so schnell wie andere und erstellt gleichzeitig den besseren Code. Seine Fehlerquote ist geringer und die Programme sind besser dokumentiert. Dieses Phänomen nennt man Superprogramming.

Vor Jahren schon begannen sich aufgeschlossene Forscher für derart hochproduktive Programmierer zu interessieren. Mit Interviews und Einzelbeobachtungen wurden die Bestandteile des Phänomens Superprogramming zutage gefördert.

Man stellte fest, daß Spitzenprogrammierer hohe ästhetische Ansprüche an ihre Programme stellten. Man fand heraus, daß sie zu plastischem, bildhaftem Denken neigen und daß sie nicht sequentiell, sondern strukturübergreifend denken. Große Programmteile werden schon in Gedanken fertiggestellt und dann einfach nur ausgespült. Superprogramming basiert also auf einer ganz bestimmten, ungewöhnlichen Art zu denken.

Gleichzeitig ist auch ein veränderter Bewußtseinszustand zu beobachten. Von einem Zustand positiver Anspannung, von verstärkter körperlicher Aktivität und gleichzeitig von einem sehr angenehmen Glücksempfinden wird berichtet. Oft spricht man von Trance-Programmierern.

So also äußert sich Superprogramming. Wenn wir aber genauer wissen wollen, was es damit auf sich hat, dann müssen wir schon etwas tiefer einsteigen in die Funktionen unseres Gehirns.

Ein Ausflug in das menschliche Gehirn

1981 wurde dem Amerikaner Roger Sperry der Nobelpreis für Medizin verliehen. Sein Verdienst waren bahnbrechende Forschungen auf dem Gebiet der mittlerweile sehr populären Hemisphärentheorie des Gehirns.

Das menschliche Großhirn teilt sich in zwei Hälften, und die Hemisphärentheorie besagt: Es ist nicht nur äußerlich, sondern auch funktional zweige teilt. Sperry ist es erstmals gelungen, die Art dieser Unterschiede zu präzisieren.

Grob vereinfacht ist die linke Gehirnhälfte für verbales, logisches und lineares Denken zuständig. Die rechte Hemisphäre denk ganzheitlich, strukturübergreifend und bildhaft. Bei, de Seiten verfügen über ein eigenes Gedächtnis und vermögen selbständig zu arbeiten.

Verschieden befähigte Gehirnhälften sind zur Lösung unterschiedlicher Aufgaben verschieden gut geeignet. Ein Mechanismus sorgt deshalb dafür, daß jeweils die geeignetere Hälfte die Bearbeitung einer Denkaufgabe übernimmt. Zu jedem Zeitpunkt beherrscht nur eine Gehirnhälfte den Denkprozeß.

Die rechte Gehirnhälfte ist Sitz der Kreativität. Die berühmte Geschichte des Chemikers Kekulé, der angeblich erst im Halbschlaf am Kaminfeuer mit Hilfe traumartiger Bilder die Strukturformel des Benzols entschleierte, belegt sehr schön, daß beim normalen Denken die rechte Gehirnhäute nicht zum Zuge kommt.

Dieser Auswahlmechanismus wird von Kultur und Erziehung empfindlich gestört. So kommt es, aß im westlichen Kulturkreis oft die linke Gehirnhälfte Aufgaben übernimmt, die zum ureigensten Betätigungsfeld der rechten Hemisphäre gehören. In der Auflösung solcher Fehlzuordnungen und nicht in neuen Fähigkeiten liegt der Schlüssel zu dem beschriebenen Produktivitätsgewinn gerade bei der Softwareproduktion.

Programmieren gehört zu den typischen Denkformen mit ausgeprägten Fehlzuordnungen. Nicht sequentielles sondern strukturübergreifendes Denken ist das Hauptmerkmal eines hochproduktiven Programmierstils. Die ganze Ausbildung eines Programmierers erfolgt über die Ausdrucksmittel und Denkformen der linken Gehirnhälfte. Computerprogramme sind aber nicht nur logische und sequentielle, sondern in erster Linie strukturgeprägte Objekte. Grob vereinfacht ist Superprogramming das Programmieren mit der rechten Gehirnhälfte.

Programmieren ist jedoch undenkbar ohne die logisch ordnenden Funktionen der linken Hemisphäre. Es kommt also darauf an, nicht vom einen Extrem ins andere zu wechseln. Ein Spitzenprogrammierer benötigt die Funktionen beider Gehirnhemisphären in einem ausgewogenen Verhältnis. Wo immer diese Ausgewogenheit verletzt ist, leidet die Produktivität.

Der Grad der Aufgabenteilung zwischen den beiden Teilen des Großhirns, die Lateralisierung, ist genetisch vorgegeben und wohl kaum veränderlich. Die Bevorzugung der einen oder anderen Gehirnhälfte, also die Struktur des Denkens, ist dagegen beeinflußbar. Denkprofile unterliegen ständiger Veränderung. Jeder Beruf fördert spezielle Denkweisen und läßt andere verkümmern.

Ist Superprogramming überhaupt erlernbar?

Denkprofile sind wertfrei. Erst im Zusammenhang mit einer Aufgabe erweisen Sie sich als untauglich oder überlegen. Beim nächsten Problem kann sich die Lage völlig umkehren.

Die allmähliche Verformung des Denkprofils nehmen wir nicht wahr. Sie erfolgt langsam und unsystematisch. Man hat aber mittlerweile herausgefunden, daß durch gezieltes Training eine langfristige Verschiebung des gesamten Denkprofils erreichbar ist. Krasse Fehlzuordnungen können in sehr kurzer Zeit behoben werden.

Ziel einer Trainingsmaßnahme muß sein, das Dominanzgefüge des Gehirns auszugleichen, um die natürliche Zuordnung der richtigen Hemisphäre zur richtigen Aufgabe zu gewährleisten. Das Gehirn braucht Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist nützlich, mangelhaft ausgebildete Denkfunktionen zu fördern. Damit allein ist aber die Reaktivierung der natürlichen Ausgleichsfunktion nicht zu erreichen. Gehirntraining ist deshalb kein trivialer Vorgang.

Wir Menschen sind glücklicherweise sehr verschieden. Auch die Stärken und Schwächen des Gehirns wurden uns nicht mit der Apothekerwaage zugeteilt. Insofern kann man auch von einer deutlich besseren Nutzung des Gehirns noch keinen künstlichen Einstein erwarten.

Ebensowenig wird man regelmäßig die Produktivität naturbegabter Spitzenprogrammierer durch willentliche Steuerung der Denkvorgänge erreichen. Doch auch Verbesserungen um den Faktor zwei, ja selbst um dreißig Prozent, lohnen allemal die Mühe eines intensiven Trainings.

Methoden für gezielten Dominanzwechsel

Wir können durch Training einen langfristigen Dominanz-Ausgleich erreichen und die Voraussetzungen zum Superprogramming verbessern. Das wurde bereits klar. Für den gezielten Dominanzwechsel gibt es aber noch weitere Methoden. So kommt beispielsweise in Betracht, nicht m erster Linie das Denkprofil zu verändern, sondern unmittelbar beim Programmeren willkürlich die Dominanz der rechten Gehirnhemisphäre zuzuteilen.

Wie funktioniert diese willkürliche Umschaltung zwischen den beiden Gehirnhälften? Wie kann man grundsätzlich die Machtverteilung zwischen zwei verschieden Instanzen beeinflussen? Die Antwort ist einfach: Man kann die eine schwächen, die andere stärken, oder beides gleichzeitig tun. So logisch das aber klingt: Die effektvollste Möglichkeit haben wir übersehen: Wir können auch die stärkere Instanz veranlassen, sich für die gerade schwächere zu halten.

Dieser Effekt ist einfach erzielbar: Wir überfordern durch eine völlig ungeeignete Aufgabe die linke Hemisphäre, so daß diese spontan die Vorherrschaft abgibt. Wenn man nicht gleichzeitig auch die rechte Seite überfordert, dann übernimmt diese die Steuerung. Ein allgemeinverständliches Beispiel soll das verdeutlichen:

Beim Zeichnen eines Portraits kann die linke Hemisphäre dominieren. Sie zeichnet dann nicht das Modell, so wie es ist, sondern stückelt mehr oder weniger geschickt symbolisch behaftete Komponenten aneinander. Die Zeichnung wird schlecht. Dominiert dagegen die rechte Hemisphäre, dann zeichnet sie genau das, was das Auge wahrnimmt. Sie vermag unmittelbar in sensorischen Bildern zu denken. Deshalb wird die Zeichnung gut.

Mit einem einfachen Trick entziehen wir der linken Hälfte die Möglichkeit zum symbolischen Denken: Wir stellen die Vorlage auf den Kopf. Die linke Seite erkennt keine Symbole mehr und gibt die Vorherrschaft ab. So kann jeder besser zeichnen.

Wer von sich glaubt, er könne nicht zeichnen, begründet dies meist mit einem Mangel an Übung, mit fehlender Fingerfertigkeit beispielsweise. Betrachtet man jedoch die Handschrift des Zweiflers, dann hat man den Beweis, daß er völlig problemlos millimetergenau und mit phantastischer Geschwindigkeit seine Striche zu setzen vermag. Nicht die Fingerfertigkeit entscheidet, sondern der richtige Gebrauch des Gehirns!

Beim Programmieren stehen wir vor demselben Effekt. Jeder professionelle Programmierer beherrscht seine Arbeit gut genug, um die gleichen Programme zu erstellen wie ein naturbegabter Spitzenprogrammierer. Der Unterschied liegt nicht im Prinzip, sondern in der Schnelligkeit und Qualität. Den Fortschritt bringt nicht der Kenntnisstand sondern erst der optimale Gehirngebrauch.

Die recht spärliche Literatur zum Thema Superprogramming, sozusagen der Stand der Technik auf diesem Gebiet, geht davon aus, daß ein Dominanzwechsel im Gehirn genügt. In der Tat ist das ein erster, wichtiger Schritt. Aber er ist nicht der einzige!

Neben Übungen zur unmittelbaren Umkehrung der Dominanzlage muß vor allem das bildhafte Denken direkt beim Programmieren konsequent eingeübt werden. Die Modellbildung für Programm- und Datenstrukturen läßt sich mit speziellen Übungen gezielt fördern. Es ist wichtig, die Kunst der Visualisierung zu beherrschen, Modellkonstruktionen farbig, räumlich und dynamisch zu sehen. Erst durch ein gezieltes Training wird daraus ein natürlicher Vorgang.

Jeder Programmierer nutzt bildhafte Modelle als Denkhilfe, doch nur sporadisch wird dabei tatsächlich die Dominanz der richtigen Gehirnhälften hergestellt. Hilfsmodelle sind meist äußerst abstrakt, und sie sind in der Regel weder räumlich noch farbig. Außerdem sind sie nicht "Filme" sondern "Dias".

Nicht auf bildhafte Datenmodelle beschränkt

Superprogramming geht aber noch weiter: Das visuelle und strukturelle Denken darf sich nicht auf den Gebrauch bildhafter Datenmodelle beschränken. Der Programmtext selbst kann rechtshirnig verarbeitet werden. Auf der nächsten Stufe muß also der bildhafte Eindruck und die visuell mitgeprägte Verarbeitung des Progammtextes im Gehirn des Lernenden Einzug halten. Diese Denkweise ist die Basis einer strukturell dominierten Programmkomposition unter der Regie der rechten Hemisphäre.

Man kann sich den Umweg über komplexe Daten. und Funktionsmodelle oftmals sparen, wenn man auf das Beispiel des Zeichnens zurückgreift: Stellen Sie sich vor, Ihr Programmtext würde um eine Mittelachse rotieren oder sich räumlich verformen. Zu dieser Vorstellung ist die linke Hemisphäre nicht in der Lage. Die rechte Seite übernimmt die Steuerung des Denkvorgangs. Mit einiger Übung kann man diesen Zustand aufrechterhalten, Rechts. dominantes Denken ist also in Sekundenschnelle erreichbar.

Ein optimiertes Denkprofil und Techniken zum gezielten Dominanzwechsel im Gehirn reichen immer noch nicht aus, um Superprogramming zu erreichen. Zu lernen sind zusätzliche Funktionen zur Steuerung der eigenen Denkprozesse. Techniken zur gleichförmigen und soliden Motivation gehören ebenso dazu wie beispielsweise die Kunst eines "zeitfreien" Arbeitens.

Das Denken mit dem rechten Gehirn geschieht weitgehend streßfrei, ja es hat sogar regulierende Wirkungen. Gehirngerechtes Programmieren führt zu einem angenehmen Arbeiten, das über lange Zeitspannen bei voller Leistungskraft aufrecht erhalten werden kann. Es ist nicht nur besonders produktiv, sondern darüber hinaus auch besonders gesund.

Wer mit noch so hoher Geschwindigkeit die falschen Aufgaben löst, ist kein Superprogrammierer und wer mit brennenden Augen programmiert oder den Zeitgewinn anderweitig verschleudert, der ist es ebenfalls nicht.

Gehirngerechtes Programmieren allein garantiert noch nicht einmal ein Superprogramming im engsten Sinne. Schon dazu sind vielerlei weitere Voraussetzungen und Methoden notwendig. Das gekonnte Setzen motivierender Ziele gehört ebenso dazu wie systematische Störungsbeseitigung, Streßbekämpfung, Motivation oder der Schutz der Augen bei der Bildschirmarbeit. Ohne die Fähigkeit zum zeitfreien Arbeiten kann Superprogramming nicht funktionieren.

Was beim naturbegabten Superprogrammierer durch Gewohnheit und persönliche Glücksfälle von alleine funktioniert, erfordert beim erlernten Superprogramming eine Einbettung in ein arbeitsmethodisches Umfeld. Viele Fertigkeiten und Trainingsstoffe, die heute noch aufgeschlossenen Managern vorbehalten bleiben, müssen zwangsläufig Einzug am Arbeitsplatz des Programmierers halten.

Der Schutz der Augen bei der Bildschirmarbeit wird oft vernachlässigt. Schon die Beherrschung einfachster Augenübungen kann bei geringstem Zeitaufwand einen spürbaren Beitrag zur Gesundheit der Augen leisten. Jeder, der auch nur einige Stunden in der Woche am Bildschirm sitzt, sollte solche Übungen kennen und nutzen.

Gerade einfachen Programmierern fehlen oft die elementarsten Grundkenntnisse strategischen Denkens. Ein effektives Zeitmanagement, fundierte Kreativitätsmethoden und eine effiziente Selbstorganisation gehören ebenfalls zum Repertoire der Arbeitsmethoden, die Programmierer und erst recht DV-Leiter beherrschen sollten.

In einem erweiterten Sinne gehört daher die Beherrschung von Arbeitsmethoden- aus verschiedenen Disziplinen so eng zum Superprogramming wie die Software zum Computer. Dieser Zusammenhang wird heute meist übersehen. So verwundert es nicht, wenn ein Gehirntraining in der anfänglichen Begeisterung greifbare Erfolge zeigt, der Effekt aber zusehends schwindet, weil nie die Fähigkeit erworben wurde, sich immer neu zu motivieren.

"Gehirngerechte" Tools gibt es bereits

Superprogramming verbessert die Leistung, und bessere Leistung ist gefragt. Die optimale Nutzung des Gehirns bleibt also ein wichtiges Ziel, und die Erkenntnisse über Superprogramming werden sich weiter verbreiten.

"Gehirngerechte" Tools sind im Software-Engineering bereits eine Erscheinung der Gegenwart. Grafische Unterstützung wird ein unverzichtbares Merkmal guter Editoren und Debugger werden. Nicht nur die statische, sondern auch die dynamische Abbildung von Datenstrukturen bei Testläufen wird eines Tages Standard sein. Programmierer, die eng an der Schwelle zum Superprogramming stehen, können schon allein dadurch ihre Leistung enorm verbessern.

Das arbeitsmethodische Umfeld des Superprogramming muß verbessert werden. Vieles vom Lernstoff gängiger "Selbst-Management-Kurse ist für EDV-Berufe nur eingeschränkt brauchbar. Hier lassen sich noch große Produktivitätsreserven mobilisieren.

Softwareproduktion ist in Volkswirtschaft und Einzelunternehmen zu einem wichtigen Kosten- und Nutzenfaktor geworden. Eine Produktivitätssteigerung auf diesem Sektor ist von größter wirtschaftlicher Bedeutung. Kein zukunftsorientiertes Unternehmen kann ernsthaft daran denken, auf die Chancen des Superprogramming zu verzichten.

Bruno Klumpp, Oberkirch-Tiergarten, ist EDV-Leiter und Verfasser des Buches: Superprogramming - Mehr Erfolg im EDV-Beruf, IWT-Verlag, Vaterstetten. Außerdem bietet der Autor Seminare an.