Spekulation mit Netz

20.10.1989

ADV/Orga war bis vor wenigen Jahren das größte unabhängige deutsche Softwarehaus. 1987 geriet das Unternehmen in eine Vertrauenskrise, die Ende 1988 zum Wechsel des Vorstands und Mehrheitsaktionärs führte. In die Bresche sprang seinerzeit die Commerzbank, die seitdem über den Besitz der Stammaktien (51 Prozent des Grundkapitals) das Unternehmen beherrscht.

Die operative Ursache für den Vertrauensverlust lag zum Teil in der Trennung vom früheren Lizenzgeber Cullinet. Hinzu kam eine Informationspolitik des ehemaligen

Vorstandsvorsitzenden, welche die Aktionäre zu lange im unklaren über die problematische Entwicklung bei ADV/Orga ließ.

Die Commerzbank sieht ihr Engagement bei ADV/Orga als Dauerengagement. Dennoch würde man die Aufnahme eines branchenerfahrenen Partners begrüßen. Auch in diesem Zusammenhang sollte die Erhöhung des Stammkapitals uni 5 auf 20 Millionen DM gesehen werden. Mit 51 Prozent war der Anteil der stimmberechtigten Stammaktien am Grundkapital knapp bemessen. Die Gestaltungsfreiheit bei der Hereinnahme neuer Partner wurde durch die Kapitalerhöhung erweitert.

Auffällig ist, daß die Stammaktien der ADV/Orga auf dem Kursniveau von 150 DM gestützt werden. Die Commerzbank betreibt hier offensichtlich Kurspflege. Wer auf diesem Niveau kauft, spekuliert mit Netz.

ADV/Orga hat den Turnaround noch nicht geschafft. Der Verlust des Geschäftsjahres 1988/89 liegt deutlich über den (geschönten) knapp 10 Millionen DM Verlust des Vorjahres. Entscheidend für die weitere Unternehmensentwicklung wird sein, ob das Unternehmen durch Qualität weiter an Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewinnt. Gelingt dies nicht, wird sich das beschriebene Kursnetz bei 150 DM nicht halten können.