Die Festplatte ist nicht der Weisheit letzter Schluß

Speicher- und Archivierungskonzepte: Entscheidungen der Praktiker

07.05.1999
In einem Wettlauf gegen das exponentielle Wachstum der Datenbestände investieren Anwender aus allen Branchen in größere Speicherkapazität ihrer IT-Systeme. Obwohl das Medium Magnetplatte immer leistungsfähiger wird, setzen sich je nach Bedarf auch andere Datenspeicher durch. Immer mehr Anwender befreien ihre Speicher aus den Fesseln proprietärer Rechnerwelten, ihr Ziel ist die plattformübergreifende Lösung für Backup und Datenzugriff. Über neue Konzepte und Lösungen hat sich Johannes Kelch* erkundigt.

In der Hochtechnologie-Forschung entwickeln Wissenschaftler einen wahren Heißhunger auf Speicherplatz. In so manchen Arbeitsgebieten, beispielsweise der Kernphysik, sind Gigabyte nichts als Peanuts.

Das europäische Kernforschungszentrum Cern in Genf hat bereits mehr als 200 TB Daten zu Experimenten mit dem Teilchenbeschleuniger der Einrichtung gespeichert.

1992 wurde der erste Roboter zur automatischen Datenspeicherung installiert. Drei Jahre später kam die nächste leistungsfähigere Generation zum Einsatz. 1998 wurde ein Robotersystem von Storagetek beschafft, dessen Speicherkapazität mit 18000 Magnetband-Kassetten auf 900 TB ausgelegt ist. Gegenwärtig rüstet sich die Physics Data Processing Group von Cern für den Tag X, die Inbetriebnahme eines neuen Teilchenbeschleunigers im Jahr 2005. Die Wissenschaftler erwarten, daß dann allein in einem Jahr ein Petabyte (= 1000 Terabyte) an Daten zusätzlich zum Altbestand zu archivieren sind.

Die Unterstützung dreier Rechnerwelten

Bei derart speicherintensiven Anwendungen sind Magnetbänder auch heute noch die erste Wahl. Die hohe Kapazität macht die mäßige Zugriffsgeschwindigkeit wett - es kann Minuten dauern, bis der Roboter eine Kassette ins Laufwerk transportiert hat und die gesuchten Daten auf dem Medium aufgespürt sind.

Einer der größten Trends in der Informationstechnologie ist gegenwärtig die Befreiung von Speicherlösungen aus den Fesseln der Rechnerwelten und Betriebssysteme. Die konsequenteste Trennung von Rechner- und Speichersystem ist das Storage Area Network (SAN) auf der Basis der Fibre-Channel-Technologie. Solche Systeme befinden sich jedoch erst im Einführungsstadium (siehe Kasten "Ein SAN in der Bewährungsprobe").

Auf dem Weg zu einer eigenständigen, plattformübergreifenden Speicher- und Backup-Lösung hat die R+V Versicherung mit Hauptsitz in Wiesbaden bereits wichtige Meilensteine erreicht. Die Lebens-, Kranken- und Sachversicherung rechnet sowohl mit MVS auf Mainframes als auch mit AIX auf Servern (RS 6000/SP) und Windows NT in einem Client-Server-Umfeld. Um Synergieeffekte zu nutzen, wurde bei dem Unternehmen die Verantwortung für die Speicherung und Sicherung der Daten ab 1997 in eine Hand gelegt. Der Leiter der Abteilung Systemtechnik, Dietrich Schaupp, verfolgte das Ziel, die "drei Welten in einem einzigen System parallel zu unterstützen".

Zu diesem Zweck wurden zwei Symmetrix-Speichersysteme von EMC installiert, deren Kapazität einige TB umfaßt. Die beiden Maschinen, die künstliche Intelligenz in Form von Software mit dem physikalischen Medium Magnetplatte kombinieren, speichern sämtliche Daten aus dem NT- und dem AIX-Umfeld sowie den überwiegenden Anteil der Daten aus dem Mainframe.

Die Symmetrix-Systeme sind in den beiden 350 Meter voneinander entfernten Rechenzentren von R+V angeordnet und über Glasfaserkabel miteinander verbunden. Zur Datensicherung dient die bidirektionale Spiegelung. Dieses Vorgehen hat nicht nur den Vorteil, daß beim Ausfall eines Systems ein zweites, voll funktionsfähiges System zur Verfügung steht. Die Spiegelung führt auch zu einer gleichmäßigen Auslastung der Speichersysteme und somit zu einer besseren Performance des Gesamtsystems. Nach Abschluß der Jahr-2000-Projekte steht nach Auskunft von Schaupp bei R+V das "konsistente plattformübergreifende Backup" auf der Tagesordnung.

In zahlreichen geschäftlichen Anwendungen dominiert als Motiv für die Nutzung von Sekundärspeichermedien wie magneto-optischen Platten die Überwindung der Medienbrüche zwischen Papier und elektronischen Daten. Die Zusammenführung von Papierdokumenten in Form gescannter Images und von Dokumenten, die am Computer erzeugt wurden und bereits in elektronischer Form vorliegen, führt zu hohen Produktivitätsfortschritten in der Verwaltung.

Bei Finanzdienstleistern ist der Verbreitungsgrad "elektronischer Archive", die neben dem Online-Medium Festplatte Daten revi- sionssicher aufbewahren, weit fortgeschritten. Schriftverkehr, Überweisungsbelege, Unterschriften der Kunden und Verträge werden gescannt und in digitaler Form verwahrt, die originalen Papierdokumente vernichtet. Der Vorteil: Alle Dokumente zu einem Vorgang sind in elektronischer Form gespeichert und lassen sich dezentral von beliebig vielen Orten aus einsehen.

Die DEKV Versicherungen mit Hauptsitz in Köln haben ihren zentralen Mainframe-Speicher um ein dezentral organisiertes Archivsystem der Dr. Materna GmbH erweitert. Alle eingehenden Dokumente werden gescannt und dezentral in den Jukeboxen der Regionaldirektionen abgelegt. In Köln landen auch die am Mainframe erzeugten Schreiben über den Computer Output on Laserdisk (Cold) im Archivsystem.

Der Datenaustausch zwischen der Zentrale und den Regional- direktionen läuft über ein Wide Area Network (WAN). Auf diesem Wege lassen sich auch die Dokumente von einem Ort zum anderen übertragen. Eine zentrale Recherchedatenbank in Köln gibt Auskunft über sämtliche gespeicherten Dokumente. Sie ist die Basis dafür, daß die Mitarbeiter je nach Bedarf komplette elektronische Akten oder auch nur einzelne Dokumente einsehen können. Der aktuelle Bearbeitungsstand zu einem Vorgang läßt sich mit diesem Instrument jederzeit erkennen.

Ein Unternehmen, das ein elektronisches Archiv für die sonst unübliche Speicherung von Dokumenten in Farbe nutzt, ist der Haftpflichtverband der deutschen Industrie, kurz HDI genannt. Der HDI entschied sich für das Dokumenten-Management-System "Cosa" der Pulheimer Firma Software Ley und eine ungewöhnliche Lösung für das Scannen der Eingangspost. Alle Dokumente werden mit einem Hochleistungsscanner in Farbe und schwarz-weiß eingelesen, erst danach wird entschieden, in welcher Fassung die Bilder abgespeichert werden. Farb-Images benötigt der HDI vor allem von den eingehenden Farbfotos der Unfallwägen, um das Ausmaß von Schäden eindeutig beurteilen zu können. Um unternehmensweit den Zugriff auf sämtliche Dokumente zu ermöglichen, plant der HDI, die Niederlassungen über Frame-Relay-Technik zu vernetzen und die dezentrale Schadensbearbeitung durch eine zentrale Indexdatenbank unterstützen.

Die CD als kostengünstiges Speichermedium

Auch andere Anwender nutzen Jukeboxen mit magneto-optischen Platten, um die Flut an Informationen zu bewältigen, die sie für ihre Arbeit benötigen oder aufgrund gesetzlicher Bestimmungen aufbewahren müssen. Konstruktionszeichnungen, die ursprünglich auf Papier oder am Rechner erstellt wurden, werden bei immer mehr Maschinenbau-Unternehmen auf magneto-optischen Platten nach dem Muster "Write Once Read Multiple" (Worm) in einer Jukebox archiviert.

Eines von vielen Beispielen ist der Textilmaschinen-Hersteller Volkmann in Krefeld, der ein Archivsystem der SER Systeme AG einsetzt. Die zentrale Archivierung der Zeichnungen setzt dem Wildwuchs der an Arbeitsplätzen dezentral gesammelten Versionen ein Ende. Alle Ingenieure haben Zugriff auf den gleichen Bestand an Zeichnungen, Änderungen gehen ebenfalls in den firmenweit zugänglichen Datenbestand ein. Der Stand der Technik bleibt dadurch ebenso unter Kontrolle wie die Geschichte der Konstruktionen.

Das Elba-Werk in Ettlingen, ein Hersteller von Maschinen und Anlagen für die Betonproduktion, speichert heute Betriebs- anleitungen, Schaltpläne und Ersatzteillisten nicht mehr in Papierform, sondern in einem elektronischen System der Docunet AG. Die Besonderheit dieser Lösung ist, daß die Daten - alle Vierteljahre - in der aktuellsten Form auf CD gebrannt werden. So können Vertriebsbeauftragte und Kunden vor Ort die Dokumente einsehen.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.