Meldegesetz gescheitert - Rechtsausschuß erklärt Personenkennzeichen für verfassungswidrig

SPD/FDP-Alleingang beim Datenschutz

28.05.1976

BONN - Der Innenausschuß des Bundestages schloß seine Beratungen zum Entwurf eines Bundesdatenschutzgesetzes ab und übermittelte dem Parlament zur zweigen und dritten Lesung eine Gesetzesvorlage, die in wesentlichen Punkten nicht die Billigung der Opposition findet. Noch vor Pfingsten soll das Bundesdatenschützgesetz - vielfach ein Jahrhundert Gesetz genannt - im Parlament vermutlich gegen die Stimmen der Opposition verabschiedet werden, jedoch ist ziemlich sicher, daß die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat gegen das zustimmungsbedürftige Gesetz Einspruch erheben wird. Sofern dann im Vermittlungsausschuß schnell eine Einigung erzielt werden kann, besteht noch die Chance, daß das Datenschutzgesetz in der letzten Sitzungswoche Ende Juni/Anfang Juli rechtskräftig wird, bevor dieser Bundestag sich auflöst. Notfalls könnte das Gesetz auch in einer vermutlich ohnehin Ende Juli die - Parlamentsferien unterbrechenden Sondersitzung des Bundestages verabschiedet werden.

Ob die Regierung so ihr Ziel erreicht, das Datenschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach zu bringen, hängt - wie die Computerwoche in Gesprächen mit Bonner Parlamentariern erfahren konnte - vor allem davon ab, in welchem Ausmaß die CDU/CSU-regierten Länder der neuen Vorlage widersprechen werden. Für einzelne Punkte könnten sicherlich rechtzeitig Kompromisse gefunden werden, nicht aber bei einer globalen Ablehnung.

Vorschriften entschärft

Soweit bis jetzt bekannt wurde, ist die endgültige Gesetzesvorlage des Innenausschusses um einiges gegenüber dem im Bonner Datenschutz-Hearing Ende März diskutierten ersten Entwurf des Innenausschusses "entschärft" worden. Einwände der Praktiker wurden dadurch berücksichtigt, daß im Maßnahmenkatalog des Anhangs zu Paragraph 4 (CW-Nummer 15 vom 3. April "Datenschutz - ein Bündel von Interessenkonflikten") die vorgesehene Protokollierung aller Abrufe ersatzlos gestrichen wurde. Vom Datenschutz ausgenommen bleiben Akten und Aktensammlungen, soweit sie nicht per EDV zusammengeführt oder ausgewertet werden. Ebenso entfällt nunmehr eine Benachrichtigungspflicht für vor Inkrafttreten des Gesetzes, gespeicherte personenbezogene Daten, die aber bestehen bleibt, wenn diese Daten Dritten übermittelt werden.

Wieder freie Daten

Die firmeninterne Verarbeitung personenbezogener Daten - soweit nicht Weitergabe-Absicht besteht - unterliegt nunmehr nicht mehr dem Datenschutzgesetz. Auch für sogenannte freie Daten (Name, Anschrift etc.) gibt es eine neue Regelung: Sie dürfen nicht als Einzelabfragen weitergegeben werden, wohl aber listenmäßig, wobei die sonstigen Bestimmungen des Datenschutzgesetzes weiter gelten. Ausgenommen vom Datenschutzgesetz bleibt die Speicherung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen, jedoch ist ihre Verarbeitung (Zusammenführen mit anderen Informationen etc.) und Weitergabe nur nach den Vorschriften des Datenschutzgesetzes möglich.

Heftige Kritik der Opposition betrifft den Paragraph 7 des Entwurfes, der Behörden erlaubt, untereinander personenbezogene Daten auszutauschen, wenn dies zur rechtmäßigen Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Diese "Generalklausel für den Staat" geht CDU/CSU zu weit. Dazu CDU-Berichterstatter im Innenausschuß, Johannes Gerster: "Unsere Anträge, Weitergabe nur zuzulassen, wenn in jeweiligen Gesetzen dies ausdrücklich vorgesehen ist, wurden von der SPD/FDP-Abstimmungsmaschine niedergemacht."

Buhmann für die SPD

Die SPD hält einen solchen Gesetzesvorbehalt für "völlig impraktikabel", wie sich aus den Erfahrungen im CDU-regierten Rheinland-Pfalz gezeigt habe. Auch wird betont, die Verwaltung sei grundsätzlich an Gesetz und Verfassung gebunden. SPD-Berichterstatter Dr. Frank Haenschke: "Die CDU will der SPD einen Buhmann zuschieben. Das paßt genau in deren Wahlkampfkonzept 'Freiheit oder Sozialismus'. Dann heißt es nachher: Die bösen Sozis wollen die Durchnumerierung aller Bürger, weil sie den totalen Staat wollen."

Bestes Gesetz der Welt

Wie Haenschke weist auch der FDP-Berichterstatter Dr. Friedrich Wendig darauf hin, daß das vorgesehene Gesetz das vermutlich am weitesten gehende dieser Art in der Welt sei. Deshalb argumentiert er: "Auch ein 80prozentiges Datenschutzgesetz ist besser als gar keines." Die CDU aber betont, die Koalition habe es in der Hand, "durch ein Eingehen auf bessere Schutzbestimmungen ein Scheitern des Datenschutzgesetzes und des Meldegesetzes zu verhindern", denn "ohne umfassendes Datenschutzgesetz" durfe es kein "gefahrenträchtiges Personenkennzeichen" geben. Entsprechend hatte die Opposition im Innenausschuß vergeblich einen Antrag gestellt, der die generelle Einführung eines allgemeinen Personenkennzeichens in der öffentlichen Verwaltung verboten hätte. Damit wäre jedoch Raum für eine Lex specialis geblieben, nämlich für die Verwendung des Personenkennzeichens ausschließlich im beschränkten Rahmen des geplanten Meldegesetzes.

Rechtsausschuß schießt quer

Der Rechtsausschuß des Bundestages ging sogar einen Schritt weiter und beschloß überraschend, daß die Einführung eines einheitlichen Numerierungssystems für alle Bürger rechtlich unzulässig sei und erklärte somit das Personenkennzeichen generell für verfassungswidrig. Rechtsausschuß-Vorsitzender Dr. Carl Otto Lenz (CDU): "Wenn das Ding erst mal da ist, ist seine Ausbreitung nicht mehr zu bremsen. Die Erhaltung der Privatsphäre ist jedoch wichtiger als die Rationalisierung der Verwaltung."

Jetzt soll die Bundesregierung blitzschnell bei den Ländern erheben, inwieweit die Vorbereitungen für Einführung des Personenkennzeichen) bereits gediehen sind und wie die Länder dessen Verfassungsmäßigkeit beurteilen. Vom Ländervertreter beim Rechtsausschuß wurde zugesagt, daß diese Stellungnahmen binnen vierzehn Tagen vorliegen könnten. Dennoch wurde von SPD-Berichterstatter Karl Liedtke auf einer Bonner Pressekonferenz bereits konzertiert, daß wohl zu wenig Zeit bliebe, um die anstehenden Fragen zu klären, so daß für ein Verabschieden des Meldegesetzes in dieser Legislaturperiode kaum noch Chancen bestünden.

Für das Durchboxen des Datenschutzgesetzes bringt dies indes keine neuen Hindernisse. Zwar gab es ein Junktim: Kein Meldegesetz ohne Datenschutzgesetz - das aber nicht bedingt, daß das Bundesdatenschutzgesetz nunmehr blockiert sei.