"Spaghetti-Codes" bieten dem User keine Lösung

17.01.1986

"Die weiteste Fahrt zum Kollegen ist immer noch weniger kosten- und zeitaufwendig als eine Fehlentscheidung, die im nachhinein sichtbar wird" - dies ist die Meinung von Karl-Herbert Abel, Leiter des DV-Amtes beim Landkreis Harburg. Er hat für seine Behörde eine ganze Reihe von Lösungen parat, um nicht den überwältigenden Aussagen diverser Softwareanbieter zu erliegen und "dann aber zehn Ordner Dokumentation wälzen zu müssen". Unterschiedliche Erfahrungen auf dem Sektor Softwareprüfung hat Dr. Ernst-H. Lammers, Leiter der Systementwicklung bei Schmalbach-Lubeca, in der Vergangenheit gemacht. Demnach sind "eine genaue Analyse der Organisation und eine möglichst fundierte Vorstellung über die Anforderungen erforderlich, um die entsprechende Kaufentscheidung treffen zu können". Er deckt dies in seinem Beitrag am Beispiel des sogenannten Phasenmodells auf. Norbert Oberender, DV-Leiter der Kulmbacher Druckerei und Verlag E. C. Baumann, fragt: "Wollen die Softwarehäuser mit ihren Produkten immer wieder das Rad erfinden?" Er hat bei Programmpräsentationen seine Erfahrungen gemacht. Oberender rät: "Fordern Sie Referenzkunden mit Ansprechpartner."

Karl-Herbert Abel

Leiter des EDV-Amtes beim Landkreis Harburg in Winsen/Luhe

Obwohl es für die Datenverarbeiter in der Kommunalverwaltung nicht zur täglichen Praxis gehört auf dem freien Markt verfügbare Softwarepakete auszuwählen und zu prüfen, da meist selbstentwickelte oder von anderen öffentlichen Rechenzentren übernommene Anwendungen eingesetzt werden, kann hier über einige Konsequenzen aus dem Erwerb und Einsatz von Standardsoftware berichtet werden.

Wie vermeiden wir es als Anwender, auf die Werbeaussagen von Softwareanbietern hereinzufallen, und welche Maßnahmen werden konkret von uns ergriffen? Präsentationen und praktische Demonstrationen erfolgen nur im eigenen Haus auf dem eigenen System. Nur so werden Kompatibilität, Maschinenbelastung sowie Lauf- und Antwortzeitverhalten in der zukünftigen Produktionsumgebung deutlich. Scheut ein Anbieter hartnäckig den damit verbundenen Aufwand, sind seine Produkte von vornherein mit einer gesunden Skepsis zu betrachten.

Ferner muß die Verbreitung in vergleichbaren Installationen berücksichtigt werden, dabei die Erfahrung zeigt, daß eine starke Verbreitung manches Mal durch eine Überalterung der Programme erkauft wurde, weil die systemtechnische Pflege nicht Schritt halten konnte. Während der Prüfung der Software sollte man den Kaufpreis nicht berücksichtigen, da er oft der objektiven Beurteilung im Weg steht. Gute Anwendungen kosten Geld; manche Anbieter versuchen aber auch durch überhöhte Kaufpreise Qualität vorzuspiegeln.

Außerdem muß der Softwareanbieter über eine entsprechende Personaldecke verfügen. Ein "Zwei-Mann-Unternehmen" eventuell mit zusätzlichen freien Mitarbeitern bietet in der Regel nicht die Gewähr für eine zukünftige Partnerschaft über einen längeren Zeitraum.

Am Programm selbst führen wir unterschiedliche Checks durch. Wir bestehen immer auf Überlassung der Ursprungsprogramme, selbstverständlich mit der Maßgabe, daß eigene Änderungen den Anbieter von der Gewährleistung befreien. Die Programme müssen in der jeweiligen Sprache sauber strukturiert und nachvollziehbar sein (kein "Spaghetti-Code"), auch ohne permanent "zehn Ordner" Dokumentation zu bewegen. Die Dateiorganisation muß vernünftig durchdacht und aufgebaut sein. Das Gegenteil wird meist durch eine unverhältnismäßig große Anzahl von Dateien dokumentiert.

Für Anwendungssoftware nehmen wir die Möglichkeit des Systemkaufs auf Leasingbasis nicht in Anspruch, für Systemsoftware nur in Einzelfällen. Bei allen eigenen Prüfungen und Vorsichtsmaßnahmen ist man in jedem Fall auf die - ehrliche und unverblümte - Auskunft von Kollegen angewiesen. Auch ein Besuch - möglichst ohne Mitwirkung des Anbieters - lohnt immer. Der Zeit- und Finanzaufwand für die weiteste Fahrt ist in jedem Fall geringer als der, der durch eine Fehlentscheidung entsteht.

Norbert Oberender

DV-Leiter, Druckerei + Verlag E. C. Baumann, Kulmbach

Das zunehmende Angebot von Softwarepaketen bereitet den DV-Verantwortlichen immer größere Probleme. Nicht nur die Beurteilung der Qualität der angebotenen Produkte ist ein Zeitfaktor, sondern auch die Flut von Werbung, Anrufen, Besuchen und Angeboten. Die Frage ist, ob es dagegen einen Schutz gibt und ob man jedes Gespräch im Keim ersticken will - zumal ja die Softwareanbieter auch sehr gute Gedanken und Lösungen präsentieren können. Dies vor allem in den Aufgabenstellungen, die erst in den letzten Jahren in Angriff genommen wurden.

Die Softwarehäuser, die als Anbieter Zugang über eine Fibu-Lösung anstreben, dürften die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Derartige Lösungen gibt es bereits seit Jahren genügend auf dem Markt. Warum also wollen Softwarehäuser immer wieder das Rad erfinden? Wollen sie noch besser über Soll und Haben Bescheid wissen, oder war die bisherige Handhabung von Soll und Haben verkehrt gelöst? Haben sich die Vorschriften einer ordnungsgemäßen Buchhaltung grundlegend geändert? Vielleicht sind sie die einzigen, die in ihrer Lösung die neuen Technologien und deren Möglichkeiten realisiert haben. Egal, mit wieviel "Ja's" auf diese Fragen geantwortet werden kann, nur wenn alle mit Ja zu beantworten sind, lohnt es sich, weiter über dieses Softwarehaus nachzudenken.

Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zum Thema Fibu und Adreßverwaltung. Aus meinem Bekanntenkreis bat mich ein Unternehmer, ihm bei der Endauswahl zur Seite zu stehen. Eine Demonstration wurde vereinbart, und die Vorführung war überwältigend. Nach meinen Angaben wurden die Konten eröffnet und fleißig gebucht. Daß jedoch ungültige Postleitzahlen vom Dialogprogramm kommentarlos geschluckt wurden und damit keine Rechnung zugestellt werden konnte, war nur ein Punkt. Das gleiche bei Bankleitzahlen: wie kann ein automatischer Zahlungsausgang ohne Fehler laufen? Als Höhepunkt gab ich als Buchungsdatum den 31. Februar 85 vor - und wieder übernahm das Dialogprogramm die Buchung ohne Fehlermeldung. Auf diese Notwendigkeiten angesprochen erhielt ich die sehr logische Antwort: "Man kann ein Programm auch totprüfen". Damit war dieser Anbieter leider gestorben, aber wahrscheinlich habe ich unrecht.

Bei der Adreßverwaltung war die Aufgabenstellung, zweimal im Monat per Diskette etwa 500 neue Adressen aufzunehmen. Diese Adressen sind mit sehr vielen, aussagefähigen Worten verknüpft. Nachdem die Adressen schnell übernommen waren, wurde ein Prüfprogramm aktiviert, um die fehlerhaften Datensätze zu protokollieren. Leider muß dieses Programm den gesamten Datenbestand (rund 140 000 Sätze je 320 Bytes) durchlesen. Für mich: "DV zu Fuß". Warum waren die Prüfroutinen im Übernahmeprogramm nicht enthalten? Diesmal wartete ich die logische Erklärung nicht ab und verließ die Demo.

Wie können wir der Konfrontation mit derartigen "Software"-Anbietern entgehen, welcher Zeitaufwand ist notwendig? Nur ein permanentes Informieren am Markt ermöglicht einen übermäßigen Zeitaufwand bei der Auswahl von Software und verhindert den Einsatz derartiger "Software". Sicher nicht, daß ich jedes Gespräch, jeden Kontakt abwürge, solange ich keine Fremdsoftware einsetzen muß. Nur derjenige, der dauernd das Ohr auf der Schiene hat, hört rechtzeitig den herannahenden Zug. Dabei hilft sogar der Stellenmarkt, ein Softwarehaus, welches nicht über immer wieder neue Mitarbeiter verfügt, hat vielleicht zwei Probleme: Einmal kann das Auftragsvolumen sehr stark gewachsen sein, oder das Betriebsklima ist zu "soft". Welch großer Informationsverlust bei starker Fluktuation entsteht, wissen wir in der DV sehr gut, zumal die meisten von uns seit Jahren am Thema aktuelle Dokumentation knabbern.

Fordern Sie also Referenzkunden mit Ansprechpartner. Klären Sie mit diesem Ansprechpartner Ihre Standpunkte. Sind diese geklärt, erfahrt die tatsächliche Funktionalität der Software, deren Schwächen und den notwendigen Zeitaufwand (Kosten), um diese zu beheben. Diejenigen Softwareunternehmen, die diese Unterlagen kommentarlos zur Verfügung stellen, betrachten sie als Käufer. Der Anbieter muß erkennen, daß er in einem Markt als Geschäftspartner aufzutreten hat. Heute brauchen wir weder Showmaster noch Scharlatane, sondern fachliche Unterstützung, um die verfügbare Hardware, die Betriebssysteme und Tools sinnvoll einzusetzen.

Dr. Ernst-H. Lammers

Leiter Systementwicklung, Schmalbach Lubeca AG

Zunehmende Anforderungen an das Funktionsspektrum und steigende Entwicklungskosten vor dem Hintergrund möglichst gleichbleibender Kostenbudgets beschränken die Möglichkeiten auch größerer DV-Abteilungen zu Individuallösungen in der Anwendungssoftware. Ebenso zwingen wachsende Wartungsaufwendungen zu neuen Ansätzen. Einen Lösungsweg bieten immer häufiger gekaufte Softwarepakete, zumal damit fremdes Know-how, Wartungs- und Weiterentwicklungskapazitäten sowie Ausbildungsmöglichkeiten kurzfristig verfügbar werden. Durch die ständig wachsende Zahl der angebotenen Systeme erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, auch für solche Aufgabenstellungen eine Standardlösung zu erwerben, für die früher wegen unzureichender Funktionsbreite ein hoher Anpassungsaufwand erforderlich war.

Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet sind unterschiedlich. Sie waren immer dann negativ, wenn Diskrepanzen zwischen Anforderungsprofil und Funktionsspektrum zu größeren Eingriffen in die Software zwangen. Diese zogen weitere Modifikationen im Umfeld nach sich. Am Ende der Entwicklung stand ein System, das durch hohe Fehlerquoten, geringe Anwenderakzeptanz, generell eingeschränkte Wartbarkeit und verkürzte Lebensdauer charakterisiert war.

Dagegen sind erfolgreichere Problemlösungen durch eine weitgehende Übereinstimmung von Anforderungskriterien und Leistungsmerkmalen gekennzeichnet. Um die Übereinstimmung sicherstellen zu können, sind eine genaue Analyse der Organisation eine möglichst fundierte Vorstellung über die zukünftigen Anforderungen und eine detaillierte Kenntnis der einzusetzenden Software erforderlich. Durch das frühzeitige Einbeziehen des Anwenders in die Systemkonzeption kann eine höhere Akzeptanz erreicht und die Entscheidung abgesichert werden. Eventuelle Anpassungen an das bestehende organisatorische und technische Umfeld sind über Schnittstellenmodule abzufangen. Auf jeden Fall müssen Eingriffe in die Kernsoftware vermieden werden, wenn man die Vorteile einer Standardsoftware nutzen will.

Der Einsatz von Fremdsoftware hat für Anwender des Phasenmodells Konsequenzen insofern, als sich die Aktivitäten von der Realisierung zur Planung hin verlagern. Die Aufgabenstellung besteht hier nicht in der Neukonzeption eines Systems, sondern vielmehr in der Anpassung eines vorhandenen an die neue Umgebung. Die Aufgaben entsprechen damit eher denen eines großen Wartungsprojektes deren Bewältigung eine genaue Kenntnis des Systems voraussetzt.

Dieses Wissen muß dem Entwickler durch den Hersteller frühzeitig vermittelt werden. Ein abgestuftes Ausbildungsangebot und eine aussagefähige Systemdokumentation für den schrittweisen Einstieg in die Systemfunktionen helfen dabei mit, den Projekterfolg abzusichern.