Spagat zwischen Online- und Offline-Kunden

21.03.2007
Von Professor Bernd Skiera
Um herauszufinden, welche Kunden vorzugsweise online und welche auf anderen Wegen anzusprechen sind, bedarf es ausgefeilter Analysen.

Meg Ryan alias Sally ist im Filmklassiker "Harry und Sally" der Alptraum jedes Kellners: "Beim Chefsalat das Dressing bitte extra", ordert sie, "den Kuchen unbedingt warm und mit Erdbeer- statt mit Vanilleeis. Und die Sahne frisch geschlagen, nicht aus der Sprühdose." Solche Sonderwünsche verursachen der Küche zusätzliche Arbeit und damit Kosten. Auch der Restaurantbesitzer wird derartige Kunden nicht gerade mit Begeisterung empfangen, bringen sie doch seine Preiskalkulation durcheinander: Er verdient kein Geld, wenn der Kunde mehr kostet, als er einbringt. Gut für ihn, dass Sally von Harry begleitet wird: Der bestellt das Standardgericht Burger mit Pommes und dazu ein Budweiser - damit wird der Besitzer wohl Gewinn machen.

Hier lesen Sie ...

  • warum manche Kunden online und andere besser offline angesprochen werden sollten;

  • weshalb es wichtig ist, den "Kundenlebenswert" zu berechnen;

  • warum Gemeinkosten nicht einfach auf einzelne Kunden umgerechnet werden können;

  • unter welchen Umständen Online-Marketing richtig teuer werden kann.

Menschen wie Sally werden nicht nur von Restaurantbesitzern gefürchtet: Mobilfunk-Provider, Web-Shop-Betreiber, Handelsunternehmen, Banken und Versicherungen zittern genauso vor diesen betreuungsintensiven Kunden - selbst wenn sie einen hohen Umsatz mit ihnen erzielen. Die Kosten, die diese Kunden verursachen, können beträchtlich sein.

Wer den Kundenprozess nicht sorgfältig analysiert, verliert bares Geld.
Wer den Kundenprozess nicht sorgfältig analysiert, verliert bares Geld.

Entscheidend sind Fragen wie: Bestellt ein Kunde seine Ware im Internet oder über das Call-Center? Verzögert er das Bezahlen der Rechnung, fallen vielleicht sogar Mahnkosten an? Beschwert sich der Kunde nach dem Kauf beim Unternehmen? Nimmt er die Service-Hotline intensiv in Anspruch? Die Kosten für die einzelnen Kunden unterscheiden sich erheblich voneinander, wie diese Fragen zeigen.

Sind etwa die Serviceansprüche eines umsatzträchtigen Stammkunden sehr hoch, kann er für das Unternehmen unprofitabel werden. Wenn Unternehmen mit nichtrentablen Kunden viel Umsatz machen, liegen die Verluste schnell in einem Bereich, der nicht mehr zu tolerieren ist. Dagegen erzielt das Unternehmen mit einem Gelegenheitskäufer, der nur einige wenige Standardprodukte erwirbt und keinen besonderen Service fordert, möglicherweise höhere Gewinne.

Was König Kunde kostet

Unternehmen sollten deshalb zunächst einmal die profitablen von den unprofitablen Kunden unterscheiden. "Kundenlebenswert" heißt das Stichwort: "Die Marketing-Experten sind gefordert, die von den einzelnen Kunden verursachten Kosten zu ermitteln und sie in Bezug zum Umsatz zu setzen, den sie mit ihnen erzielen", erläutert Martin Oesterer, Manager des Competence Center Customer Intelligence bei Deutschlands größtem Business-Intelligence-Anbieter SAS Institute. "Gute Dienste leisten hier Lösungen für die Prozesskostenanalyse, mit denen sich der wahre Wert des Kunden identifizieren lässt. Diese Verfahren haben ihre Stärke darin, die Gemeinkosten verursachergerecht auf die einzelnen Kunden umzulegen."

Das Prozesskosten-Management (Activity Based Costing = ABC) geht bei der Kostenrechnung von den einzelnen Aktivitäten aus, die für die Geschäftsprozesse etwa im Service oder im Vertrieb notwendig sind. Diese Kosten werden dann den Geschäftsprozessen zugeordnet - also über mehrere Kostenstellen hinweg und nach Maßgabe der Maßnahmen, die nötig sind, um die Wünsche der Kunden zu erfüllen.

Viele Lösungen für das Customer-Relationship-Management (CRM) dagegen legen die Gemeinkosten etwa für Marketing, Logistik, Vertrieb oder das Lager pauschal auf die einzelnen Kunden um. Auf diese Weise entsteht ein falsches Bild von der Kostenstruktur, denn es gibt keine direkte Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen den tatsächlich benötigten Geschäftsprozessen und den angefallenen Kosten.

Ein Beispiel: Die Kommunikation eines Kunden verursacht je nach Medium unterschiedliche Kosten - ein Anruf beim Call-Center ist beispielsweise teurer als eine E-Mail. Viele Lösungen sind jedoch nicht in der Lage, hier zu differenzieren: Sie verteilen einfach die gesamten Kommunikationskosten pauschal auf die Kunden, egal auf welchem Wege sich der einzelne Kunde an das Unternehmen gewandt hat.

Kann ein Unternehmen seine Gemeinkosten nicht entsprechend den benötigten Prozessen den einzelnen Kunden zuordnen, entsteht also ein verzerrtes Bild von den Chancen auf Profitabilität. "Kennt ein Unternehmen den exakten Wert eines Kunden", so Sonja Gensler, Mitarbeiterin am E-Finance Lab und gegenwärtig mit einem Forschungsprojekt an der Columbia School of Business in New York beschäftigt, "so kann es auf dieser Basis Strategien entwickeln, die seine Profitabilität erhöhen - zum Beispiel durch eine andere Form von Service, durch gezieltes Marketing für profitablere Produkte oder durch eine gezielte Migration in neue Kanäle."

Zudem sind Unternehmen dann in der Lage, ihre Preise profitorientierter zu gestalten. Auch die Planung von Werbekampagnen, um Neukunden zu gewinnen, wird einfacher: Mit Analyse- und Prognoselösungen können Marketing-Mitarbeiter aus den vorliegenden, mit externen soziodemografischen Informationen kombinierten Daten wertvolles Wissen über die zu erwartende Profitabilität neuer Kunden gewinnen. Damit lassen sich Kampagnen exakt auf solche potenziellen Neukunden ausrichten, die den höchsten Gewinn versprechen.

Online-Marketing kann auch teuer werden

Einen starken Einfluss darauf, wie viel Profit sich mit einem Kunden machen lässt, hat auch die Wahl des Kommunikations- und Transaktionskanals. Wird er zum Beispiel via E-Mail angesprochen oder nutzt er die Möglichkeiten des Online-Bankings, so verursacht er weniger Kosten, als wenn er regelmäßig umfangreiche Produktkataloge zugeschickt bekommen möchte oder die Zeit eines Bankberaters in Anspruch nimmt. Deshalb, so zumindest die Meinung vieler Marketing-Experten, sollte ein Unternehmen darauf abzielen, möglichst viele Offline-Aktivitäten in digitale Kanäle zu verlagern.

Dies legt jedenfalls der direkte Vergleich der Kosten nahe, kostet doch eine E-Mail nur wenige Cent, während ein Brief meist mindestens mit einem einstelligen Eurobetrag zu Buche schlägt. Doch diese Gleichung geht längst nicht immer auf. Sie lässt außer Acht, dass das Verlagern der Kommunikation und Transaktion in den Online-Kanal nicht nur die Kosten senkt, sondern gleichzeitig auch das Kundenverhalten verändern kann.

So ist es möglich, dass jemand, der bislang über Filialen, Telefon oder Fax kommunizierte, dem Unternehmen weniger Profit beschert, wenn er fortan nur noch auf digitalem Wege angesprochen wird. Beispielsweise könnte dieser Kunde plötzlich anfangen, zusätzliche Kanäle zu nutzen, etwa um sich zu beschweren oder das Call-Center verstärkt in Anspruch zu nehmen. Möglicherweise geht auch Umsatz verloren, weil er mit einem Teil seiner Käufe oder Transaktionen zu Mitbewerbern abwandert, die wie gewohnt die Offline-Kanäle bedienen. Zudem besteht die Gefahr, dass er dem Unternehmen ganz den Rücken kehrt.

Dazu kommt, dass die Annahme, Online- Kommunikation sei per se profitabler, so genannte Selbstselektionseffekte nicht berücksichtigt: Eine vom E-Finance Lab betriebene Studie mit Daten zu 200 000 Kunden einer großen europäischen Retail-Bank hat gezeigt, dass die Klientel, die bevorzugt über das Internet agiert, völlig andere Charakteristika zeigt als "Offline-Kunden". Zwar wird mit Internet-Kunden im Schnitt mehr Profit erzielt. Doch dieser Profitabilitätsgewinn lässt sich nicht eins zu eins auf Offline-Kunden übertragen, die zum Online-Banking migrieren.

Aufgrund ihrer Alters- und Produktstruktur ist mit den Online-Kunden auch unabhängig vom gewählten Kanal mehr Gewinn zu erzielen. Die Bank verdient mit Online-Kunden nicht nur mehr Geld, weil sie das Internet nutzen, sondern weil sie vom Alter, vom Produktportfolio und vom Transaktionsverhalten her die attraktiveren Kunden sind. Die Studie zeigt auch, dass der Erfolg einer Migration eines Offline-Kunden stark abhängt von den Produkten, die er besitzt: Nutzt er zum Beispiel eine Kreditkarte und ein Girokonto, wird die Migration mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer höheren Profitabilität führen, als wenn er lediglich ein Sparkonto hat.

Untersuchungen, die zu beweisen versuchen, mit Online-Kunden sei grundsätzlich mehr Profit zu erzielen als mit Offline-Kunden, vergleichen vielfach lediglich die durchschnittliche Profitabilität der jeweiligen Kunden. Das Ergebnis führt zu einem gefährlichen Trugschluss, bleiben so doch die genannten Differenzierungen unbeachtet.

Diese Ergebnisse zeigen also: Nicht für jeden Kunden lohnt es sich, die Kommunikation in digitale Kanäle zu verlagern. Zwar mögen die Kosten geringer sein, doch auch die Profitabilität ist in vielen Fällen reduziert - ganz zu schweigen von dem Aufwand, der mit einer solchen Migration verbunden ist. Doch wie lässt sich herausfinden, bei welchen Kunden es sich lohnt, sie online anzusprechen? Wo lassen sich Kosten senken, ohne dass Umsatzverluste drohen oder an anderer Stelle neue Kosten entstehen?

Hier helfen zum Beispiel moderne Business-Intelligence-Lösungen, mit denen Unternehmen ermitteln können, welche Kunden wie reagieren, wenn die Kommunikation ins Internet verlagert wird. "Mit Hilfe ausgefeilter Analyseverfahren erkennen die Marketiers Muster in ihren historischen Daten, die dem bloßen Auge verborgen bleiben. Sie erfahren zum Beispiel, welche typischen Merkmale ein Kunde aufweist, dessen Profitabilität durch die Stärkung der Online-Kanäle in den Keller rutscht. So lässt sich mit Blick auf jeden einzelnen Kunden entscheiden, ob sich eine Migration für das Unternehmen lohnt", erklärt SAS-Manager Oesterer. Mit einer Vorhersagemodellierung lässt sich zum Beispiel ermitteln, wie ein Mobilfunkkunde reagiert, wenn der Telefonsupport durch einen Online-Kontakt ersetzt wird: Steigt der Betreuungsaufwand trotz des in der Regel kostengünstigeren Online-Kanals? Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird der Kunde die Serviceänderung zum Anlass nehmen, seinen Vertrag zu kündigen?

Um das Wissen über die zu erwartende Profitabilität dann auch direkt für Marketing-Aktionen nutzen zu können, müssen Unternehmen die Informationen allerdings nahtlos mit allen anderen Komponenten des Marketing-Prozesses verbinden. Auf diese Weise entsteht ein geschlossener Kreislauf, in dem Daten-Management, Datenanalyse, die Abwicklung der Kampagne, Reporting sowie der Rückfluss des Kunden-Feedbacks zentral zusammengeführt werden. Innovative Marketing-Automation-Lösungen decken dabei alle Vorgänge des Planens und Umsetzens einer Kampagne ab, so dass die Durchgängigkeit des Prozesses gewährleistet ist. Auf diese Weise könnte es gelingen, sogar Sally zu einer profitablen Mobilfunk-, Retail- oder Versicherungskundin zu machen. Bei ihren Restaurantbesuchen dürften allerdings Hopfen und Malz verloren sein.