Euro-Umstellung

Späte Aufholjagd im Euro-Land

25.11.1998
Pacta sunt servanda. Nachdem sich die Politiker über Konvergenzkritierien, Marschrouten und Zielvorgaben geeinigt haben, sind nun die Unternehmen an der Reihe. Der Euro ist eine Einbahnstraße, ein Zurück gibt es nicht. Seit die Richtung feststeht, hat sich einiges getan, aber die Defizite in der Vorbereitung der DV-Systeme sind besorgniserregend.

Von Winfried Gertz*

"Aus Kostengründen", hieß es in der IBM-Untersuchung zum Stand der Euro-Einführung zu Beginn dieses Jahres, zögerten die größten Nutzer der Informationstechnologie ihre Umstellung hinaus. Viele Verwaltungen scheuen demnach den erforderlichen Aufwand für Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter und messen der Anpassung ihrer Informationssysteme nur eine geringe Bedeutung zu.

Was sich hier andeutet, bestätigen Marktbeobachter. "Im Unterschied zur Jahr-2000-Umstellung", sagte vor wenigen Wochen ein Insider während einer Telefonkonferenz der Firma Viasoft, "schlägt die Euro-Anpassung fünfmal teurer zu Buche." Allein für die IT, so die Gartner Group in einer Ende September vorgelegten Studie, würden Kosten zwischen 150 und 400 Milliarden Dollar anfallen.

Wer noch immer glaubt, die Währungsumstellung bliebe allein auf DV oder Finanzwesen beschränkt, dürfte sein blaues Wunder erleben. Daß sich Wettbewerbsverhältnisse zum Teil gravierend ändern und daher eine strategische Neuausrichtung notwendig wird, haben laut Diebold-Manager Hans-Dieter Keßeler insbesondere mittelständische Unternehmen noch nicht realisiert. Kein Wunder, daß abkommandierte Projektleiter völlig überfordert sind und an der Komplexität geschäftlicher Prozesse scheitern.

Erfolgreich, so Diebold, sind diejenigen Unternehmen, die das Projekt zur Chefsache erklären. Auf die Agenda setzen sie Umstellung und Re-Engineering der IT-Strukturen und der Geschäftsprozesse sowie die strategische Ausrichtung des Unternehmens.

"Trotzdem wird das Thema Europäische Währungsunion in vielen Firmen ausschließlich der Finanzabteilung überlassen", rückt Martha Bennett, Analystin der Giga Group in London, die Verhältnisse zurecht. Die Gartner Group rechnet damit, daß 25 Prozent aller europäischen Unternehmen die Euro-Umstellung bis 2002 irrtümlicherweise als DV-Projekt deklarieren und bei IT- und Prozeßstrukturen alles beim alten lassen.

Während IBM zu Jahresbeginn Belgien und die Niederlande als Euro-Trendsetter, Deutschland und andere EU-Staaten dagegen als Zauderer ausmachte, scheint Europa in seiner Gesamtheit noch weit vom erklärten Ziel entfernt zu sein. Einer jüngeren Untersuchung der Unternehmensberatung KPMG zufolge planen nur 53 Prozent der europäischen Unternehmen, den Euro bereits 1999 als Bilanzierungswährung zu übernehmen. Nur 39 Prozent wollen die neue Währung zu Abrechnungszwecken verwenden. Ein Grund dürfte die desolate Umstellungssituation in der Finanzwelt sein.

Auch die Banken sind noch nicht fertig

Zwar beherrschen schon heute die meisten Bankensysteme die Berechnungen in mehreren Währungen. Doch daraus den Schluß zu ziehen, die Hochfinanz nähme die Euro-Umstellung mit links, dürfte sich als Trugschluß erweisen. Denn neben der Umstellung unzähliger Cobol-Programme, für deren Konvertierung laut Gartner Group Kosten von anderthalb Dollar pro Codezeile anfallen, muß eine Vielzahl schlecht dokumentierter Legacy-Finanzapplikationen durchforstet werden.

Darüber hinaus scheint es äußerst kompliziert zu sein, die von der Europäischen Währungsunion (EWU) geforderte Berechnung auf sechs Nachkommastellen in die Wege zu leiten. Noch sind exakte Regeln beispielsweise für die Behandlung der Dezimalstellen etwa in Lira oder Peseten ein ungelöstes Problem. "Die Banken sind zwar weit fortgeschritten in ihren Umstellungsprojekten", so ein Viasoft-Manager, "zum Abschluß gekommen sind sie aber noch lange nicht."

Vergleichbare Ergebnisse liefert eine Umfrage von Andersen Consulting unter europäischen Topmanagern. Obwohl sich demnach die Mehrheit der Unternehmen für eine schnelle Umstellung auf den Euro ausspricht, werden viele von ihnen nach eigenen Angaben unzureichend vorbereitet sein.

Nur rund die Hälfte der befragten Unternehmen hat einen ausgearbeiteten Zeitplan in der Schublade. Ausschließlich auf die Umstellung von Buchhaltungs- und IT-Systemen konzentrierten sich sage und schreibe 40 Prozent der befragten Firmen, so die Unternehmensberater.

Überraschend: Frankreich und Deutschland haben sich im internationalen Vergleich der Anzahl fortgeschrittener Projekte an die Spitze gesetzt. Zwei von drei Unternehmen in diesen Ländern sind laut Andersen Consulting davon überzeugt, bereits ab 1999 Aufträge, Rechnungsstellung und Gehaltszahlungen in Euro erledigen zu können.

Trotzdem sehen die Auguren in Deutschland nach wie vor großen Nachholbedarf. Anfang des nächsten Jahres will zum Beispiel der Industrie- und Handelstag (DIHT) ein Update seines im Frühjahr 1998 vorgelegten Reports präsentieren. Zwar konnte man damals stolz verkünden, daß bereits 43 Prozent der Unternehmen ihre Umstellung in Angriff genommen hatten und damit doppelt so viele wie vor Jahresfrist.

Während Banken, Versicherungen, Dienstleister und Großunternehmen optimistisch in die Zukunft blickten, schoben jedoch Firmen der Bauwirtschaft (79 Prozent) und des Handels (67 Prozent) die Umstellung auf die lange Bank. In diesen Branchen sowie in weiten Teilen der neuen Bundesländer überwog die Skepsis, ob der Euro tatsächlich zu den erhofften Erleichterungen im Wirtschaftsverkehr beitragen könne.

Vorgreifen will Günter Lambertz, Euro-Beauftragter des DIHT, auf die neuesten Untersuchungsergebnisse noch nicht. Nur soviel: "Die Kluft zwischen Großunternehmen und dem Mittelstand hat sich weiter vergrößert." Insbesondere regional tätige Bauunternehmen, gastronomische Betriebe sowie der Einzelhandel sind demnach weit von der gewünschten Euro-Fitneß entfernt.

Ihre Nähe zur mittelständischen Wirtschaft nutzt auch Sage KHK zur regelmäßigen "Diagnose" der Umstellungsprojekte. Entwarnung kann Helmut Büsker, für Euro und Jahr 2000 zuständiger Projektmanager, beileibe nicht geben.

Aktuell zeichnet er folgendes Bild: Von über 10 000 überprüften kleinen und mittelständischen Unternehmen haben erst neun Prozent ihre Software und zehn Prozent ihre Hardware angepaßt. Projektpläne aufgestellt und verfügbare Budgets haben drei Prozent, Unternehmensberatungen beauftragt sechs Prozent, Zeitpläne erstellt zwölf Prozent und Seminare besucht 22 Prozent. Der überwiegende Teil indes, nämlich rund 57 Prozent, läßt die Euro-Umstellung links liegen.

Diese Ergebnisse sind deshalb so alamierend, weil drei Viertel aller Unternehmen vom Euro "stark betroffen" sind. Unzureichende Euro-Kompatibilität insbesondere im internationalen Handel können sie sich überhaupt nicht erlauben. 57 Prozent dieser Firmen, deren Kunden um den Globus verstreut sind oder deren Zulieferer mindestens zu 25 Prozent im europäischen Ausland ansässig sind, haben die gebotene Umstellung bisher komplett vernachlässigt.

Massive Kritik an Passivität des Mittelstands

Dieser Analyse schließt sich auch die Meta Group an, wenngleich sie insgesamt einen Fortschritt der Euro-Projekte beobachten kann. Viele Unternehmen hätten demnach ihre Projekte früher als ursprünglich erwartet abgeschlossen. Wie Consultant Rüdiger Spieß erläutert, hätten einige Unternehmen der Euro- gegenüber der Jahr-2000-Umstellung den Vorzug gegeben.

Zurückhaltung, ja sogar Ignoranz herrscht Spieß zufolge unverändert im Mittelstand vor. Ob sich diese Vogel-Strauß-Politik am Ende lohnt, bleibt abzuwarten. Zwar räumt Diebold-Mann Keßeler ein, Handwerk und Handel hätten viel mit Bargeld zu tun und brauchten deshalb nicht sofort umzustellen. Doch die eigentliche Barriere scheint wohl in den Köpfen aufgebaut zu sein.

"Nur elf Prozent der deutschen Unternehmen wechseln frühzeitig zum Euro", heißt es auch in einer im Oktober veröffentlichten Mitteilung von Dun and Bradstreet. Eine Untersuchung von 1800 europäischen Firmen kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen: 40 Prozent der deutschen Unternehmen knüpfen positive Erwartungen an den Euro, während 20 Prozent eher mit negativen Auswirkungen rechnen. Dagegen erwarten drei Viertel aller befragten britischen Unternehmen Vorteile durch die neue Währung, obwohl Großbritannien nicht zur ersten Beitrittsgruppe zählt.

Die Umstellung auf den Euro verläuft laut Dun and Bradstreet in den europäischen Ländern mit unterschiedlichem Tempo. Während 1999 nur elf Prozent der deutschen Unternehmen in Euro fakturieren wollen, haben sich dieses Ziel bereits 34 Prozent der finnischen und jeweils 24 Prozent der französischen und der niederländischen Unternehmen gesetzt.

Der Euro wird am Ende des Jahres 2000 die dominante Währungseinheit des Geschäftsaustauschs in Europa sein, prognostiziert Dun and Bradstreet. Fast 50 Prozent der Unternehmen in den Ländern der ersten Beitrittswelle werden zu diesem Zeitpunkt auf den Euro umgestellt haben. Deutsche Unternehmen fallen dagegen etwas zurück.

Bedenklich stimmt, daß erst wenige Software-Anbieter ihre Produkte auf Euro-Kompatibilität überprüfen lassen. Die begehrte ISO-Zertifizierung der Prüfstelle der Gütegemeinschaft Software e.V (GSG) in Berlin haben laut Geschäftsführerin Heidemarie Amtage erst drei Hersteller erhalten, und zwar Wilken, SAP und Syska. SAP hatte sogar ein zweites Mal zur Probe erscheinen müssen.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.